Das falsche Tagebuch: 20. April 2016

(Ein Frühlingsgedicht)

Der Frühling steigt mir zu Kopf. Macht sich breit wie ein Tumor. Die Hand zittert schon gelegentlich. Ich verstecke sie in der Hosentasche. Was könnte ich alles sein. Was könnte ich alles machen. Aber ich kann nicht. Und ich will nicht. Und doch: das Wetter programmiert mich um. Das Wetter sagt: renn und ich: okay, aber wohin? Das Wetter: wurst.

Und so reiß ich an mir herum, in die eine Richtung, in die andere und da wundere ich mich, wenn ich mich zerrissen fühle. Im ersten Reflex schäme ich mich für die Emotionen, weil Emotionen sind so 2005. Emotionen sind ein Leben vor dem Leben als Eltern.

Fukk it, let’s bleed. Wunden heilen auch offen, Tage und Nächte bluten ineinander, man muss nicht immer vor Mitternacht ins Bett gehen und mit dem Wecker am nächsten Morgen aufwachen. Und ich entschuldige mich jetzt schon mal für mein irrationales Benehmen demnächst. Aber ich bin Künstler, ich tue ja niemanden absichtlich weh, ich kann ja immer sagen, ich bin halt so und wäre ich nicht so, wäre ich nicht der, der ich bin.

Jacken weg, Messer raus, Türen auf.

Kurzkritik zu Creed, Fury, Macbeth, Darling

CREED
Politisch korrekter Rocky. Einwanderer-Problematik der 70er muss endlich und selbstverständlich hinter „Black Lives Matter“ zurücktreten und das meine ich nicht im Geringsten ironisch. Stallone spielt super und Coogler inszeniert gut, für meinen Geschmack aber noch ein bisschen zu weiß. Bis auf die ziemlich übermotivierte Jogging/Moped-Gang-Szene ziemlich grounded ohne spaßfrei zu werden. Das Ringgeschehen kann noch so modern aussehen und auf ESPN-Sports Center machen, die Kämpfe bleiben ein Watschenfest alter Schule. Jeder Punch ein Treffer.

FURY
Slicker Kriegsfilm ohne neue Erkenntnisse. Trotzdem lei(n)wand, weil was soll man auch zum Krieg noch sagen, außer dass er brutal und überflüssig und vor allem überflüssig brutal ist.

MACBETH
Nach Polanksis Sharon-Tate-Aufarbeitung die erste nennenswerte Verfilmung. Fassbender gelingt der Übergang vom kriegsmüden Helden zum irrlichternden Tyrannen glaubwürdig und Cotillard ist eine schlangige Lady Macbeth, aber zuckrig genug, um auf sie reinfallen zu wollen. Wollen muß man schon. Bin trotz Studium der englischen Literatur kein Shakespeare-Kenner, kann also nichts zum Text sagen – würde behaupten stark gekürzt, aber überwiegend original. Insgesamt sehr modern. Fast wie ein Neo-Western inszeniert. Musik hätte auch von Cave/Ellis sein können, stammt aber von Jed Kurzel, Bruder vom Regisseur Justin Kurzel, der übrigens in der Besetzung Fassbender/Cortillard gerade die Verfilmung von Assassins Creed in Angriff nimmt. Bisschen manieristisch, aber das liegt wohl in der Natur der Vorlage. Hervorragend: Macbeths letzter Talk mit Banquo und seine fiebrige Ansprache bevor er im King-Stannis-Gedenkfeuer die Familie von Macduff anzündet.

DARLING
Junge Frau passt auf ein altes New Yorker Haus auf und dreht durch. That’s all, folks. Visuelle Anbiederei bei Polanskis frühen Werken wie The Tenant, Rosemarys Baby und vor allem Repulsion. Hab ich nicht nur abgeschrieben, ich hab auch alle drei Filme gesehen. Sieht trotzdem unfuckingfassbar gut aus und Lauren Ashley Carter knocks it out of the (Central) park. Crux: Fast schon provozierend derivatives und unorginelles Drehbuch.

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Das falsche Tagebuch: 10. April 2016

Ich habe etwas gefunden. Einen falschen Tagebucheintrag vom 23. September 2014. Er handelt von meinem Wunsch nach Bekanntheit. Damals habe ich mich vielleicht ein bisschen geschämt, ihn online zu stellen, aber jetzt wo es mit dem neuen Buch auf die Zielgerade geht, finde ich ihn irgendwie wichtiger. Jan Böhmermann hat mich drauf gebracht. Weil immer alle denken (und vielleicht auch er), seine Selbstdarstellung hätte einen gerechten Hintergrund.

Doch selbstgerecht sind alle Künstler. Unsicher und selbstgerecht. Bedingt sich irgendwie, fürchte ich. Aber das darf nicht der alleinige Antrieb sein, denn zur Exzentrik und Arschlochzentrik muss auch eine Etikette kommen. Deshalb mag ich Böhmermann nicht, er ist mir zu unhöflich, zu gehässig, zu wenig altruistisch. Er hat keine Etikette. Er hat nur sich. Geht über Leichen für einen guten Witz.

Vor ein paar Tagen habe ich erstmals das Cover für mein im Oktober erscheinendes Buch gesehen. Und erstmals einen Vorschautext von meinem Verlag gelesen. Das hat mich alles sehr zuversichtlich gestimmt. Es hat aber natürlich auch wieder ausgelöst, dass ich über Geld, Erfolg und Bekanntsein nachdenke. Das ist kein schönes Thema, damit geht man nicht hausieren, aber es muss zumindest indirekt drüber geredet werden, deshalb hier der Eintrag vom September 2014.

Das falsche Tagebuch: 23. September 2014

Und doch tagträume ich beinahe täglich vom Bekanntsein, weil ich Geld verdienen will. Nicht viel, aber gerne Etliches. Klingt hässlich, weil es sich im Mutterland der hydraulischen Superopportunisten nicht schickt, als Künstler zu sagen, dass man aufs Geld scharf ist, aber hear me out, falsches Tagebuch: Ich bin in der dankbaren Meta-Situation, Sachen per Wort erfinden zu können und dafür (gelegentlich) bezahlt zu werden. Ich hatte schon als Kind keine konkrete Vorstellung, was ich mal werden soll (außer ein Gitarrenheld), aber das Schreiben kommt ihr am nächsten. Ich bin im Leben schon so oft gebauchpinselt und wieder vernichtend eingedampft worden, dass ich mir vage vorstellen kann, was es hieße, ständig beurteilt zu werden, und das ist ja genau die Bekanntheit. Damit könnte ich leben, weil ich es eh nie allen rechtmachen kann, was an meiner komischen Visage liegt, die schon meinen ersten Deutschlehrer so provoziert hat, dass er genau das meinen Eltern erzählt hat. Das Nonplusultra erscheint mir die Möglichkeit, mich hier hinter meinem Schreibtisch zu verschanzen, meine Freunde und Familie immer in greifbarer Nähe, und genug Geld zu verdienen, um nicht nachts mit kalten Waden vor lauter Existenzangst aufwachen zu müssen. Dafür nehme ich auch einen gewissen Bekanntheitsgrad in Kauf.

Das falsche Tagebuch: 29. März 2016

Als ich neulich in den Flughafenbus einsteige, erreicht mich eine SMS von meiner Frau. „Attentat am Brüsseler Flughafen. Sei vorsichtig…“
Auf meinem zu dem Zeitpunkt noch funktionierenden Telefon lese ich nach, was passiert ist und frage mich, wie man eigentlich genau vorsichtig ist im Schatten von Terroranschlägen.

Ich kann meistens nicht die ganz große Empathie in Katastrophenfällen zeigen, aber nach meiner Ankunft in Köln, liege ich eine Weile stumpf im Hotel herum und überlege, was einem das jetzt alles abverlangt. Die AfD, der IS, der Trump, der humanitäre Abgrund namens Flüchtlingskatastrophe, das Näherkommen der Einschläge an allen Fronten. Alles Anzeichen einer noch viel größeren Eskalation, wenn man es nüchtern betrachtet? Aber wann betrachtet man überhaupt nüchtern? Ist man so wie ich alleine in Hotels gerne gefülsduselig, hofft man, dass die Werte und Demokratien jetzt endlich ihre Feuertaufe erleben, aus der sie dann gestärkt hervorgehen und sich dann endlich wieder der intellektuellen und moralischen Evolution der Menschheit widmen können. Ohne Asche kein Phönix, die Frage ist nur, wieviel Asche es braucht, wie stark es gebrannt haben muss. Aber wie gesagt: alleine im Hotel/gefühlsduselig.

In einer Mischung aus geistiger Ausgelaugtheit und Langeweile verlasse ich das Hotel in Köln und laufe ins Bahnhofsviertel, um dort meinen Akku austauschen zu lassen. Ergebnis: Akku ausgetauscht, Telefon kaputt. Kein Mucks mehr. Bis heute nicht. Zum Glück bin ich mit meinem Lektor fest verabredet und habe mir auf einem Stadtplan (old school, baby) angesehen, wo ich hinmuss. Exkurs: Mein neuer Verlag macht mich glücklich. An guten Tagen glaube ich, ich schreibe das deutsche Pendant zu Southern Gothic, eine neue Schwarze Romantik. Allerdings: an schlechten Tagen hoffe ich, dass mich keiner wegen Scharlatanerie einsperrt. Nach dem Verlagsessen probiere ich alle fünf Minuten das Telefon aus, aber es tut sich nichts. Das beunruhigt mich. Fühle mich ganz brüchig so ohne Telefon. Meine Frau hat ihrs auch irgendwo vergessen. Fast sind wir allein.

Den Karadžić haben sie verurteilt. Für mich immer das Übelste am Balkankrieg: wie nebenbei alles passiert. Massaker-rama, Komplettverlust der Menschlichkeit im Nachbarhaus quasi und hier keine Spur und niemand ein schlechtes Gewissen. Und der Revanchismus findet ja kein Ende. Geht immer weiter. Über-fuckin-all. Eine Zeit lang dachte man ja, man könnte wieder eine Deutschlandflagge auf seine Frühstückstasse drucken lassen, von wegen Nationalmannschaft und weil wir so gute Gastgeber waren bei der WM 2006. Jetzt ist die WM gekauft und 22 Prozent der Bevölkerung rechts. Ich mochte nie Deutschlandflaggen, ich hab meinem Land nie ganz über den Weg getraut und ätsch, wer hat jetzt Recht?

(Sogar der Nationalmannschaft misstraue ich, seit damals beim 4:4 im Olympiastadion gegen Schweden eine in Dur singende, alle Töne treffende schwedische Familie hinter mir gesessen ist und vor mir ein Riegel kettenrauchender Deutscher mit Adlern auf den Schals etwas in Stolz-Moll gegrölt hat.)

An Tagen wie heute, wenn die Kinder nicht in der KiTa sind, es regnet und alle schlecht geschlafen haben, die Frau kurz woanders ist, beschleicht mich das Gefühl, dass ich weder Haushalt noch Kinder jemals wieder in den Griff bekommen werde. Aber das Gefühl von Kontrolle ist eine einzige Illusion, das hat der Verlust vom Telefon gezeigt, das zeigen die Anschläge. Eine Luxusillusion, die man sich mal gönnen kann, auf die man aber nicht bauen sollte. Ich hab mir trotzdem sofort ein neues Smartphone gekauft. Die Illusion war mir fast 400 Euro wert. Ein Witz eigentlich.

Kritik zu Batman v Superman

Mein lieber Scholli, Zack Snyder. Das war ein Eigentor mit einem Kilometer Anlauf. So sehr ich diesen Film sehen wollte (und letztlich macht das Sehenwollen ja einen Blockbuster aus – viel, viel mehr als die Kritiken), so sehr ging er mir schon nach einer halben Stunde auf die Nerven und an die Nieren.

Selbstgefällig, humorlos und aufgeblasen liest man ja und ich behaupte: so tut der Film nicht, weil er sich selber so gefällt, sondern weil er weiß, dass er Schwachsinn ist. Das superdystopische Setting, der Blickwinkel auf den Bosskampf von Man Of Steel als Terrorakt und Batman als der verrohte Brandeisen-Vigilant, das mag alles ein bisschen dick aufgebrandet wirken, aber das war interessant, solange es das vorbereitet, was dann folgt.

Aber es führt zu rein gar nix. Plötzlich steht da Jesse Eisenberg herum und overacted so eklektisch, als könnte er sich nicht entscheiden, welche Art von Tick oder Psychose sein Luthor denn nun eigentlich hat – vielleicht in der vagen Hoffnung, es einem Heath Ledger gleichzutun. Doch statt ikonisch, wirkt er nur idiotisch und aus dem Plot gefallen. Und das will bei dem Plot was heißen.

Gal Gadot als Wonderwoman darf eigentlich nur vielsagend und allwissend schauen, bevor sie am Ende dem Kollegen Doomsday (meine Fresse) die Eier abschnürt (kein Spoiler), hat aber ansonsten keine Funktion in dem Film, was im Prinzip sogar auch auf die Hauptdarsteller Cavill und Affleck zutrifft. Cavill ist ein guter Mann, der bleibt tapfer all in, während ich bei Affleck (der ja auch ein guter Regisseur ist) den Verdacht hege, dass er das Ganze deshalb so unterspielt, weil er schon am Set ahnt, dass das Mumpitz wird. Aber es war nicht alles schlecht – das reguläre Batman-Kostüm (nicht die Rüstung) sah gut aus, besser als bei Nolan.

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Das falsche Tagebuch: 4. März 2016

Ich weiß auch nicht so genau. Vielleicht erzähl ich was von München.

Ich hatte Mittags einen Termin beim BR. Um fünf hab ich mit dem Freund F. auf dem Viktualienmarkt eine Wurst gekauft und dann wie früher beim Müller CDs angeschaut. Danach ins Fraunhofer und mindestens vier Stunden nicht von der Stelle gerührt, Klogang ausgenommen. Ich hatte Salsicce mit Bratkartoffeln. Der Kollege wollte nichts trinken wegen Fastenzeit (sowas gibt’s scheins immer noch), aber ich hatte das beste Argument dagegen, das man als Bayer haben kann: „Jetzt trinkst erst moi einen und dann schauma weida“. Gegen diese Präzisionslogik war er machtlos und danach war Polen rein Obstlermäßig offen. Hey, was alles so passiert, wenn man einfach nur sitzenbleibt. Die skurrilsten Leute kommen und setzen sich zu einem an den Tisch, prosten, essen, gehen wieder. Die Tische gegenüber schauen und man schaut zurück, die Bedienung stellt sich bald so akkurat auf deine Bestellintervalle ein, dass sie immer zur rechten Zeit kommt.

Danach sind wir ins Podium nach Schwabing. Das ist da, wenn man von der Feilitzschstraße rechts abbiegt. Ich hab drei Jahre in dem Viertel gewohnt, bin aber kein einziges Mal rechts von der Feilitzsch abgebogen. War deshalb auch nie im Podium. Im Podium hat eine Coverband mit älteren Herren gespielt, von denen ich auch bald einer bin und dann hoffentlich auch in einer Coverband spielen darf. 80er-Jahre-Metal-Cover bitte. Saxon statt Chuck Berry und Maiden statt Stones. Die Band war gut, die Stimmung völlig übersext, super zurechtgemachte ältere Frauen mit riesigen Frisuren und spitzen Schuhen treten dir absichtlich auf den Fuß, damit ein Gespräch beginnt. Man lächelt sich an, Männer, Frauen, Alt, Jung, Scheiß, Egal. Geht um nix, das ist das Tolle. Nur dem Freund M., der vorhin auf meine Warnung, „es könnte kurios werden“, noch gesagt hat, eine „kuriose“ Location wär doch cool, dem war es dann doch zu kurios. Ein anderer Bekannter hat mir die ganze Zeit von seiner aufgebohrten 76er-Fender Strat erzählt, nur beim Solo von „Hotel California“ haben wir andächtig zugehört. Der Freund M. hat sich aus heiterem Himmel drauf versteift, dass die Kindheit vom Kurt Cobain doch nicht so schlimm war und sein Selbstmord-induzierendes Gemüt wohl eher eine unvermeidliche DNA-Sache. Zumindest hab ich es so verstanden. Mir war das zu ernst. Alkoholferien im Stumpfonien war doch der Deal.

Ich springe jetzt wegen der Unmittelbarkeit ins Präsens. In der Kellerkneipe, in die wir danach gingen, regiert eine wuchtige afroamerikanische Frau, die auf Getränkebestellungen erstmal „NEIN“ brüllt und gehässig lacht. Dann lacht sie netter und bringt den Bourbon. Ich glaube, sie ist die Chefin von dem Laden, dessen Namen ich mit Kurzem Nummer 12 vergessen habe. Das sitzt ein junges gelangweiltes Pärchen. Wir setzen uns dazu und interviewen sie zu ihrem Leben. Sie sind beide irgendwie unterschwellig aggressiv und verzweifelt, das hat das viele Sitzen und Saufen in der Kellerbar hervorgebracht. Er ist Schreiner, sie ist Stage Hand, sie sehen modern aus, sind aber gehässig wie alte Leute. Irgendwann ist mein Telefon verschwunden und ich krieche im Dunkeln unter Barhockern rum, bis ich es wiederfinde. Nur ein Sprung mehr im Display, fair enough. Hinter mir spritzt Bier und fliegen Stühle. Als ich wieder aufstehe, ist das Pärchen mir beleidigt, sich selbst und meinem Freund F. Keine Ahnung, was passiert ist. Der Schreiner wischt den Tisch, dann schreit er mich an, ich solle eine Spanierin ficken, die gerade hereingekommen ist. Ich sage „Langsam reiten, Carpenter, sonst dusch ich dir noch eine bevor ich ins Bett gehe, mein Flug geht schließlich in vier Stunden.“ Er rudert zurück und sagt mir, dass ich so ein „purer Mensch“ wäre mit so einem „reinen Herzen“. „Das lass ich mir von dir nicht sagen, Kollege“, sage ich. Am meisten hasst er aber meinen Freund F., der hat ihn angeblich einen „fucking loser“ genannt. Der Freund F. ist mittlerweile in ein Gespräch mit einer anderen Spanierin vertieft, und ich will heim, aber er reagiert nur noch, wenn ich ihm Geld für Cuba Libre gebe. Ich ermutige ihm, die Kontaktdaten der Spanierin zu ermitteln und dann nach Hause zu gehen, denn einen besseren Eindruck als jetzt wird er heute nicht mehr machen. Das sieht er ein, zieht seine Visitenkarte aus dem Portemonnaie (is doof, ich weiß, aber ihre Nummer hätte er nicht mehr tippen können) und gibt sie ihr…, nein, was ist das, Jesus, er beisst vorher hinein und leckt einmal herzhaft darüber. Jetzt mag sie die Karte nicht mehr nehmen. Ich sage meinem Freund F., dass das Serienkiller-Style war und er vielleicht doch nicht den gemeinsamen Besuch vom Nockherberg am nächsten Tag so fest einplanen sollte.

Irgendwann gehen wir dann doch heim, ich kann noch anderthalb Stunden schlafen, bis die S-Bahn zum Flughafen geht. Auf dem Nachhauseweg erzähle ich dem ansonsten nie Visitenkarten-leckenden Freund, dass das junge Aggropärchen am Ende doch noch geschmust hat, nachdem sie sich den ganzen Abend entweder angeschwiegen oder beleidigt haben. „Schau, dann haben wir sie ja doch noch zusammengebracht“, sagt Freund F. „Na dann, viel Spaß bei der Beziehung“, sage ich und der Kumpel kriegt einen kurzen Lachanfall.

So viel zu München. Ich weiß auch nicht so genau.

Kurzkritiken zu Deadpool, Hail Caesar, Spotlight

DEADPOOL
Mit Zwanzig hab ich den „Merc with a mouth“ gern gelesen. Aber mit Zwanzig hab ich auch noch viel geweint, mich selbst als den „Tritt gegen das Schienbein der Gesellschaft“ bezeichnet, jeden Tag im Schnitt sechs große Bier getrunken und die Balladen auf der „Mellon Collie and the Infinite Sadness“ gehört. Und das ist das Erstaunliche: Trotz des Beavis & Butthead-Humors, trotz des penetranten Durchbrechens (Pleonasmus?!) der vierten Wand, trotz der unmodern drastischen Gewaltdarstellung war das ein guter Film. Stimmiger Plot, fetziger Takt, originelle Dialoge – aus einem Guß. Manchmal vergisst man, wie selten Filme einen wirklich unterhalten, dabei geht man doch deswegen ins Kino.

HAIL CAESAR
Hab ich direkt nach Deadpool gesehen. Über diesen Film zu lästern, fällt einem schwer, wenn man die detailverliebten Sets und Meta-Sets, die Choreographien, Kostüme und Manierismen betrachtet, sprich: die Mühe, die sich die Coens mit der Ausstattung gegeben haben. Ich läster trotzdem. Der Film ist eine reine Nummernrevue, unzusammenhängend, ohne Spannungsbogen und wird ausgerechnet von der uninteressantesten Figur, Brolins Fixer, zusammengehalten. Promis, die überzogene Rollen in Farcen spielen, verhindern zudem, dass man sich auf die Filmrealität einlässt. Man sieht, wie George Clooney, Scarlett Johansson und Tilds Swindon vor sich hin parodieren, aber man sieht nicht die Figuren, die sie spielen. Coen-Filme funktionieren immer besser mit weniger bekannten Schauspielern, siehe Inside Llewyn Davis und A Serious Man.

SPOTLIGHT
Geistiges Erbe von „All The President’s Men“ mit Redford und Hoffmann. Ein Journalistenfilm nach Tatsachen, bedeutet: er erspart uns den romantischen Nebenplot und den großen Twist gegen Minute 90. Ein sehr selbstbewusster Film über einen Skandal, der literally zum Himmel schreit, und wie er in die Zeitung kam. Präzise, gelenkig und sezierend, aber nie aufschneiderisch.

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Das falsche Tagebuch: 3. Februar 2016

Ich schreibe ein Buch.

Es geht um Misstrauen, Angst, einen Ort im Süden Mitte der Achtziger, es geht um Liebe und Katholizismus. Es ist meine kleine Version von „To Kill A Mockingbird“. Es ist kein Krimi und keine Popliteratur, es ist auch kein Houellebecq. Es hat was Autobiografisches, aber ist in der Hauptsache eine Erzählung und Parabel. Es ist meine Version einer Southern Gothic Tale.

Ich bin in einer Zeit groß geworden, in der man uns gesagt hat, dass jederzeit jemand auf den roten Knopf drücken kann. Dass man die Großeltern lieber nicht nach dem Dritten Reich fragt. Dass Atomkraft nur im Kommunismus unsicher ist. Dass wir bald viel größere Probleme als lapidaren Liebeskummer haben werden, sobald wir erwachsen sind.

Das Buch hat noch keinen Titel, aber erscheinen wird es mutmaßlich im Herbst. Manchmal hab ich Spaß beim Schreiben, es ist durchaus an Stellen lustig, aber oft ekelt es mich regelrecht, bevor ich mich morgens ransetze. Das Schreiben tut in der Hauptsache weh, anders als noch bei den Mandel-Büchern, obwohl es da auch unangenehme Wahrheiten gab, um die ich nicht herumkam. Aber ich hoffe, dieser Geburtsschmerz macht das Buch besser. Es fühlt sich auf jeden Fall wie mein erstes Buch an, aber das ist auch das Perfide: sobald ich schreibe, fühle ich mich wie der größte Scharlatan und möchte am liebsten den Leuten, die mich bezahlen ihr Geld zurückgeben. „Ich kann doch gar nichts“, will ich zum Fenster hinausschreien.

Kann sich noch jemand erinnern, wie ich mich letzten Sommer hier künstlich darüber aufgeregt habe, dass sich die Facebook-G’schaftler gegenseitig tätscheln in ihrem Bestreben gegen fremdenfeindliches Gedankengut? Wie ich das für einen überwiegend überflüssigen Show-Off hielt? Ich dachte, das ist doch nicht notwendig, die meisten Leute haben unseren Gesellschaftsentwurf doch verinnerlich. Boy, was I wrong.

In meiner kleinen Welt zwischen Schreibtisch und KiTa hatte ich tatsächlich mein antikes Negativcredo „People are shit“ verdrängt. Wie hat ein Freund neulich geschrieben: „Wenn die meisten Menschen hierzulande schon Probleme haben, jemandem im Straßenverkehr die Vorfahrt zu lassen, wie wahrscheinlich mag dann ein freiwilliger Verzicht auf ein Teil ihres Wohlstandes sein?“ Und doch will ich mich nicht mehr absondern, mich für was Besseres halten, denn genau das ist ja der Irrglaube, dem jeder unterliegt, der heute gegen Flüchtlinge wettert.

Und deshalb kommt jetzt die schwierigste Aufgabe: Den Menschen nicht aufgeben. Die rasende Egomanie im Kopf der Leute in andere Bahnen lenken, ihnen ein schlechtes Gewissen machen. So wie man Kinder erzieht. Sich jeden Tag erneut hinsetzen, auch wenns einen ekelt.

Kritik zu The Hateful Eight

Kurz nach dem Kinobesuch (ich sah die ewig lange 70 mm-Version) wollte ich diese Kritik mit einer häufig im Film verwendeten Vokabel bestreiten: horseshit.

Dann aber hab ich begriffen, dass das mehr die Enttäuschung als meine Meinung über diesen Film ist. Enttäuschung darüber, dass Tarantino immer noch der alte Scharlatan ist und sich in meinen Augen nicht zum großen Auteur entwickelt hat. Dann wiederum: warum sollte er?

Aber langsam (im wahrsten Sinne): Hateful Eight ist eigentlich ein Schritt zurück für Tarantino, weg von der ungewöhnlich klar umrissenen Heroik von Bill, Basterds und Django. Es ist die period-piece-Variante von Reservoir Dogs: ein Haufen mörderisch selbstsüchtiger Leute trifft sich auf engstem Raum und bringt sich mehr oder weniger gegenseitig um. Natürlich ist der Film zumindest formal ein Western, dann wiederum spielt das gar keine so große Rolle. Tarantino kennt alle Western-impliziten Konventionen aus dem FF, zitiert aber nicht einfach nur vor sich hin (wie man ihm das gerne zu Unrecht vorhält), sondern strickt sich wie jeder gute Westernregisseur sein eigenes inhärent plausibles Universum daraus. Das ist diesmal sogar frei von den üblichen Anspielungen auf Popkultur (wenn man Western nicht als solche bezeichnet), was ich erfrischend fand.

Und dieses neue Universum, das mit Django Unchained vielleicht nur den nackten Rassismus gemein hat, sieht fantastisch aus. Die ersten schneeverwehten, körnigen Einstellungen a la McCabe und Mrs Miller, das lange Verweilen auf dem Wegkreuz, die Kutschfahrt mit dem Blizzard im Nacken – Exposé und Chapter One sind lässig, innovativ und mysteriös zugleich. Dann beginnt das Kammerspiel und damit das Dilemma.

Die Schauspieler, allen voran Jennifer Jason Leigh und Sam Jackson, sind alle on top of their game – Tarantino musiziert mit diesem Ensemble. Aber gerade das täuscht darüber hinweg, wie wenig seine Figuren eigentlich zu sagen haben (selbst wenn sie viel sagen), wie stereotyp sie sind (Roth muss wohl als süffisant geschwätziger Waltz-Ersatz herhalten) und wie irrelevant ihre Gespräche sind, wenn sie nicht gerade dem Plotfortschritt dienen. Ich behaupte: so einem Ensemble reichen auch fünf Minuten, um die Figuren auszufüllen, es müssen nicht 1,5 Stunden vergehen. Das Tarantino das mit voller Absicht in die Länge zieht, ist sein gutes Recht, aber es darf mich ja trotzdem zermürben, vielleicht will er auch das genau so. Auf deutsch: ich habe mich gelangweilt und mich gefragt:

Warum hat Tarantino genau diesen Film gemacht? Ich würde es wirklich gerne wissen. Wollte er einfach mal einen Bürgerkriegswestern machen, ist der Film ein Kommentar zum „Schlachthaus USA“, der langen Tradition seiner zivilen Gewalt-Exzesse, oder war das einfach der nächste Film, der Tarantino nach Django einfiel und ihm Spaß bereitete? Natürlich kann der Reiz genau darin liegen, darüber zu spekulieren, aber ich mir fehlten nach zwei Stunden Zoopalast, einem halben Liter zuckerfreier Cola und einem Energiegetränk die Anhaltspunkte und die Schlusskapitel haben mich noch mehr verwirrt. Wirkten sie auf mich doch wie das pflichtbewusste Abspielen ein paar mittelinteressanter Story-Twists plus der refrainartigen Brutalität von Tarantino-Filmen.

Ein amerikanischer Kulturkritik-Podcast lobt Tarantino als „master manipulator“ seines Publikums und auch er selbst sieht sich laut eines Artikels (mir ist entfallen welcher) als jemand, der das Publikum dazu bringt, in den abartigsten Situationen zu lachen oder Leuten die Daumen zu drücken, die man im nächsten Moment in die Geschlossene einweisen möchte. Aber das ist keine Kunst. Das ist Tarantinos leichteste Übung, das hat er in vielen seiner Filmen bewiesen und ausgereizt. Ich mag nicht der verlässlichste Filmkritiker sein, aber für mich hat sich seine Grauzonen-Moral genau wie die laute und explizite Gewalt ästhetisch erledigt. Ich wage sogar zu behaupten, sie ist nicht mehr zeitgemäß.

In erwähntem Podcast wird die Anekdote einer Dozentin herangezogen, die amerikanischen und russischen Studenten gleichermaßen Hamlet beibringt. Die amerikanischen Studenten nehmen zunächst an, Hamlet sei der Held und folgen nur zu bereitwillig seiner Moral und Sicht der Dinge, die russischen entlarven ihn augenblicklich als den „unreliable narrator“, der er ist. Jetzt möchte ich Tarantino nicht die Fähigkeit absprechen, gekonnt und vielleicht sogar im Ansatz gesellschaftskritisch mit den moralischen Erwartungshaltungen seines amerikanischen Publikums zu experimentieren, aber das Spiel ist doch zu leicht zu durchschauen für jeden, der wenigsten Pulp Fiction gesehen hat. Für mich hat das an massiv Faszination eingebüßt, allerdings sprachen die Ovationen im Kino eine andere Sprache, was das deutsche Publikum angeht.

Ich bin unglaublich gespannt auf Tarantinos nächsten Film. Bis Hateful Eight hatte er mich immer überraschen können und eines Besseren belehren, und ich musste mir eingestehen, wie wenig Fantasie und Talent ich ihm schon wieder zugetraut hatte. Sogar der im letzen Viertel ins Belanglose abkippende Django Unchained ist bis zum Tod von Waltzs Charakter eine wundervolle Roadshow aus echtem Western, Western-Zitat und peppigen Tarantino-ismen. Doch diesmal hatte ich zum ersten Mal das Gefühl der Mann kocht doch nur mit Wasser und wären da nicht immer wieder diese unglaublichen Schauspieler und seine Art, sie zu führen, bliebe manchmal tatsächlich nur horseshit übrig.

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Kurzkritik zu The Big Short

Vielleicht ein bisschen apokalyptisch, das jetzt schon zu sagen, aber: Wenn man 2016 nur einen Film im Kino schauen muss, dann den. Adam McKay hat bisher hauptsächlich alberne Will-Ferrell-Vehikel wie Anchorman gedreht, aber wie ein Bailout-Phönix aus der Housing-Bubble-Asche wird er mit diesem Film zum Filigranfilmer.

Achtung langer Satz: Aus der Bankenkrise in kompromisslosem Banker-Lingo und einem loose-hangenden Ocean’s-Eleven-artigen Ensemble einen gleichermaßen drastischen wie lakonischen Film zu machen, den man euphorisiert beklatschen möchte und sich danach vielleicht von einem 30-Stöcker in der Upper West Side stürzen, das soll ihm mal jemand nachmachen.

Ich hab die Sachbuch-Vorlage „The Big Short: Inside The Doomsday Machine“ nicht gelesen, aber bei aller Comedy und Fourth-Wall-Breaking ist der Film ein Blizzard an Plausibilität. Am Ende dachte ich sogar kurz, ich hätte das Bankenwesen und den Grund für seinen (vorübergehenden) Niedergang verstanden. Beim Nacherzählen bin ich dann aber sofort wieder drauf gestoßen, wie grotesk und irrational das Kapital-Betriebssystem ist. Nicht weil es so kompliziert wäre, sondern weil man es wie Daten-Unkraut vor sich hin wuchern hat lassen.

Fazit: Ein hinreißender und abstoßender Film zugleich, den vermutlich viel zu wenig Leute im Kino sehen werden, die ums Verrecken ein Haus kaufen wollen.

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