Ich weiß auch nicht so genau. Vielleicht erzähl ich was von München.
Ich hatte Mittags einen Termin beim BR. Um fünf hab ich mit dem Freund F. auf dem Viktualienmarkt eine Wurst gekauft und dann wie früher beim Müller CDs angeschaut. Danach ins Fraunhofer und mindestens vier Stunden nicht von der Stelle gerührt, Klogang ausgenommen. Ich hatte Salsicce mit Bratkartoffeln. Der Kollege wollte nichts trinken wegen Fastenzeit (sowas gibt’s scheins immer noch), aber ich hatte das beste Argument dagegen, das man als Bayer haben kann: „Jetzt trinkst erst moi einen und dann schauma weida“. Gegen diese Präzisionslogik war er machtlos und danach war Polen rein Obstlermäßig offen. Hey, was alles so passiert, wenn man einfach nur sitzenbleibt. Die skurrilsten Leute kommen und setzen sich zu einem an den Tisch, prosten, essen, gehen wieder. Die Tische gegenüber schauen und man schaut zurück, die Bedienung stellt sich bald so akkurat auf deine Bestellintervalle ein, dass sie immer zur rechten Zeit kommt.
Danach sind wir ins Podium nach Schwabing. Das ist da, wenn man von der Feilitzschstraße rechts abbiegt. Ich hab drei Jahre in dem Viertel gewohnt, bin aber kein einziges Mal rechts von der Feilitzsch abgebogen. War deshalb auch nie im Podium. Im Podium hat eine Coverband mit älteren Herren gespielt, von denen ich auch bald einer bin und dann hoffentlich auch in einer Coverband spielen darf. 80er-Jahre-Metal-Cover bitte. Saxon statt Chuck Berry und Maiden statt Stones. Die Band war gut, die Stimmung völlig übersext, super zurechtgemachte ältere Frauen mit riesigen Frisuren und spitzen Schuhen treten dir absichtlich auf den Fuß, damit ein Gespräch beginnt. Man lächelt sich an, Männer, Frauen, Alt, Jung, Scheiß, Egal. Geht um nix, das ist das Tolle. Nur dem Freund M., der vorhin auf meine Warnung, „es könnte kurios werden“, noch gesagt hat, eine „kuriose“ Location wär doch cool, dem war es dann doch zu kurios. Ein anderer Bekannter hat mir die ganze Zeit von seiner aufgebohrten 76er-Fender Strat erzählt, nur beim Solo von „Hotel California“ haben wir andächtig zugehört. Der Freund M. hat sich aus heiterem Himmel drauf versteift, dass die Kindheit vom Kurt Cobain doch nicht so schlimm war und sein Selbstmord-induzierendes Gemüt wohl eher eine unvermeidliche DNA-Sache. Zumindest hab ich es so verstanden. Mir war das zu ernst. Alkoholferien im Stumpfonien war doch der Deal.
Ich springe jetzt wegen der Unmittelbarkeit ins Präsens. In der Kellerkneipe, in die wir danach gingen, regiert eine wuchtige afroamerikanische Frau, die auf Getränkebestellungen erstmal „NEIN“ brüllt und gehässig lacht. Dann lacht sie netter und bringt den Bourbon. Ich glaube, sie ist die Chefin von dem Laden, dessen Namen ich mit Kurzem Nummer 12 vergessen habe. Das sitzt ein junges gelangweiltes Pärchen. Wir setzen uns dazu und interviewen sie zu ihrem Leben. Sie sind beide irgendwie unterschwellig aggressiv und verzweifelt, das hat das viele Sitzen und Saufen in der Kellerbar hervorgebracht. Er ist Schreiner, sie ist Stage Hand, sie sehen modern aus, sind aber gehässig wie alte Leute. Irgendwann ist mein Telefon verschwunden und ich krieche im Dunkeln unter Barhockern rum, bis ich es wiederfinde. Nur ein Sprung mehr im Display, fair enough. Hinter mir spritzt Bier und fliegen Stühle. Als ich wieder aufstehe, ist das Pärchen mir beleidigt, sich selbst und meinem Freund F. Keine Ahnung, was passiert ist. Der Schreiner wischt den Tisch, dann schreit er mich an, ich solle eine Spanierin ficken, die gerade hereingekommen ist. Ich sage „Langsam reiten, Carpenter, sonst dusch ich dir noch eine bevor ich ins Bett gehe, mein Flug geht schließlich in vier Stunden.“ Er rudert zurück und sagt mir, dass ich so ein „purer Mensch“ wäre mit so einem „reinen Herzen“. „Das lass ich mir von dir nicht sagen, Kollege“, sage ich. Am meisten hasst er aber meinen Freund F., der hat ihn angeblich einen „fucking loser“ genannt. Der Freund F. ist mittlerweile in ein Gespräch mit einer anderen Spanierin vertieft, und ich will heim, aber er reagiert nur noch, wenn ich ihm Geld für Cuba Libre gebe. Ich ermutige ihm, die Kontaktdaten der Spanierin zu ermitteln und dann nach Hause zu gehen, denn einen besseren Eindruck als jetzt wird er heute nicht mehr machen. Das sieht er ein, zieht seine Visitenkarte aus dem Portemonnaie (is doof, ich weiß, aber ihre Nummer hätte er nicht mehr tippen können) und gibt sie ihr…, nein, was ist das, Jesus, er beisst vorher hinein und leckt einmal herzhaft darüber. Jetzt mag sie die Karte nicht mehr nehmen. Ich sage meinem Freund F., dass das Serienkiller-Style war und er vielleicht doch nicht den gemeinsamen Besuch vom Nockherberg am nächsten Tag so fest einplanen sollte.
Irgendwann gehen wir dann doch heim, ich kann noch anderthalb Stunden schlafen, bis die S-Bahn zum Flughafen geht. Auf dem Nachhauseweg erzähle ich dem ansonsten nie Visitenkarten-leckenden Freund, dass das junge Aggropärchen am Ende doch noch geschmust hat, nachdem sie sich den ganzen Abend entweder angeschwiegen oder beleidigt haben. „Schau, dann haben wir sie ja doch noch zusammengebracht“, sagt Freund F. „Na dann, viel Spaß bei der Beziehung“, sage ich und der Kumpel kriegt einen kurzen Lachanfall.
So viel zu München. Ich weiß auch nicht so genau.