Die Lesereise II – Erlangen, München

The Road is life
(Jack Kerouac, On The Road)

27.02.2013 Erlangen, E-Werk

Nach Erlangen fahre ich im Zug, weil ich leider an einer Übersetzung arbeiten muss, statt unter dem Einfluss von Alkohol und Ibuprofen 600 Joe Danger auf dem iPad zu spielen. Unser Zug hat Verspätung, weil sich jemand mutmaßlich vor den Zug vor uns geworfen hat (was außer mir absolut niemand zu beunruhigen scheint), und wir stehen eine Runde Ewigkeit in einem fränkischen Kaff herum, dessen Name noch nicht einmal auf dem Bahnhof steht. Als ich im E-Werk ankomme, riecht es so dermaßen nach Schwefel, als hätte Luzifer persönlich einen Schors gelassen, und wenn das mal kein gutes Omen für eine Black Mandel/Die Beichte-Lesung ist (Insider wissen wovon ich schreibe), dann weiß ich es auch nicht.

Hinter dir, ein dreiköpfiger Affe! (2013)

„Guybrush? Is that a French name?“
„No, actually it’s a fictional name.“

(Was jetzt gleich folgt, ist die Neuabmischung eines alten Blogeintrags vom 7. August 2006, wieder ausgegraben zu Ehren des jüngst verschiedenen Spielestudios LucasArts)

Mein Mitbewohner und ich waren uns nicht sonderlich ähnlich. Er war ein Bär, ich ein Hemd (zumindest vor meinem Ferienjob als Bierfahrer bei Thurn & Taxis). Er las Bukowski, ich Anne Rice. Er hörte Van Morrison, ich Rancid. Er ging ins Irish Harp, ich in die Alte Filmbühne. Er kam aus Oberbayern, ich aus Niederbayern. Trotz dieser entzweienden Unterschiede fanden wir unsere Gemeinsamkeiten. Da war zum einen das Saufen und zum anderen die Weiber. Da war unsere Liebe zum FC Bayern und zur Formel 1 und unser Wettbewerbsgeist, den wir in „Wer kommt später und besoffener nach Hause“ auslebten und uns aber auch als Verlierer sportlich gaben, indem wir versöhnlich nachts im Vollrausch Darts spielten und/oder nackt durch die Wohnung tanzten. Im Grunde genommen hatte ich bei diesem Gesamtwettbewerb sowieso nie eine wirkliche Chance und kam über Etappensiege nicht hinaus. Wie soll man auch gegen jemand gewinnen, der drei Tage lang nicht vom Trinkengehen wiederkehrt, nachdem er sich an einem x-beliebigen Sonntag Nachmittag kurz mit „Ich geh schnell auf eine Halbe zum Kneitinger“ verabschiedet?

Letztlich passten wir uns sowieso immer mehr aneinander an, so dass ich mit ins Irish Harp und er mit in die Filmbühne kam, ich Van Morrison und er die Mighty Mighty Bosstones hörte, und wir uns beide gleichzeitig die Haare abrasierten und Drehbücher für unseren Anrufbeantworter schrieben. Wir erfanden Rituale wie die feierliche Ventilatorprozession, an der wir jeweils am Sommeranfang und Ende unsere Ventilatoren vom Dachboden holten, bzw. zurückbrachten, und wir entdeckten eine gemeinsame Leidenschaft, die uns an manchen Tagen zu einer unkontaktierbaren Wohngemeinschaft machte und die ebenfalls unserem Faible für Wettbewerbe entsprach: Das simultane Lösen von Adventure Games aus dem Hause Lucas Arts.

Wir haben sie wirklich alle gespielt: The Dig, Indiana Jones, Sam & Max, Full Throttle, Day Of The Tentacle, Maniac Mansion, Zak McKracken etc. Doch am eindrucksvollsten war für uns immer die Monkey Island Reihe. Sie ging mit all ihren merkwürdigen Charakteren in unsere Alltagssprache und unseren Humor ein. Stan, der nervige (Schiff/Sarg/etc)Händler wurde beispielsweis zum Sinnbild für enervierende kaufmännische Angestellte im echten Leben.

Angefangen hat alles mit einem langweiligen Sonntagnachmittag, an dem ich meinen Mitbewohner fragte, ob er nicht ein Computerspiel für mich zum Zeitvertreib hätte. Er überreichte mir geradezu feierlich The Curse Of Monkey Island und als ich ein wenig die mangelnde Aktualität beklagte, wurde er leicht mürrisch und versprach mir nicht nur einen hochgradig humoristischen Spielverlauf sondern auch nervenzerfetzendes Verzweifeln an diversen Rätseln. Er behielt in beiden Aspekten Recht, wobei ich diesen Teil noch auf eigene Faust lösen konnte, und das war mir auch ein Anliegen wegen des Wettbewerbsgedanken. Schließlich wartete Teil zwei, Le Chuck’s Revenge, längst auf mich und hier wurde ich von meinem Mitbewohner gezwungen, die Variante mit den extrabrutalen Rätseln zu spielen. Er spielte parallel mit, um sich zu beweisen, wie intellektuell überlegen er mir war. Aber auch ich kam aufgrund von vermehrten Nachteinsätzen an seinem PC langsam aber sicher voran, vor allem wenn er mal wieder drei Tage nicht auftauchte.

Ich kam zwar voran aber eben nur bis zu einer gewissen vermaledeiten Stelle. So sehr ich mich mental abmühte und grübelte – und ich grübelte an der Uni, in den Kneipen und zwischen den Haxen meiner Liebschaft -, kam ich einfach nicht auf den entscheidenden Lösungsschritt, der den weiteren Handlungsverlauf von Monkey Island 2 auslöste. Wochenlang steckte ich fest, ich war kreuzunglücklich. Ein Internet kannten wir in jenen Tagen nur in Zeitlupe aus dem sogenannten ZIP-Pool an der Uni, Suchmaschinen nur vom Hörensagen und Lösungsbücher waren mit 16 DM eindeutig zu teuer. So gab es nur einen, der mir aus meiner Misere hätte helfen können. Aber ich wollte lieber von Le Chuck, dem Geisterpiraten aufgefressen werden, als meinen Mitbewohner um Hilfe zu bitten. Und das wusste er.

Und so legte er mir eines Tages einen kleinen Briefumschlag auf den Rechner, auf dem in blauer Tinte fein säuberlich geschrieben stand:

„Monkey Island Hint Letter. To open means to capitulate.“

Was für ein hinterlistiger und leider auch gewiefter Sportsmann. Ich trank ohnehin nicht gerade wenig zu der Zeit, aber ich begann, noch mehr zu trinken und zu kiffen und hoffte auf toxische Träume, in denen mir die Vision vom richtigen Handeln kam und ich am morgen das verschissene Spiel lösen konnte, ohne diesen verfickten Brief zu öffnen. Selbst der Sex war nicht mehr derselbe, so sehr lag all mein Streben und Denken in diesen düsteren Sommertagen auf der Lösung meines Monkey-Island-Problems. Doch egal, wie groß meine Pein auch war, ich schwor mir, den verschissenen Lösungsbrief meines Mitbewohners nie und nimmer zu öffnen.

Zwei Tage später öffnete ich den Brief. In derselben säuberlichen Schrift und der edelblauen Tinte stand in Gedichtform geschrieben, dass ich einfach das Guybrush-Wanted-Poster gegen das Flugblatt von Käpt’n Kate hätte austauschen müssen, ab da ergab sich der Rest quasi von selbst. Es war eine simple Frage von „Benutze X mit X“ gewesen.

Mein Mitbewohner verkniff sich fairerweise die ganz große Häme, aber ich weiß, dass er bis zum heutigen Tag triumphierend in unserer ehemaligen Altstadtwohnung hoch oben über der Stadt thront und sich in die Freibeuterfaust lacht. Wir haben dann Teil drei und vier gleichzeitig gegeneinander gespielt und gewonnen haben wir abwechselnd, je nachdem wer am meisten Zeit hatte, nicht saufen zu gehen. Entsinne ich mich recht, haben wir uns sogar gegenseitig Dates zugeschanzt, damit der andere abgelenkt war und man wieder eine Nacht den PC und das Spiel für sich hatte.

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Die Lesereise II – Münster, Köln, Mainz

Du hast dir dein Leben ganz anders vorgestellt.
Viel zu viel Theater für viel zu wenig Geld
Du hast den Jesus-Blues, was zum Teufel ist da los?

(Berni Mayer, „Der Jesus-Blues“, unveröffentlicht)

21.02.2013 Münster, Fyal
So angenehm eine Zugfahrt sein kann (wenn man nicht gerade verkatert neben Rotkäppchen-Sekt-Trinkern sitzt), so toll sind Autofahrten mit Kumpels. Man entwickelt saisonale Hymnen, an die man sich auch nach Jahren noch erinnert. Letztes Jahr in Leipzig war es ein Sampler mit Hip-Hop-Musik aus GTA: San Andreas (Dre, Snoop, Cube, NWA etc), dieses Jahr war es unerwarteterweise „Whipping Post“ von der „Allman Brothers At Filmore East“, was schon aufgrund der Länge (23min) nicht unbedingt auf seine Hymnenhaftigkeit hindeutet. Honorable Mentions gehen an „Bad Girls“ von M.I.A., an Taylor Swift, Frank Ocean und Django Django.

Ich war noch nie in Münster und muss zugeben, dass ich fast ein wenig erschrocken ob der absoluten Aufgeräumtheit der Stadt bin. Grade wenn man aus Berlin anreist, hat man das Gefühl sich unberechtigt eingeschlichen zu haben in diesen unterkühlten Wohlstand, obwohl ich natürlich weiß, dass das nur ein Vorurteil sein kann. Die Lesung im Fyal ist weniger aufgeräumt, was zum einen daran liegt, dass im Keller hinter/unter mir ein Studententreffen stattfindet, dessen Wortlaut ich nur allzu genau während meiner Lesung wahrnehme, zum anderen habe ich zwischen der letzten Lesung und jetzt einen Stand-Up-Comedy-Auftritt absolviert, nach dem ich mich für so unglaublich komisch halte, dass mein Eingangsmonolog nur glorios scheitern kann. Allerdings sind die Leute auch danach weder besonders konzentriert noch interessiert. Nie wieder Gratislesungen, denke ich, bis zur nächsten Gratislesung. Es ist aber auch Positives an diesem Abend zu vermelden, denn ich trinke fast im Alleingang auf zwei Stunden eine halbe Flasche Jack Daniels aus.

22.02.2013 Köln, Lichtung
Dementsprechend todessehnsüchtig breche ich den nächsten Tag und den nächsten Teil unserer Dom-Tournee (Münster, Köln, Mainz) an. Zudem fällt uns ein, dass wir vergessen haben, uns in Köln um eine Unterkunft zu kümmern. Das herzhafte Pancake-Frühstück im Münsteraner Hotel wird somit durch ein paar hektische Telefonate meinerseits mit diversen Pensionen und Jugendherbergen getrübt, denn in Köln ist – wann eigentlich nicht – Messe. Irgendwie schaffen wir es doch, am Bahnhof in einem Hostel unterzukommen, in dem man zirka 27x in andere Gebäudeteile abbiegen muss, um in seine Schlafkammer zu kommen. Einen Großbrand möchte man hier nicht erleben. Die Lesung selbst ist dann super, weil ich geprügelt von Münster mit großer Demut und Sorgfalt (und ohne Stand-Up) lese und Musik mache, und sich so tatsächlich eine recht ausgelassene Stimmung entwickelt, vor allem beim Stück „Die Beichte“, aber da ist auf die Katholiken-Hochburgen eh immer Verlass. Ich glaube, in Köln fängt auch das Phänomen an, dass die Leute lachen, sobald ich einen Ford Focus erwähne. Zudem kommt hier eine Eigenkomposition namens „Jesus-Blues“ so gut an, dass ich auch weiterhin an ihr festhalte, obwohl man doch wissen sollte, dass der Frohsinn in Köln etwas großzügiger gestreut wird als beispielsweise in Erlangen. Während und nach der Lesung trinke ich weiter Whisky, obwohl mir meine Ärzte zu Wodka geraten haben, und stehe noch einige Stunden in der Winterjacke in einem Club herum. Der freundliche Linus Volkmann ist da, freundliche entfernte Kölner Verwandtschaft, irgendjemand kommt, irgendjemand geht und ich dämmere angenehm tumb vor mich hin. Es gäbe sicher einiges zu sehen im freitäglichen Kölner Nachtleben, aber ich musste mein gesamtes Pulver ja schon in Münster mit Jack Daniels verschießen. Am nächsten Tag hab ich eine aufgewärmte Erkältung, wenn es so etwas gibt.

23.02.2013 Mainz, Buchhandlung Bukafski
Nach einem French Toast im Halmakenreuther, wo Sky-Legende Ecki Heuser den Geburtstag seiner Tochter feiert, falls mich mein Katerauge nicht trügt, fahren wir durch eine wildestes Schneewehen weiter nach Mainz, wo uns der großartige Musikmacher und Gitarrenspieler Thomas Müller empfängt. In Vorbereitung auf die Lesung spielen wir zusammen „New Slang“ von den Shins und eine Maxiversion von „Nix mitnehma“, wie wir sie auf der tatsächlichen Lesung in der Euphorie nicht mehr hinbekommen werden (siehe Foto). Danach gehen wir in die Kneipe und sehen wie der FC Bayern zur Abwechslung mal wieder ein Spiel gewinnt. Die Lesung selbst ist eine runde Sache, vor allem, weil die Gitarrenduelle zwischen Thomas Müller und mir mich davon ablenken, dass ich mittlerweile eigentlich nicht mehr nur leicht erkältet bin. Nach der Lesung entwickelt sich ein ungezwungenes Herumgehänge, was irgendwann in einem Club, dessen Namen ich vergessen habe, mündet. Das Besondere ist aber auch nicht der Name, sondern die Stereoanlage, in die – egal was man ihr füttert, alt oder neu – am Ende ein 60er-Jahre-Garagensound herauskommt. Wie schon in Köln bin ich geistig nur noch halbanwesend, bekomme aber immerhin mit, dass mein Kumpel J. sich wünscht, eine Woche lang der sehr passioniert und gleichzeitig völlig indifferent gegenüber dem echten Leben wirkende Garagen-DJ dort oben in der Kanzel zu sein. Nachdem wir uns vom guten Thomas Müller und vom guten Matthias vom Bukafski verabschiedet haben, legen wir uns in der WG in ein Erkerzimmer. Plötzlich kommt die freundliche Mitbewohnerin ins Zimmer hineingeschossen und warnt uns intensiv vor dem Erfrierungstod, weil es in dem Zimmer keinen Heizkörper gibt. So schlimm wird’s schon nicht werden, denke ich, bis ich nachts davon aufwache, dass mein Haar Frost ansetzt. In zwei Hosen, drei Pullovern und zwei Schlafsäcken überleben wir die Nacht dann aber knapp und fahren am nächsten Tag zurück nach Berlin, sechs Stunden durch die größte Schneematschscheiße, die ich in meinem ganzen Leben je auf einer Autobahn gesehen habe.

Die Lesereise II – Köln, Düsseldorf

Nobody knows what’s gonna happen at the end of the line,
so you might as well enjoy the trip.

(Manny Calavera in „Grim Fandango“ von Lucasarts)

14.12.2012 Köln, 1LIVE Klubbing

Es ist ja jedes Mal ein Kulturreisen der beinahe höfischen Art wenn man vom WDR bzw. 1LIVE eingeladen wird. Man wird geflogen, chauffiert, untergebracht und am Ende sogar noch bezahlt. Für einen reisenden Lesenden ist das wie ein eigener Nightliner. Am Ende verfällt man beinahe noch in den Irrglauben, man wäre schon eine Persönlichkeit. Dementsprechend irrgläubig gut gelaunt komme ich an einem Freitagabend an, aus dem eisigen Berliner Dezember hinein in das zehn Grad wärmere Köln. Das schöne an jedem Kölnbesuch ist, dass ich danach immer bis ins Detail über den Effzeh Bescheid weiß und das verdanke ich den Taxifahrern. Kurioserweise läuft genau wie beim letzten Mal als ich bei 1LIVE war gerade ein Bayernspiel im Fernsehen und analog zum letzten Besuch schaue ich mir auch dieses Mal die zweite Halbzeit im Sender an, wo man Himmel und Hölle in Bewegung setzt, um mir in die Redaktionsräume einen Sky-Sport-Empfang zu legen.

Pünktlich nach Abpfiff (ich glaube aber, das man jetzt nicht extra gewartet hat, bis ich mit Fernsehschauen fertig war) bin ich dran und betrete minutiös geplant unter donnerndem Applaus (man darf träumen) die Lesebühne, wo mich Mike Litt gerade wärmstens angesagt hat. Und dann gehe ich wieder. Weil ich nämlich meine Brille vergessen habe und ohne das Buch einen halben Kilometer weit weg halten müsste, um aus Buchstaben einen Sinn zu bilden. Zwanzig Sekunden später bin ich dann allerdings wieder da und bekomme so als erster Klubbing-Künstler einen doppelten Antrittsapplaus.

Nach der Lesung ist mir noch ein wenig nach Vollabschuss und ich nutze eiskalt ein paar junge Leute aus, die den Fehler gemacht haben, mir nach dem Auftritt eine Frage zu stellen. „Was macht ihr denn jetzt noch so?“, frage ich zurück und schon haben sie mich und meine Whisky-Wut am Hals. Erster Stop: Privatwohnung mit Glühwein und original Salzwedeler Baumkuchen, wenn ich das noch richtig im Kopf habe. Baumkuchen, der Exzess kennt keine Grenzen! Danach entspinnt sich ein angenehmer Irrlauf in der lauwarmen Kölner Dezembernacht zwischen Büdchen und Bars, der auf meinen Vorschlag hin im Underground endet, weil ich Pennywise mit „Fuck Authority“ hören möchte. Stattdessen tanzen wir zu Reggae, was spaßiger ist, als es sich anhört. Das alles endet dann so spät, dass ich eigentlich umgehend zum Frühstück gehe. Als ich mich auf den Weg zum Hauptbahnhof mache, ist es bereits T-Shirtwarm.

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(Foto aus der Kassette von Martin Svitek, danke)

15.12.2012 Düsseldorf, Kassette
Komischerweise ist es in Düsseldorf aber immer noch kalt und es ist ein unwahrscheinlicher Glücksfall, dass mich Veteranenbloggerin und Veteranenbloggerpflegerin Lu ein paar Stunden bei sich aufnimmt und mich mit Tee, Kaffee und scharfem Essen wiederbelebt und anschließend in die Düsseldorfer Altstadt bringt wie einen ABC-Schützen. Bis es allerdings so weit ist, sitze ich drei Stunden lang leblos auf einem Stuhl und warte, dass dieser wahnwitzige Kater weggeht. Und damit meine ich nicht die Katzen von Lu. In der Kassette ist es recht gemütlich, was meinem Erschöpfungszustand entgegen kommt. Ich spiele auf der verstimmtesten Gitarre der Welt „Outdoor Type“ und tatsächlich war ich selten weniger Outdoor-Type wie an dem Abend. Ich gebe ja zu, dass jetzt nicht ganz Düsseldorf auf meiner Lesung ist, aber im Verhältnis zur Zuschauerzahl werde ich nie wieder so viel Bücher an einem Abend verkaufen wie in der Kassette. Nach der Lesung erfahre ich, was eine Trichterbrust ist, tausche mit den Besitzern Lieblingssketche von Badesalz aus und rauche in der Gästewohnung eine Kräuterzigarette, die mich so irrsinnig werden lässt, dass ich anfange, Logik- und Anschlussfehler in einem Brosnan-Bond zu beklagen. Es ist Zeit fürs Bett.

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Die Lesereise II – Berlin

Nobody knows what’s gonna happen at the end of the line,
so you might as well enjoy the trip.

(Manny Calavera, in memoriam Lucas Arts)

03.12.2012 Berlin, Heimathafen, Buchpremiere

Der offizielle „Tourstart“ nach dem kuriosen „Warm-Up“ in Moabit soll im wunderschönen Heimathafen in Neukölln stattfinden. Ich kann jetzt schon vorausschicken, dass mich an dem Abend am meisten beeindruckt hat, dass meine Nachbarn zu Fuß zur Lesung gekommen sind. Ich wohne in der Nähe vom Nordbahnhof, falls mal jemand die Entfernung zum Heimathafen googeln will. Ich selbst bin allerdings auch vom Cottbusser Tor bis rüber zum Heimathafen gelaufen, weil ein ominöser polizeilicher Großeinsatz an der Schönleinstraße (mit Rauch aus dem U-Bahn-Abstieg) die städtische Infrastruktur komplett lahmgelegt hatte. Bis heute weiß ich nicht, was da los war, auf jeden Fall ist in der Folge jeder Taxi gefahren, deshalb war keins mehr für mich übrig. Die eigentliche Lesung verfügt über gleich drei „Stargäste“. Das ist zum einen mein Sidekick und Medienbranchen-Mentor Markus Kavka, dann der Kabarettist, Schauspieler und Schlegelstraßenkumpel Rüdiger Rudolph und der Black-Metal-Sänger Janni Ratten von Occvlta, für alle die sich kein v für ein u vormachen lassen.

Die bei dem Sujet etwas gewagte Mischung aus Comedy und Fachliteratur in bürgerlichem Theaterambiente und bei Kerzenlicht geht auch dank Jannis „Rocktasche“ (erinnert sich jemand noch an das B3-Format?) gut, aus der er Genreperlen wie Darkthrone und Mayhem holt, sie nicht nur auflegt, sondern sie auch unter den interessierten Laien im Publikum zirkulieren lässt, immer mit dem Hinweis, dass man gefälligst drauf aufpassen soll. Ja, so sind Vinylleute, sonst gäb’s ja auch gar keins mehr. Ich verkneife es mir aus Angst vor Unvintagehaftigkeit zu sagen, dass ich dieselben Platten alle auf CD oder Mp3 habe.

Rüdiger Rudolph, der charmante Mensch, erzählt von der unfreiwillig konfessionellen Frühbildung seiner Tochter und den Bibelanfeuerungsrufen („Mehr Bibel, mehr Bibel“) des kleinen Sohns eines Schlegelstraßenkumpels (aha) und leitet damit sehr gut zum Themenkomplex Katholizismus über, der mit dem Lesestück „Die Beichte“ ab jetzt den traditionellen zweiten Teil meiner Leseroutine darstellen soll.

Markus Kavka erzählt, wie er als Ministrant Schnaps in den Messwein gemischt hat und mit Dimmu Borgir auf einem Fjord herumgerudert ist. Kurz vorher hatten wir uns noch bei der Aufzeichnung für FLUX.FM eine erbitterte musikalische Endzeitschlacht von Moll- gegen Testosteron geliefert. Raten Sie mal, wer für welche Tonalität stand. Die Lesung geht zu Ende, wie jede Lesung mit Markus Kavka zu Ende geht – mit einem Lied, bei dem er eigentlich nicht mitsingen will. Neben dem sich zum Tourstandard entwickelnden „Nix mitnehma“ (Dylan/Ringsgwandl/Mayer) spiele ich hier einmalig „Strada Del Sole“ von Rainhard Fendrich, noch nicht ahnend, dass sich ab dieser Woche die „Sole“ für die nächsten fünf Monate aus Berlin verabschieden würde. Danach finde ich mich einigermaßen mit Jameson abgefüllt im Fluxbau wieder, während es draußen angefangen hat zu schneien. Jetzt beginnt die eigentliche, die Winterreise.

Zum Abschluss noch eins der Videos die ich an dem Tag zur Veranschaulichung von Black Metal gezeigt hatte.

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Die Lesereise II – Moabit

To travel hopefully
is a better thing than to arrive.

(Robert Louis Stevenson)

Vorwort

Der Begriff „Lesereise“ mag nach wie vor irreführend sein, da er in der Vorstellung mancher einen ununterbrochenen Aufenthalt weg vom Zuhause impliziert. Da ich jedoch ein sehr heimatverbundener (und Heimat ist da, wo ich meine Chicago-Cubs-Mütze hinlege) Geselle bin und es sowieso unmöglich ist, eine zusammenhängende „Lesereise“ zu buchen, betitelt der Begriff eben nur eine durch die Veröffentlichung meines zweiten Buchs verbundene Serie an Terminen, die eigentlich mit der Buchpräsentation im Dezember beginnen müsste, aber dann doch schon im Oktober in Berlin, Moabit beginnt, nicht nur, weil ich dort das erste Mal ausgiebig aus dem neuen Buch vorgelesen habe, sondern auch, weil Ihnen als Leser sonst eine gute Pointe durch die Lappen gehen würde. Hier ist Teil eins der zweiten Lesereise. Teil eins steht hier.

25.10.2012 Berlin, Dorotheenstädtische Buchhandlung

August 2012. Der Inhaber der Dorotheenstädtischen Buchhandlung, Klaus-Peter Rimpel, hatte mich bereits vor etlicher Zeit am Telefon davor gewarnt, ihm wichtige Informationen per Email zukommen zu lassen. Weil ich in meinen postmodern versauten Sturschädel aber nicht hineinbekommen will, dass jemand nicht 834 Mal am Tag so wie ich in seinen Mail-Account schaut, geschweige denn vielleicht gar keinen hat, oder nur einen den nur der computeraffine Neffe jedes halbe Jahr stellvertretend kontrolliert, habe ich die PR-mäßige und terminliche Koordination ganz meinen digitalen Instrumentarien überlassen und für den 25. Oktober einen Lesetermin in dieser schmucken Buchhandlung in Moabit vereinbart.

25. September 2012: Ich liege in einer ungewaschenen Adidas-Hose und einem Bayern-München-Trikot auf der Couch meines Wohnzimmers, ein ganz knapp abgelaufenes Heineken in der Hand, und schaue in Halbdösigkeit die Vorberichterstattung zu Bayern gegen Wolfsburg, als um 20:15 das Telefon klingelt.
„Herr Mayer, wir sind jetzt verabredet“, sagt eine tiefe Stimme.
„Wer ist da?“, frage ich.
„Buchhandlung Rimpel, Moabit“, sagt die Stimme. „Hier sind 25 Leute, die auf sie warten.“
„Das kann nicht sein, ich komme erst einen Monat später“, sage ich, bin aber schon innerlich schweißüberströmt und rase auf meinem Rechner durch alle E-Mails mit dem Stichwort „Moabit, Lesung“.
Ich habe keine einzige Stelle aus irgendeinem Buch vorbereitet und biete Herrn Rimpel aber dennoch an, mich in Jogginghose und Bayerntrikot ins Taxi zu setzen. Herr Rimpel sagt, das müsse nicht sein, er könne den Leuten die Terminverschiebung mitteilen, nur die PR könne er für den neuen Termin nicht wiederholen, er habe ja schließlich brieflich schon vor über einem Monat alle relevanten Zeitungen informiert.
„Ja Scheiße“, sage ich. „Das ist mir unangenehm, und es tut mir leid, aber es ist auch nicht meine Schuld, Sie haben den Termin falsch notiert“, sage ich und hätte mir dann natürlich auch gleich die Entschuldigung sparen können, wenn ich den Satz so patzig weiterspreche. Im Nachhinein denke ich mir, ich hätte mich einfach im Trikot ins Taxi setzen sollen, scheißegal, wer jetzt den Termin verbaselt hat – ich wars übrigens nicht.

25. Oktober 2012: Im Einverständnis mit Herrn Rimpel komme ich dann genau einen Monat später wieder nach Moabit, ziemlich vollgefressen und Ouzo-druckbetankt von einem erdigen und sehr freundlichen Griechen in der Wilhlemshavener Straße zurück und treffe auf sieben Leute, die von den angeblichen 25 aus dem falschen Termin vom Vormonat noch übrigen geblieben sind. Gut, dass ich noch ein bisschen der Verwandtschaft Bescheid gesagt habe. Am Ende wird noch eine sehr schöne Lesung mit äußerst aufmerksamem Moabiter Literaturpublikum daraus, wie ich es in der Freundlichkeit selten erlebt habe. Nach der Lesung nimmt mich Herr Rimpel beiseite und sagt zu mir:
„Ich war zunächst skeptisch, was Sie betrifft, Herr Mayer, aber jetzt bin ich mir sicher, dass aus Ihnen noch einmal etwas wird. Sie dürfen also gerne wiederkommen.“
Sprachs und überreichte mir einen Umschlag, den ich erst Stunden später kurz vor der Bravo-Bar öffnete und völlig perplex dazu über ging, meinem Kumpel R. Hendricks & Tonic auszugeben. Danke für alles, Herr Rimpel. Ganz ehrlich.

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Leipzig, Seeblick

Mir fällt überhaupt nicht ein, wie spät es ist. Ernsthaft, ich starre auf meine Uhr, aber ich kann die Uhrzeit nicht erkennen, weil sie irrelevant geworden ist. Neben mir fragt ein großgewachsener Mann ohne Haare, ob ich wegen dem Gorbatschow in der Stadt bin. Ich starre nur auf meine Uhr und sage „Ja, ich glaube schon.“, obwohl das gar nicht stimmt.

Bis vor Kurzem habe ich noch auf eine SMS wegen einer Nachmittagsverabredung gewartet, aber jetzt, da die Zeit irrelevant geworden ist, weiß ich sowieso nicht mehr wann der Nachmittag kommt und wann er wieder geht. Kann sein, dass eine SMS kommt, kann sein, dass sie nie kommt, ich weiß nicht mehr, wo ich das Telefon hingelegt habe, und es ist mir auch wurscht. Ich schaue jetzt nicht mehr auf die Uhr, sondern aus dem Fenster, hinaus in den grellen Polartag, wo sich ohne Unrast aber im sanften Takt der optimistischen Resignation die Menschheit mal hierhin bewegt, mal dorthin. Der großgewachsene Mann ohne Haare neben mir reicht mir einen Osterhasenlutscher aus weißer Schokolade und ich sage Danke, ohne das alles groß zu hinterfragen. Er sagt, sein Sohn heißt Paolo.

Dann kommt mein Fruchtsalat und zwei Studenten, sie sich neben mich setzen, ein Junge mit modernen Schuhen und ein verschlafen wirkendes braunhaariges Mädchen, das reizend unauffällig angezogen ist. Mit großer Anmut unterdrücken die beiden nicht nur ihren Dialekt, sondern auch alle dringlichen Fragen, die das Leben ab Mitte zwanzig parat hält und reden über Heavy-Metal-Kneipen, in die sie versehentlich geraten sind, und über Satanisten, aber vielleicht ist das ja auch eine dieser dringlichen Fragen. Mein Fruchtsalat ruht auf einem Bett aus Vanillejoghurt und wenn ich jetzt jemand Kokain darüber streut, wäre meine Erkältung sicher nur halb so schlimm. Der Mann neben mir steht auf, wünscht mir noch viel Spaß beim Gorbatschow und legt zum Abschied seine Hand auf meine Schulter.

Ein paar Stunden später senke ich mich in einem ehemaligen Schleckermarkt so tief in eine Couch hinein, dass sie nicht nur mich samt meiner riesigen Winterjacke, sondern auch den letzten Rest des Tages verschlingt. Ich schaue auf die Uhr, aber es ist zu dunkel in dem Raum und die Zeit immer noch irrelevant. Jemand raucht und jemand liest, jemand raucht und jemand liest, jemand raucht und jemand liest. Es geht um Table Dance, es geht um die vergehende Zeit, hauptsächlich geht es um die vergehende Zeit. Jemand raucht und jemand liest. Als ich wieder raus in die Antarktis will, ist der ehemalige Schlecker abgeschlossen und niemand findet den Schlüssel. Sind eure Scheiben so gelb oder wird es schon dunkel, frage ich, aber bekomme keine Antwort, weil die Farbe der Scheiben irrelevant ist.

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Der Anfall

And all these things that I thought I’d outgrown
And hands hold you close
And hands hurried you home
I never dreamt I could feel so alone

(The Jealous Sound – This Is Where It Starts)

Irgendwann letzte Woche ist es passiert. Und es wäre sowieso irgendwann passiert, aber Sie haben es auch noch unbedingt chemisch entzünden müssen. Der Jameson, der Jameson, das Ibuprofen und ein Breitbandantibiotikum haben endlich reagiert, und dann war er da, der Anfall. Es war bei Gott kein Spaß, auch wenn es mit einem angefangen hat.

Stellen Sie sich vor, Sie rennen plötzlich wie ein Kopfloser herum, mit dem intensiven Bedürfnis Carly Rae Jepsen und Audioslave zu hören und sich dabei den Kopf zu rasieren. Stellen Sie sich vor, Sie nehmen ihre Umwelt nur noch so dermaßen amplifiziert wahr, dass Sie nicht mehr hören, was die Leute sagen, sondern nur noch das, was sie meinen. Dass Sie nicht mehr sehen, wie die Leute aussehen, sondern nur noch wie sie sind. Stellen Sie sich vor, Ihnen rasen im Nanosekundentakt die Jahre und ihre Lieder durch den Kopf. Plötzlich ist 2006 und Sie stehen wieder im alten Magnet in der Greifswalder und wünschen sich in die Köpfe fremder Leute.

Stellen Sie sich vor, ihre Gesundheit schießt innerhalb von wenigen Stunden nach oben und unten wie ein Hau-den-Lukas-Instrument auf dem Rummel. Sie wachen nach einem Angst-vor-Axtrache-Traum in Ihrer eigenen Wohnung auf und fragen sich, wie Sie hierher gekommen sind. Dann gehen Sie unter Leute und wollen einfach nur über sie aufsteigen, nie wieder dort unten mit denen laufen, nur um sich im nächsten Moment wie in ein Bällebad in den Pöbel fallen zu lassen und sich von ihm zum S-Bahnhof Friedrichstraße tragen zu lassen.

Sie haben plötzlich nichts mehr anderes im Sinn als Winterstiefel zu kaufen und Überraschungseier zu essen. Am Abend weinen Sie, weil kein Griesbrei mehr im Haus ist und Sie müssen alles bereden, alles muss plötzlich beredet werden, aber dann fällt Ihnen kein einziges passendes Wort ein. Sie schreiben und schreiben und es steht am Ende nichts auf dem Blatt. Woanders tauchen vollgekritzelte Zettel mit geheimnisvollen Notizen auf, die vielleicht entschlüsseln könnten, was das alles hier soll, könnte man sie noch entziffern.

Sie wünschen sich in eine Stille hinein und werden am Ende von ihr angeschrien, Sie fangen an zu tanzen, solange keine Musik spielt und die Entzündungen in den Nervenenden hämmern den Takt dazu. When the soul meets body. Medikamente, Jameson, Medikamente, Sie haben sich angezündet und wenn Sie jemand in wallenden Flammen durch die Straßen der Stadt rasen sehen, dann sind Sie das, mitten in einem Anfall.

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Garten

Kleine Improvisation zwischendurch. Wind, Wetter, Tod und Zen, kennt man ja von früher, als ich noch über was anderes als meine Bücher und Fußball geschrieben habe. Ergo gebloggt.

Atlantisches Nordamerika steht auf dem Schild und kurz danach kommt das Pazifische und man gerät ins Schwimmen. Von grünen Gezeiten wird man verschleppt auf eine Anhöhe der Gleichgültigkeit, in der man vor lauter Sehenswürdigkeit nichts mehr sieht und nur noch spürt, dass es längst nichts mehr zu sehen gibt. Eine milddunkler neonfarbener Laubmantel wird über die Schultern gelegt, dass einem der stumpfe Oktoberwind gestohlen bleiben kann, und wenn die herbstliche Sonne die bereits an die Dunkelheit gewöhnte Sehschärfe endgültig erblinden lässt, ist man im Auge des späten Jahres, auf dem goldenen Höhepunkt angekommen, bevor es hinab geht in die eisigen Tiefen des ostdeutschen Winters. Es ist liegt wieder so etwas Sterbendes in der Luft, so etwas Platzschaffendes, so ein Raunen, so ein Enden. Und eine Reise, die man mit der größtmöglichen und schönsten Gleichgültigkeit antreten kann, denn besser wird das Wetter jetzt eh nicht mehr.

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Meine Generation

Indie-Leute, Musikfans und erweiterte Bekannte, die Scooter tolerabel, lustig, cool oder gar kultig finden, haben keinen Anstand und keine Vision. Keine Idee, was sie mit ihrem Leben anfangen (oder wie sie es beenden) sollen. Überhaupt habe ich selten so einen selbstbeweinenden, jämmerlich unideellen, langweiligen Haufen gesehen wie meine Generation. Ich muss nur das Facebook aufschlagen oder den Gesprächen in Berlin Mitte lauschen, die Visionslosigkeit, schlägt einem überall hart ins Gesicht. Statt einer Idee nur panische Eitelkeit. Der Unterschied zu früher ist allerdings, dass mir das früher scheißegal war, was meine Generation treibt. Dass ich mich jetzt darüber aufrege und überhaupt analysiere, was andere Leute tun, ist schon ein Schritt in die ganz falsche Richtung. Natürlich kommt das von der guten alten Existenzangst. Familie versorgen und all der Unsinn, der süddeutsche Spießer sitzt tief drin in der Schaltzentrale, auch bei mir. Aber deshalb schreib ich das hier auch auf, als Warnschuss. Und eigentlich, weil ich immer schon mal folgenden Satz zitieren wollte. Weil es nie jemand besser und schöner auf den Punkt gebracht hat als die Band Seaside Stars.

„My generation’s arranging time generating mine.“
(Seaside Stars: My Generation)

Und das ist weiß-Gott kein Protestsong. Es geht eher darum, sich ein wenig in der schönen Nichtsbedeutung der eigenen Person zu verlieren. Ein bisschen über die Girls nachdenken, wie sie über den schmelzenden Asphalt schleichen, darüber wie es jetzt wohl am Meer wäre. Wie großartig es ist, jeden Tag neben solchen Leuten wie Dir aufzuwachen, neue Schnapssorten zu probieren, mit dem besten Freund am Tresen sitzen und zu beobachten, wie die Zeit sich nicht bewegt und nur das Glas immer leerer ist. Dem Bart beim Wachsen zuschauen. Sex tun, schwimmen, laufen, schlafen, scheißen. Aussortieren ohne Zeitdruck, wissen, wem man vertrauen kann, ohne seinem eigen Urteil zu misstrauen. Zeit schaffen, Zeit Zeit sein lassen. Schreiben, aufschreiben. Aufnehmen. Abspielen. Ganze Alben hören, alte Fotos verbrennen, weil vorher egal ist – und dabei Gras rauchen. Weißwein saufen wie Wasser, zum Franzosen gehen, zum Italiener, zum Griechen, zum Spanier, solange es die alte Welt noch gibt. Sich in den Regen stellen bis einen das Wasser aus den Schuhen hebt und nie über die Hitze klagen. Nächtelang wachliegen und fernsehen, sich keine Gedanken über die Maschinenseele von Facebook machen, nicht twittern, belanglos sein. So belanglos, wie wir geworden sind, als wir zuhause ausgezogen sind. Sich vorstellen wie es am Meeresgrund ist. Die Tür zumachen. Das Fenster aufreissen. In den Abgrund lachen und alt werden.

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