Da ich bei Twitter keine Befindlichkeiten reinschreibe und keine Facebook-Seite mehr hab, möchte ich wenigstens meinen Blog nützen, um mittzuteilen, dass ich gestern um 22.30 noch ein Erkältungsbad mit 38 Grad Wassertemperatur genommen, mich danach im Bandemantel auf die Couch gelegt und im Netz die WWF Survivor Series von 1995 angeschaut habe bis ich weggenickt bin.
Texte
Endlich
…ist er in mein Leben getreten. Jetzt sehe ich viele Dinge ganz anders als vorher. Man hört ja immer nur, wie besonders der Moment ist und wieviel sich verändert. Aber erst, wenn man es selbst erlebt, kann man es ganz verstehen. Willkommen in meinem Leben, Himbeerjoghurt.
Iron Maiden
Meine Maiden-Toplisten. Nicht mehr und nicht weniger. Ich weiß, dass das keinen interessiert. Aber es gibt Sachen im Leben eines Mannes, die müssen für die Nachwelt dokumentiert werden.
Lieblingsalben:
1. Killers (1981)
Paul Di’Anno, Metalpunkgott. Zweitbestes Derek-Riggs-Cover.
Lieblingslieder: Murders In The Rue Morgue, Purgatory, Killers
2. Powerslave (1984)
Progressiv, sperrig, gottgleiche Martin-Birch-Produktion und bestes Derek-Riggs-Cover.
Lieblingslieder: Back In The Village, Aces High
3. Piece Of Mind (1983)
Mein erstes Maidenalbum. Brutaler Schlagzeugsound und Hammerdebüt für Nicko McBrain.
Lieblingslieder: Where Eagles Dare, Die With Your Boots On, Revelations
4. Iron Maiden (1980)
Atmet gerade wegen der noch altbackenen Produktion den Geist der Siebziger. Meine zweite Maidenplatte.
Lieblingslieder: Prowler, Charlot The Harlot
5. The Number Of The Beast (1982)
Musikhistorisch und songschreiberisch das beste und ausgewogenste.
Lieblingslieder: Invaders, Hallowed Be Thy Name, 22 Acacia Avenue
6. Seventh Son Of A Seventh Son (1988)
Die erste Maidenplatte, die erschien, als ich ein kleiner Pickelmetaller war. Riesensongs, albernes Konzept, komische Produktion.
Lieblingslieder: Moonchild, Infinite Dreams
7. Somewhere In Time (1986)
Drittbestes Derek-Riggs-Cover. Saugute Songs aber mir soundtechnisch zu nah an Def Leppard.
Lieblingslieder: Caught Somewhere In Time, Heaven Can Wait
8. A Matter of Life and Death (2006)
Vor kurzem erst schätzen gelernt. Positiv Progressiv und für die Maiden-Neuzeit erstaunlich ruppig.
Lieblingslieder: These Colours Don’t Run, The Reincarnation Of Benjamin Breeg.
9. Brave New World (2000)
Damals war ich zwar vom Dickinson-Comeback enttäuscht, habe aber eingesehen, dass mir das Album mit vierzehn super gefallen hätte.
Lieblingslieder: The Wickerman, Blood Brothers
10. Dance Of Death (2003)
Objektiv ein sehr durchwachsenes Album. Als ich noch Musikschreiber war, hatte die Tourmanagerin mich aus dem Tourbus geschmissen, weil ich beim geheimen Listening mein Handy an hatte. Dadurch jahrelang Vorurteile.
Lieblinslieder: Rainmaker, Montsegur
11. The Final Frontier (2010)
Der Eindruck ist noch frisch, aber ich glaube, das ist keine schlechte Platte.
Lieblingslieder: The Final Frontier, Coming Home
12. No Prayer For The Dying (1990)
Dieses Album markiert definitiv den qualitativen Niedergang der Band in den Neunzigern. Für mich dennoch eine schöne Erinnerung an meine Zeit als Gymnasial-Rocker.
Lieblingslieder: No Prayer For The Dying, Public Enema Number One
14. Fear Of The Dark (1992)
Mieseste Maiden-Produktion und als Ehrenrettung eigentlich nur der Titelsong. Anbiedernd rockend.
Lieblingslied: Fear Of The Dark
15. The X Factor (1995)
Es tut mir so leid um Blaze Bailey, weil er sicher ein töfte Typ ist, aber er kann halt nicht singen. Sonst wäre das gar kein so schlechtes Album.
Lieblingslied: Man On The Edge
16. Virtual XI (1998)
Siehe 15.
Lieblingslied: Futureal
Lieblingslieder: (Status Quo, der Begriff, nicht die Band)
1. Where Eagles Dare
2. Revelations
3. Murders In The Rue Morgue
4. Prowler
5. Back In The Village
6. Aces High
7. 2 Minutes To Midnight
8. The Wicker Man
9. Wrathchild
10. Invaders
11. Purgatory
12. Moonchild
13. Hallowed Be Thy Name
14. Killers
15. Infinite Dreams
Miesester Maiden-Song: The Angel And The Gambler
Bestes Album-Artwork:
1. Powerslave
2. Killers
3. Somewhere In Time
4. Seventh Son Of A Seventh Son
5. Live After Death
6. Piece Of Mind
7. Iron Maiden
8. Brave New World
9. Fear Of The Dark
10. The Number Of The Beast
Miesestes Album-Artwork:
The Final Frontier
Lieblingsbandmitglieder:
1. Paul Di’Anno
2. Bruce Dickinson
3. Adrian Smith
4. Clive Burr
5. Nicko McBrain
6. Dave Murray
7. Janick Gers
8. Steve Harris
9. Dennis Stratton
10. Blaze Bailey
Abgang
Komisch. Die letzten Jahre kommt es mir immer im August schon so vor, als liege der Sommer in den letzten Zügen. Als Kind war der August mein zentraler Sommermonat. Im August waren Ferien und ich lag den ganzen Tag im Freibad oder vor lauter Heuschnupfen bei verdunkelten Fenstern in meinem Zimmer. Und im September fuhren wir an die Adria und ich über allem in den Wellen. An den Herbst dachte ich frühestens Ende September. Der perfekte Tipp zur Sommeruntergangsstimmung: an einem halbverregneten Augustabend zur Dämmerung auf dem fast leeren Deutsch-Amerikanischen Volksfest in der Clayallee rumhängen.
Das merkwürdige Berlin
Es verschwindet langsam aus unserem Blickfeld, oder es kommt uns so vor. Die Leute, die schon länger oder von Haus aus hier leben, bemerken diese Erschleichung der Bürgerlichkeit sicher schon seit einigen Jahren länger, aber bei uns kommt es jetzt erst an.
Die Wohnung streift ja um Haaresbreite das Touristikzentrum von Berlin, aber selbst da war lange vieles merkwürdig, verfallen, dubios oder zumindest unrenoviert. Neulich war ich im Bötzowviertel und dachte, ich bin in München-Haidhausen. Blonde High Heels tackern am mir vorbei, Kneipen stellen Wässerchen für passierende Jogger auf den Tisch und der leicht übergewichtige grauhaarige Manager am Nachbartisch telefoniert sich den Mund blutig. Der Babyboom regiert die Straßen, schüchterne Teenager lesen Bücher und werden von ihren Freundinnen zum Fahrradfahren abgeholt. Die Läden verkaufen Babyklamotten und schwedisches Designzeugs und T. sagt, da sind sicher viele dabei, wo der Ehemann das Geld bringt und die Kinder schon größer sind und sie sich jetzt endlich den Traum vom eigenen Laden erfüllen kann. Mit schwedischen Babyklamotten.
Nicht, dass mich das alles sonderlich stören würde, denn zum einen lebt man in den meisten deutschen Großstädten so und ich als Ex-Münchner kann ganz gut mit dem schönen Schein umgehen – zum anderen hab ich da, wo ich wohne, noch den Wedding und Moabit als letzte Verteidigungslinie vor der Biowindelgesellschaft im Rücken. Mit jeder Menge merkwürdiger Menschen, Tiere und Bauwerken. Berlin wird die Merkwürdigkeit auch so schnell nicht ausgehen, dafür ist es ausserhalb seines speckigen Szenegürtels viel zu kaputt und abgefuckt. Nur aus dem eigenen Blickfeld entflieht das Kuriositätenkabinett immer mehr, weil einen die Bürgerlichkeit immer mehr in die Zange nimmt. Vor allem die eigene.
Die spirituelle Reise
Wahrscheinlich hab ich gestern Nacht einfach nur zu lange das großartige „Limbo“ gespielt und das Hirn hat deshalb im Schlaf Lambada getanzt, aber in meinem Traum erlebte ich ein monumentales Abenteuer.
Mit einer Gruppe von Leuten brach ich auf Lastwägen auf, um einen geheimen Schatz zu bergen. Einer der Lastwagenfahrer war ein Spion und ich schlug das Führerhaus ein und zerrte ihn aus dem fahrenen Vehikel. Der Wagen ging kaputt, der Spion entschuldigte sich fürs Spionieren und ging woanders hin.
Unsere nächste Aufgabe war, in einem unfassbar großen Multiplex-Kino mit Wasserrutsche einen Hollywood-Komödie zu sehen. Bei dieser Aufgabe zerstreute sich unsere Gruppe in alle Winde und mir fiel mein Portemonnaie in die Wasserrutsche. Also rutschte ich hinterher und war patschnass. Dann traf ich meinen Schwager und verpasste so den Film.
Die Gruppe traf sich wieder und mir fiel auf, dass einer der Gefährten nicht nur aussah wie Peter Fox, sondern auch ein pinkes Polo-Shirt trug. Ich schlug ihm auf den Hinterkopf und sagte: „Gib’s zu, du bist Schweizer. Und deine Freundin auch.“ So in die Ecke gedrängt, konnte er nicht mehr leugnen und er und seine Freunden trollten sich nach dieser unangenehmen Aufdeckung.
Schließlich waren wir in den Sümpfen und tauchten dort nach dem Schatz. Ich fand einen roten iPod-Nano und mir war sofort klar: das ist er. Er funktionierte noch ganz gut, dafür dass er aus dem Sumpf kam und er spielte ein Mixtape aus Folk-Balladen der 90er-Jahre, die besonders gut in einander gemischt waren. Meine Mitreisenden waren sehr enttäuscht von dem Schatz, aber ich sagte zu ihnen: Was wir jetzt aus dieser Erfahrung machen, ist der wahre Schatz. Es ging von Anfang an um unsere spirituelle Reise. Die Kollegen murrten weiter und ich wachte dann irgendwann mal auf.
Sizilien
Und dann in Sizilien gewesen. Weil immer schon dahin gewollt. Aber vorher was anderes: wird jetzt wieder geklatscht nach Landungen? Ich dachte, das wäre ausgerottet.
Und dann in Palermo angekommen. Palärmo. Rollerfahrer, Tod und Lautstärke. Kein Verfall ist schöner als der von Palermo. Und vermutlich ist er auch nirgendwo teurer. Das Essen, der Tod, die Roller. Nur die Lautstärke ist umsonst.
Aber die Stadt ist nicht so ruppig, wie man meinen könnte. Alles verfällt so schön langsam und laut. In diesen Katakomben hinten am Stadtrand hängen Tausende von Toten an der Wand. Mal mehr mal weniger geglückt mumifiziert. Der einzige leise Ort neben den Kirchen. Überhaupt die Kirchen. Innen. Schön. Möchte man fast wieder religiös werden. Verfallend in Ruhe und Würde. Alles verfällt.
Bis auf den Verkehr, wenn du selbst fahren musst. Die Regellosigkeit ist nicht das Problem. An deren inhärente Regeln gewöhnt man sich schnell, an die sekundenschnelle Überwerfung derselben nie. Auf deutsch gesagt: fahren wie Idioten, die Sizilianer. Ich teilweise auch, aber nicht mit dem Leihwagen.
Dann in Siracusa. Aufgeräumt. Kontrollierter Verfall dieses Mal. Gutes Essen. Penette mit Schwertfisch in Pistaziensoße. Überhaupt alles nussig und marzipanig da. Süß und würzig, ganz meine Soßenwelt. Der Strand bei Arenella wurde uns nur beiläufig empfohlen, weil ums Eck. Aber der Sand: Zentimenter für Zentimeter eine einzige Anschmiegung an den Fuß. Und das Wasser. Die Ionische See. So klar und kantig, dass man sich dran schneiden kann. Und will.
Auf dem Ätna dann ein bisschen Enthitzung der Gemüter. A) weil kalt und B) weil man auf den 2000 Metern Höhe, die man mit dem Auto fahren kann, noch nicht soviel mitbekommt von der herrlichen Bedrohlichkeit so eines Vulkans. Ausser man hört ganz genau hin in den stillen Momenten. Dann hört man das Herz von dem Vulkan schlagen. Und wenn es lauter wird, dann fährst du besser nach Hause. Oder zur Isola Bella, wo du im Pool über der Insel herumturnst bis du müde wirst und mit der Balkontür zum Meer einschläfst. In aller Ruhe.
In Cefalu dann wieder Lautstärke durch touristischen Befall. Am Abendbuffet im Hotel gewalttätige Renterbataillonen, wenns darum geht, wer als Erster am gegrillten Gemüse stehen darf. Aber selbst schuld, wenn man in so einem Land im Hotel Tourist weilt. Aber manchmal gewinnt die Faulheit, der Verfall der Ambitionen. Morgens vor dem Flughafen kein Mensch. Keine Seele. Und leider auch keine Tankstelle für den Mietwagen. Im Flughafen dann aber doch eine Horde älterlicher Germanen, die offenbar schon drei Stunden vor Flugbeginn eine Einreihung gebildet hat. Überhaupt wieder alles Idioten, die man so trifft. Nicht nur die Landsleute. Reisende im Allgemeinen. Manchmal glaube ich, die Leute werden immer dümmer. Von Jahr zu Jahr. Man muss ja nur die Nachrichten lesen. Die Regierung anschauen. In Urlaub fahren. Überall der Verfall. Es wird wieder geklatscht bei Landungen.
Wie ich einmal die Melancholie verlor*
Nothing to regret
(Slayer – Dittohead)
Es gab einmal eine Zeit, da war ich der Melancholie fetteste Beute Deutschlands. Ich brauchte nur morgens aus dem Fenster schauen und schon überkam mich die Erinnerung an Exfreundinnen, Autofahrten in bayrischen Sommern meiner Jugend oder Studentenparties mit Schwarzem Afghanen im Nussjoghurt. Und das war nur beim Aus-dem-Fenster-schauen. Frag nicht, was passierte wenn ich zum Aus-dem-Fenster-schauen auch noch Musik gehört habe. Ich hab diese Melancholie immer angenommen. Hab immer gedacht, mein Gott, was soll’s, du bist halt so ein Melancholischer. Und als Speichermedium hab ich sie benutzt. Speichermedium für wie man sich gefühlt hat. An die Fakten erinnerst du dich ja in den meisten Fällen, aber selten wie etwas gerochen hat, oder wie einem der Bauch mitgespielt hat oder anderes metaphysisches Zeug. Die Musik und die Melancholie, das war also der Speicherstand von meinen Herzensabenteuern der vergangen Jahre. Damit hab ich mich abgefunden.
Irgendwann ist die Melancholie aber von einem Tag auf den anderen weg gewesen. Ich will jetzt nicht auslassen, dass das koinzidierend mit einer Frauengeschichte zusammengefallen ist, aber es war schon erstaunlich. Weil da zerreisst du dir jahrelang das Herz und zermarterst dir das Hirn, alles wegen ein paar Liedern und Wetterszenarien und dann stehst du eines Morgens auf und schaust aus dem Fenster wie jeder normale Mensch auch. Jetzt war ich aber nicht neu verliebt oder so über Gebühr Glückbetankt, dass die Melancholie praktisch von der Glückseligkeit erquetscht worden wäre. Ganz im Gegenteil: das Mädel, um das es jahrelang ging, war von heut auf morgen unter die Kofferpacker gegangen, und hatte mir das noch schlagende Herz herausgerissen und gesagt: „Schau, das Ding schlägt doch immer noch, ich weiß gar nicht was du hast.“
Also von guten Zeiten keine Rede. Und auch nicht davon, dass ich ab dieser Amputation nicht mehr an dieses Unmädchen gedacht hätte. Geärgert hab ich mich noch oft und geflucht wurde wie ein Unwetter. Aber die Melancholie, die war weg. Wenn man es simplifiziert, ist die Melancholie ja ein Mittelweg aus Verzweiflung und Hoffnung und genau dieser Mittelweg war plötzlich verschwunden. Wutanfall oder Spaßausbruch, aber kein Mittelweg mehr. Das war dann schon gewöhnungsbedürftig am Anfang. Du sitzt im Auto und da kommt ein melancholisches Lied, das du mit diesem Unmädchen gehört hast, die Sonne scheint aufs Amaturenbrett und du spürst nichts. Da hätte jetzt auch was von Slayer laufen können, gleiches Resultat. Keine Melancholie. Keine Seele, kein Gefühl, noch nicht einmal ein Gedanke. Ein bisschen war das so, als hätte man den Geruchssinn verloren. Aber da sieht man mal, wie der Mensch gleich wieder undankbar wird. Weil auch wenn ich mir jahrelang eingeredet habe, du musst die Melancholie annehmen, das gehört nun einmal zu dir wie der grässliche Wind zu Ostberlin – in Wirklichkeit hat mich die Melancholie ganz oft gehandicappt im Leben. Vor allem im alltäglichen Leben.
Ich mein, du gehst in den Supermarkt und musst dringend einkaufen, weil daheim alles weg, und plötzlich stehst du vor dem Gewürzefachregal und siehst den Kümmel, von dem sie damals gesagt hat, den kaufen wir dir jetzt, weil du ja nicht immer nur mit Salz würzen kannst. Heute weiß ich, dass ich das sehr gut kann, aber das ist eine andere Geschichte. Na, auf jeden Fall stehst du vor dem Gewürzefachregal und starrst auf den Kümmel und musst fast heulen. Der Supermarkt schiebt seine Regale ganz dicht an dich heran und du fühlst dich furchtbar ertappt und bloßgestellt so in der Öffentlichkeit mit deiner Melancholie. Du rennst nach Hause, ohne die Sachen gekauft zu haben und es ist gleich Sonntag und nichts ist daheim. Und nur wegen der Melancholie. Das Kapitel Melancholie nach Alkoholgebrauch möchte ich eigentlich noch nicht einmal ansprechen. Was sich da oft für Szenen in Bars und Diskotheken abgespielt haben. Wie oft mir da die Melancholie schon einen Strich durch den Wochenendfick gemacht hat, ach, ich will’s gar nicht wissen.
Ja und heute ist sie weg, die Melancholie. Jetzt sind aber in der Zwischenzeit in meinem Leben durchaus schlimmere Sachen passiert als so ein Herzherausriss von so einem Unmädchen. Und es ist nicht so, dass ich mich nicht geärgert hätte oder auch ein bisschen globalverzweifelt. Aber von Melancholie war da keine Spur. Nichts hab ich erhofft und nichts bedauert. Es war halt wie’s war und jetzt ist es wie’s ist. Jetzt hör ich euch sagen: Ach, entweder der lügt uns an oder der ist eine ganz arme Sau, wenn der gar nicht mehr melancholisch sein kann. Und ich gebe es zu: ein bisschen merkwürdig ist das schon heute immer noch, einfach so in der Früh aus dem Fenster schauen und einfach nur den Verkehr sehen. Oder die Müllabfuhr. Aber man gewöhnt sich ja an alles.
*Diese Geschichte stammt aus der Reihe KURZSCHLUSS, einer Initiative von dragstripgirl.de. Weitere Beiträge zum Thema „vergessen/vergessen werden“ findet man bei
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*Die Merkwürde des Menschen ist unantastbar.
Ein Samstag im Februar aber ohne Angst
Es ist schon merkwürdig wie furchtgetrieben unsere Gesellschaft ist. Wir machen uns mehr ins Hemd als jede unserer Vorgängergesellschaften, dabei ist zumindest ein westeuropäischer Alltag sicherer als das Amen in der Kirche. Selbst wenn jede Woche vier Flugzeuge vom CIA, äh, ich meinte arabischen Terroristen entführt werden, wäre Fliegen noch hunderte tausende Male sicherer als Autofahren. Jetzt stell dir vor, du würdest jedes Mal bevor du ins Auto einsteigst, gefilzt und geröntgt werden. Igitt und das Internet ist ja sowieso die größte Gefahrengrube. Pädophile, Raubkopierer und Pornoproduzenten. Scheckkartenhacker, Online-Versand-Nepper und ungeprüfte Teppichhändler. Lebensgefahr kann man da nur sagen. Aber das ist ja nicht alles: weil am meisten haben die Leute ja heutzutage ja Angst, dass sie nicht das bestmöglichste aus ihrem Leben machen, als da wären: Gangsterrapper, Chefkoch, Hundetrainer, Mutter von sieben Kindern, Ortsvorstand der FDP, Rockmusiker, Pornodarsteller, Bonusbanker, Buchautoren oder Blogger mit Monatsfestgehalt. Und auf jeden Fall ins Fernsehen. Ich weiß, ich hab das alles schon mal geschrieben, aber als Blogger ohne Monatsfestgehalt darf ich mich ja wiederholen wie ich grad lustig bin. Zurück zur Furchtgesellschaft: ein mitreissendes Klima, wie ich finde. Früher hatte ich weniger Angst, aber seit alle soviel Angst haben, bin ich auch ein bisschen ängstlicher geworden. Den Tod fürchte ich zum Beispiel neuerdings und ihm vorangehende Krankheiten. Das hat wohl auch mit dem Alter zu tun. Aber eins hat sich nicht geändert, egal ob ich mich früher vor einer Physikklausur gefürchtet habe oder heute vor der totalen Sinnentleerung unserer Gesellschaft: Mit drei Nachmittagsbier an einem sonnigen Samstagnachmittag ist die Furcht wie fortgeschwemmt. So mir nichts dir nichts. Saufen rentiert sich. Und wenn jemand was anderes sagt, dann lügt er oder hat Angst vorm Bier.