Kurzkritik zu Das ewige Leben

Die erste halbe Stunde scheint direkt meiner Vorstellung eines großartigen Krimis entsprungen zu sein. Der Brenner irrlichtert durch ein hässlich verbautes Graz und haust in seinem sinnbildlich in sich zusammenfallenden Elternhaus. Hader lässt überbordenden Gewaltschauspielern wie Moretti und Düringer durch sein grandioses schauspielerisches Understatement Platz zum Wüten. Das unterstreichen die Sofa Surfers mit einer Art Western-Trip-Hop und der Dialekt ist so herb, dass selbst ich als grenznah aufgewachsener Bayer stellenweise den englischen (!) Untertiteln ganz dankbar bin. Sogar die Rückblenden aus Kroatien finde ich super gelöst, denn normalerweise zerteilt einen Kriminalfilm im Grunde nichts mehr wie Rückblenden. Auch die Freiheiten, die sich der Film gegenüber dem Buch herausnimmt, haben vor allem mimisch ihre volle Berechtigung, denn die Schrulligkeit aller Charaktere und Orte ist nun mal das eigentliche Thema der Brennerfilme, weniger die Kriminalhandlung.

Aber dann passiert Murnberger etwas, das der Film eigentlich nicht verdient. Zwei Dinge, um genau zu sein: Die Handlung wird selbst für Haas-Unbelesene unglaublich vorhersehbar und was noch schlimmer ist: vollkommen nebensächlich. Das ist so schade, denn wir waren nahe dran am perfekten Regionalkriminalfilm. Stattdessen ergötzt sich die Kamera an der leicht penetranten Nora von Waldstetten und dem wirklich grandios g’schleckten aber nicht gerade sparsam eingesetzten Tobias Moretti. Die Luft ist leider längst raus, wenn das Graz-Panorama einen eigentlich nochmal auf die nächste Zen-Ebene heben soll, aber vielleicht ist Zen ja genau der Zweck der Übung: dass einem irgendwann alles wurscht ist.

Wobei selbst der Brenner am Schluss plötzlich wieder einen gewissen Lebenswillen an sich entdeckt, der mit so etwas wie Familienzugehörigkeit zu tun hat. Es tut mir fast leid, da so rumzukritteln, weil es natürlich keine besseren deutschsprachigen Kriminalfilme als die von Murnberger, Haas und Hader gibt und die zurecht in Österreich den patscherten 50 Shades Of Dings von der Kinohitparadenspitze verdrängt haben, aber wenn eine Reihe schon mal so gut wie „Silentium“ war, sind natürlich auch die Ansprüche ewig hoch. Also nix für ungut, Brenner, ich geh natürlich auch wieder in „Brenner und der liebe Gott“.

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Das falsche Tagebuch: 16. März 2015

Auf der Buchmesse gewesen, kleiner gefühlt als notwendig. Alles wie immer eine Frage der Entourage. Und eigentlich nehme ich mir das schon lange vor: einmarschieren statt nur auftauchen. Aber heutzutage haben ja alle Freunde Jobs, Familie, Burnout, Tinder oder alles gleichzeitig. Da bekomm‘ mal eine ordentlich Entourage zusammen. Das Wetter in Leipzig war eine einzige Feindseligkeit, Graupelschauer Euphemismus. Notiz an mich selbst: City Gyros beim nächsten Mal meiden, wenn der Magen vom Durcheinanderschnapseln noch angeschlagen ist. Und den Kaugummi nicht immer hinunterschlucken, denn Mama hatte doch recht: der Magen pappt zusammen. Heute gehe ich zu Richard III. in die Schaubühne und schau mir Lars Eidinger an, wie er sich dem Wahnsinn hingibt und dafür Geld bekommt. Traumjob eigentlich. Ich hätte Lust „Much Ado About Nothing“ zu spielen, zwei Leute für alle Rollen und alle Kostüme. In einer 40minütigen „Previously on Much Ado“-Version. Irgendwie gefällt mir die Zeit grade. Alles ist angenehm unberechenbar aber man hält sich selbst irgendwie zusammen. Alt fühle ich mich nur, wenn ich überlege, was ich noch gerne alles machen würde bis ich fünfzig bin. Da wird dann die Zeit schon mit 40,4 knapp. Denk ich also lieber an Folgendes:

Salviathymol, Pappardelle, Salsiccia, Nofretete, Tsikoudia, Kimbo Gold, Epos Polluce, Ford Escort, James Taylor, Matala, Phineas & Ferb, Brandon Stroud, Frankfurt am Main, A Tribe Called Quest, Bryan Alvarez, Cheap Heat, Splitterbrötchen, Duke Ellington.

Kurzkritiken zu Birdman, Nightcrawler, Big Hero 6, SpongeBob 3D, Nonstop, Predestination

BIRDMAN
Was ist mit Iñárritu los? Hat der Mann auf seine alten Tage den Humor gefunden? Oder hab ich ihn immer missverstanden? Endlich zwingt er einen mal nicht zu einer intendierten Interpretation. Birdman ist ein wunderbar lakonisch entspannter Film, gerade weil sich Iñárritu scheinbar über seinen eigenen Hang zur schweren Kost und zum sinnschweren Dialog amüsiert. Kommt dazu, dass ich eh grade einer Faszination für das Theater als physische Manifestation eines Gesellschaftszustandes (oder eben grade nicht) erliege. Am Ende einen Tick zu sehr auf der Ironiebremse, aber nicht zuletzt dank Edward Norton hochgradig unterhaltsames Meta-Theater.

NIGHTCRAWLER
Gyllenhall spielt den Manischen schon gut, aber die Figur selbst erschließt sich mir nicht im Geringsten. Wer ist das, wo kommt er her, warum spricht er so komisch? Man muss den Versuch wohlmöglich ehren, einen alternativen Action-Thriller zu drehen, aber nur weil er ein bisschen abgründelt ist, wird noch kein De Palma draus.

BIG HERO SIX (BAYMAX)
Putzig und modern, aber ohne Einsatz, ohne Risiko. Kurz ne Lanze für die deutsche Synchro bei Animationsfilmen. So grausig das oft bei Realfilmen ausfällt, so unpeinlich und hochmotiviert wird das für Kinder erledigt. Weil ich jetzt den Vierjährigen als neuen Kinokumpel habe, ist Schluss mit Originalversion.

SPONGEBOB SCHWAMMKOPF 3D
Auch mit dem Junior auf Deutsch gesehen, aber da sind die deutschen Stimmen in meinem Kopf eh etabliert. Als in Bikini Bottom mythologisch nicht Bewanderter für mich noch unerklärlich durchgeknallter als für SB-Fans, nehme ich an. Viel zu lang und viel zu wuschig, dann aber wiederum einfach auch ein herzliches Fuck-You an Pixar-Konventionen. Ich bin auf jeden Fall jetzt riesiger Plankton-Fan.

NONSTOP
Reaktionärer Bullshit. Langsam aber sicher ist Liam Neeson für mich erledigt.

PREDESTINATION
Sehr amüsanter Zeitreisekrimi, auch wenn er paradox und ausrechenbar zugleich ist.

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Das falsche Tagebuch: 19. Februar 2015

Wenn man so wie ich die Autobiografie von einem Automanen wie Terry Gilliam übersetzt, lernt man eine Menge über die Art dieses Menschen zu denken. Man interessiert sich plötzlich nicht nur für seine Vorlieben (Lon Chaney, Harvey Kurtzman, George Harrison), sondern auch für die Denkmuster und moralischen Grundsätze und ertappt sich dabei, die eine oder andere Sentenz ungefiltert bei einem Glas Jameson an der Theke auszuspucken, und erst im Nachschreck zu begreifen, dass das eigentlich nicht die eigene Meinung war. Kurz: Gilliam macht mich wahnsinnig. Und er zwingt mich förmlich, zusammen mit ihm über den Tod nachdenken. Der Mann ist schließlich 74 und grade im letzten Kapitel schwingt ein Hauch von kalter Ewigkeit mit. Und zwar mit einer gewissen Indifferenz, das macht ihn mir auf den sprichwörtlich letzten Metern wieder sympathischer.

Neulich war ich in Rerik an der Ostsee und auf dem Weg hatte ich meine erste richtige Autopanne. Mitten in der Meck-Pomm-Pampa sagt der Motor leise Arrividerci und schon steht man mit Kind, Baby und Frau auf weiter Flur, das Auto lehnt am Straßengraben, lächerlich überbepackt für vier Tage Ostsee. Muss man auch erst lernen, das Packen als Herde. Auf jeden Fall kommt jemand von der Freiwilligen Feuerwehr Boltenhagen und schleppt uns ab und erspart uns so die kalte Stunde, bis der ADAC sich aus Rostock herunter bequemt hat. Einfach so von Wildfremden in den Arm genommen zu werden (im übertragenden Sinn) fühlt sich toll an, wie die Lösung aller Menschheitsprobleme. Was aber, hätte ich einen Turban aufgehabt oder ausgesehen wie Gerald Asamoah? Man will es gar nicht wissen. Der Ford Focus fährt wieder mittlerweile, da war ein Leck an der Kühlung vom Motor. Hätte ich gewartet, bis der Motor wieder angeht und wäre noch ein paar Kilometer gefahren – Exitus.

Das Leben mit zwei Kindern ist fantastisch, aber frisst die ganze verbleibende Zeit. Doch dann finde ich mich im Theater wieder, sehe Hamlet (bzw. Eidinger muss weg), den Prozess oder das Kalkwerk, oder sitzte nachts im Dunkeln und schaue hintereinander Better Call Saul, Justified und Walking Dead. Irgendwoher kommt doch immer Zeit, man nimmt sie sich einfach vom Schlaf weg. Ich kann kaum ausdrücken, wie glücklich (und müde) mich das macht. Dass es immer noch die Nacht gibt, die einem ganz gehört. Also fast ganz, weil die Kinder ja einem auch nachts hin und wieder an den Qualitätszeitkragen wollen.

Mir fehlt ein bisschen das Geld zum Urlaubmachen und ein bisschen das Geld zum Umziehen und ein bisschen das Geld, um nicht über Geld nachzudenken. Es wäre eine gute Zeit für ein wirklich erfolgreiches Buch, aber noch ist sicher, wo und wie und ob überhaupt das nächste erscheint. Ein Fünftel davon ist fertig, es ist eine Geschichte aus den 80ern. Über Liebe, radioaktiven Regen und das tiefe Misstrauen in die Zeit und den Ort, an dem ich aufgewachsen bin. Denke ich an die Achtziger, kommt mir alles schwarz vor.

Es ist erstaunlich, wie verunsichert man schon mit vier Jahren sein kann, denke ich, wenn ich meinen Sohn anschaue. Warum beschäftigt er sich mit Traumfängern, denkt über Tod, Umzüge und Entfernungen nach, wo doch jetzt die beste Zeit ist, hirnlos mit Feuerwehr-Autos zu spielen. Ich wünsche ihm keine grüblerische Natur oder dass er Künstler wird, wirklich nicht, aber der Zug könnte auch schon abgefahren sein. Immerhin will er kein Instrument spielen und kennt mehr Superhelden beim Namen als ich.

Ich selbst bin verunsichert, was das alles soll mit den Lebensstationen. Kinder werden älter, das ist gut und schön, aber muss man denn selbst ständig gesellschaftliche Evolution betreiben? Muss man mehr Geld verdienen, öfter ins Theater gehen, elaboriertere Interessen haben, Proust zitieren oder einen Porsche kaufen? Reicht es nicht, ein bisscher netter zu sich und anderen zu sein? Vielleicht noch ein paar Western mehr gesehen zu haben? Nicht mehr so oft die Grippe zu haben?

Kurzkritik zu Whiplash

In umfangreicher Version auch erschienen im aktuellen Rolling Stone

Der Elitemusikcollege-Student Andrew Neiman (Miles Teller, wie schon in „The Spectacular Now“ blitzsauber als gebrochener Teenager) fristet sein Dasein mit Kinobesuchen, alleinstehendem Vater und Schlagzeugüben. Wer hat schon Freunde, wenn er den ganzen Tag Charlie Parker und Buddy Rich hört? Da holt ihn der gefürchtet tyrannische Übungsleiter und Akribie-Marquis-de-Sade Terence Fletcher in die Band und schindet ihn, bis Blut spritzt.

Die ehrfurchtsvoll kleinteilige Darstellung von Rhythmen und Partituren und die exzessive Inszenierung von Powerjazz-Stücken wie „Caravan“ und „Whiplash“ deutet auf dokumentarischen Anspruch hin. Dagegen steht jedoch der lustvoll überzogene Bluthund Fletcher, den J. K. Simmons schauspielerisch beinahe auf eine Endboss-Ebene mit Freddy Krüger, Henry Fonda in „Spiel mir das Lied vom Tod“ und Jack Nicholson in „Shining“ hebt.

Bei J. K. Simmons’ „Jazzferatu“ sitzt jede mimische Sechzehntel – er amüsiert und schockiert, ohne aus dem Takt zu kommen. Seine Gargoylehaftigkeit und all die Schlagzeugsoli übertönen allerdings beinahe die leisen Diskursmomente des Films. Sowohl Andrews zeitweilige Freundin als auch sein Vater sind eben keine vom Ehrgeiz zerfressenen Optimierungs-Ghouls. Und wäre da nicht das didaktisch dubiose Ende, hätte die Botschaft ausgerechnet ein Zitat vom Messerwetzer Fletcher sein können: „The key is to relax.“

Fazit: Rhythmisches Waterboarding auf dem Ride-Becken als kurzweiliger Action-Film könnte eine Kulturrevolution auslösen – plötzlich hätte man selbst als Jazzhörer Freunde. Full Metal Jazzfest!

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Ich weiß genau

Basierend auf meinem unveröffentlichten Endlos-Blog-Projekt „Die 25 besten klassischen Western“ (Danke an das großartige Publikum der tschk!talks, die mich zum weitermachen dieses Wahnsinns ermutigt haben) habe ich angefangen, Texte zu schreiben, die von meinen Lieblingswestern inspiriert sind. Bei „Ich weiß genau“ stand Peckinpahs „Pat Garrett jagt Billy The Kid“ Pate.

Legal Disclaimer: beim Dreh wurden weder Zuckerwürfel verletzt, noch kleine Mädchen unter Waffengewalt zu einem puritanischeren Lebenswandel hindoktriniert.

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Lesen/Singen/Spielen 2015

Hallo, es gibt wieder ein paar neue Termine, wo man mich mit Buch, Gitarre und süddeutschem Schandmaul zu Werke gehen sehen kann. Schon am Donnerstag fängt’s in Berlin an, dort aber „nur“ als Gast bei den legendären tschk!talks, wo ich über meine 25 Lieblingswestern (mein nie erscheinendes Endlos-Blogprojekt) referiere.

Damit man sich vorstellen kann, was so eine Lese- und Musikreise für Kuriositäten mit sich bringt, folgt im Anschluss an die Termine ein kurzer Ausschnitt vom Tourtagebuch 2014, das noch nicht das Licht des Tages erblickt hat.

29.01.2015 Berlin, tschk!talks, Lupita Bar
20.02.2015 Neunkirchen, Stummsche Reithalle
21.02.2015 Tübingen, Café Haag
26.02.2015 Hamburg, Aalhaus
14.03.2015 Leipzig, Litpop (Ort tba)
28.03.2015 Wiltz (Luxemburg), Prabbeli
22.04.2015 Erfurt, Franz Mehlhose
23.04.2015 München, UnterDeck, Heyne Hardcore Night

22.04.2014 Nürnberg, Weinerei (Re-Cap)

Das war fantastisch. Leseraum so groß wie mein Schlafzimmer und genauso gemütlich. Nur die Playstation fehlt. Vorher bei den guten Menschen Petra und Julian von StarFM gewesen und mitanhören müssen, wie das bestgehütete Gimmick der Wrestlinggeschichte, nämlich die mythische Aura vom Undertaker, in einem Satz pulverisiert wird. Man stelle sich den Satz auch noch auf Fränkisch vor: „Der Undertaker war neulich auch auf’m Christkindlesmarkt in Nürnberg.“ Übernachtet haben wir (mein Bandkollege Sebi von Gebruder Grim war als embedded Video-Journalist dabei) dann in Fürth, was bei einer Gutwetterfront toskanischer wirkt als so manches Viertel in Florenz. In der Gastwohnung treffen wir auf Rudi Dutschke, den dicksten Kater, die ich je gesehen habe, weshalb ich ihn in Heinz-Rüdiger Dutschke umbenenne, analog zu dem dicken Kind in „Man spricht Deutsh“. Die Möglichkeit, in Gin verdünnte Halluzinationsmedizin einzunehmen, nehmen wir nach einem Informationsgespräch mit einem Telefonjoker nicht wahr. Falls wir in den nächsten 24 Stunden noch etwas wichtiges vorhätten, rät er uns dringend davon ab. Wir wollen in Kallmünz in den Biergarten am nächsten Tag, das ist uns wichtiger als Visionen. Also lassen wir das mit dem Bewusstsein erweitern und cruisen am nächsten Tag stattdessen zu Crosby, Stills, Nash & Youngs „Carry On“ nach Kallmünz, um dort um 13.59 eine last-minute-Pizza zu essen, weil in bayerischen Wirtshäusern wird die Siesta strenger eingehalten als in jedem Kaff in Baja California.

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Kurzkritiken zu Sin City 2, Oblivion

SIN CITY – A DAME TO KILL FOR
Ich müsste mir jetzt nochmals Teil 1 anschauen und überprüfen, ob ich den im Nachhinein auch so herzlos reaktionär finde, aber meinen Gedächtnis nach konnte man da noch einen gewissen lebendig begrabenen Humor ausmachen, der hier leider völlig fehlt. Wobei das nicht an Millers Comic-Vorlage liegt, die war nie lustig, weil Miller auch kein lustiger Mann ist. Und vielleicht habe ich auch schon zuviel Scheiß aus Millers Mund gehört, um einen Film zu mögen, bei dem er soviel mitzureden hat. Und wer – außer JGL selbst – hat eigentlich beschlossen, dass ab jetzt und für immer Joseph Gordon Levitt der coolste Stecher von allen ist? Fazit: geht nur als Vehikel für Eva Greens Brüste durch und ist damit in der Hauptsache Machoscheiße, immerhin ohne die Vorspiegelung falscher Ironie.

OBLIVION
Hoppla, schon wieder ein guter Sci-Fi-Film mit Tom Cruise. Allerdings wird wie schon neulich in „Und täglich grüßt die Alien-Invasion“ (Edge Of Tomorrow) eine gute Prämisse und ein anständiges Pacing gegen Ende in ein Spektakelkorsett gepresst, das der sanften Kohärenz und den Charaktermomenten (ja, genau, in einem Tom-Cruise-Film) der ersten Hälfte nicht mehr gerecht wird.

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Das falsche Tagebuch: 9. Januar 2015

Das Schlimmste an humanitären Katastrophen im Jahr 2015 ist neben der Katastrophe an sich, die Tatsache, dass sich jeder Hirsch verpflichtet fühlt, sich dazu zu äußern. Ich habe mir übrigens neulich den Magen verdorben, glaube ich. Ausnahmsweise kein Virus, sondern Shrimps-Salat in Cocktailsauce von Netto. Um ehrlich zu sein, wusste ich schon beim Verzehr, dass das kein gutes Ende nimmt. Ich glaube, bei dem ganzen Theater um den Islam haben wir eines verschwitzt: in einer ideal abgelaufenen intellektuellen und sozialen Evolution müssten wir eigentlich längst über das Thema Religion hinweg sein. Moralische Grundsätze (und Grundgesetze) haben wir doch eigentlich zum Saufüttern genug. Manchmal wäre ich gerne wieder auf dem Dorf mit der Familie und würde dort alles deinstallieren, was ich nicht sehen will. Nur die Abendzeitung mit den Neuigkeiten vom FC Bayern würde ich noch lesen am Frühstückstisch – wie früher. Doch wenn dann der Magen wieder in Ordnung ist, die hässlichen Shrimps und das Facebook-Pharisäertum final wegverdaut sind, hab ich doch wieder Lust zu raufen. Und wenns nur mit mir selbst ist. Und ich fürchte, das ist es: die Leute sind beinahe froh, wenn sie sich über etwas anderes echauffieren dürfen als ihre eigenen gottverdammten Unzulänglichkeiten.

Das falsche Tagebuch: 6. Januar 2015

Ich finde Pegida gar nicht so schlecht. Als Moralpessimist gehe ich sowieso davon aus, dass ein Großteil unserer Bevölkerung seelenruhig in seinem Fremdenhass vor sich hin brodelt, und um dieses Brodeln wieder in ein Dimpfeln zu verwandeln, braucht es eben hin und wieder einen großen Gesellschafts- und Medienreflex wie die Anti-Pegida-Bewegung.

Das kann er nämlich – ganz ohne Hohn – ganz prima, der Nachkriegsdeutsche: Auf die Straße gehen, wenn das Gefühl entstehen könnte, er sein ein intolerantes Arschloch. Gegen sauren Regen, Wackersdorf, die Republikaner oder eben jetzt diese Hirnis mit Haupstadt Dresden, wo man damals kein Westfernsehen empfangen konnte, hat ein Freund heute beim Kaffee mal ganz leicht anpolemisiert. Insofern auch bitte gerne weiterhin schreihälsige Idiotie brandmarken, damit die stumme zuhause wenigstens so eine Art schlechtes Gewissen entwickeln kann. Die Kultur erzieht die Masse, umgekehrt ist immer verkehrt, siehe Helene Fischer.

Nur dass jetzt bei Facebook jeder zweite eine Pegida-Belehrung aus dem politisch korrektem Ärmel schüttelt, will mir nicht so recht einleuchten. Zumindest in meinen FB-Bekannten gibt es keinen einzigen, der bekennend mit AfD oder Pegida sympathisiert. Das pseudoaufklärerische Internet-Gehabe ist doch wieder mal nur PC-Geprotze und die Beruhigung des eigenen schlechten politischen Gewissens, weil man sonst auch nichts aus seinem Leben macht als Geld und Kinder anzuhäufen, um beides irgendwann in einer Eigentumswohnung zu dumpen.