emotional stuntmen

Manchmal ist der Reiz so groß, das Verlangen so lasziv, dem Chaos seinen Lauf zu lassen. Sich einfach überlaufen zu lassen, sich auf die hässlichen Straßen hinausschwemmen zu lassen. Sich dem puren Verlauf hinzugeben. Weil du weißt, dass das nie wieder so passieren wird. Weil du sicher bist. Weil du dir sicher bist, dass ein weiterer Kontrollverlust vielleicht der letzte sein könnte. Dass er nur am Anfang, wenn das Ausmaß des Grauens noch ein Jahr in der Ferne liegt, seinen Reiz behielte. Und vielleicht ist es genau das, was Erwachsenwerden bedeutet. Der Sprung hinter die sichere Deckung. Das ist die furchtbare und furchtbar beruhigende Wahrheit über das Ende der Jugend. Dass du dich nicht mehr treiben lässt. Hinaustreiben aus deinen Plänen und Vorstellungen von Kommodität und diesen No-Risk-No-Fun Gedanken bis in eine haarsträubend gefährliche emotionale Stuntman-Tätigkeit ausufern lassen. Bis aus dem Leben ein Überleben wird.

Aber das kannst du dir nur leisten, wenn du ganz alleine bist und sein magst, denn wenn du andere da mit hineinziehst, bist du ein ganz egoistisches Arschloch. Und das wolltest du doch ab 30 nicht mehr sein. Also ziehst du den Kopf ein, wenn Gefahr droht, beschützt dich und diejenigen, die sich gerne mitbeschützen lassen. Aber wenn es so regnet wie heute, dann möchtest du manchmal die Pfähle, die diese Stadt über Wasser halten einfach umnieten und zusehen wie alles untergeht, den Bach hinuntergeht. Und an einem anderen Tag an einem völlig anderen Ort aufwachen. Von der Strömung, vom Chaos einfach wo anders an Land gespült. Von einem unendlichen Heimweh geplagt, das dich am Leben erhält.

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Längere Kurzkritik zu Frost/Nixon

Ein Film mit Überlänge über ein Interview, der auch schon vor dem Interviewpart vorwiegend Dialoge in den Vordergrund stellt. Eigentlich ein sicheres Todesurteil für meine Bandscheibe und meine Aufmerksamkeitsspanne. Ohne eine einzige Filmkritik gelesen zu haben, vertraute ich Ron Howard bei diesem Film. Diverse fabelhafte Regisseure wie Clooney, Sam Mendes und Scorsese standen zur Diskussion, aber man hätte die Aufgabe kaum besser lösen können als der eigentlich eher unpolitische Ron Howard, vom Ende einmal abgesehen. Schon im Trailer wirkte die Ausstattung fantastisch, die Bilder milchig weich und die Darsteller bis zum Anschlag auf den Punkt spielend. Und so war’s dann auch.

Ich kenne von den Original-Interviews nur kurze Ausschnitte und bin deshalb vorsichtig mit meiner Behauptung, dass die entscheidenden Stellen zeitgeschichtlich exakt wiedergegeben wurden. Ansonsten wird natürlich in Sachen Mimik ordentlich dramatisiert (in wörtlich wie im übertragenen Sinn), aber darin liegt der Reiz. Frank Langella und Michael Sheen beim Zubeissen zuzuschauen, ist wie den Endkampf eines Rocky-Films zu sehen. Ein Show- und Staredown, der bei bereits bekanntem Ausgang dennoch die Nerven flattern lässt. Die beiden hatten auch jede Menge Zeit zu üben, schließlich sind sie auch die Hauptdarsteller des gleichnamigen Theaterstücks und duellieren sich schon ein paar Jahre vor Publikum.

Am Ende verwirrte mich dann dennoch die offenbar durchaus intendierte Erzeugung von Mitleid mit einem gestrauchelten Nixon, der wie wir alle nur Liebe und die Anerkennung will. Das ist eine zutiefst humanistische Quintessenz, die den Film kurz vor Schluß noch ein paar Zentimeter in Richtung Rührstück biegt. Frost/Nixon ist sicher eher Schauspielerkino als Zeitdokument und soll auch nicht als moralischer und politischer Anschauungsunterricht herhalten, aber die grenzenlose Einsamkeit versprühende Dackel-Sequenz am Schluss lässt einen furchtbaren Politchauvinisten wie Nixon moralisch fast ungeschoren davonkommen. Und das kann man eigentlich nicht so stehen lassen. Und ihn auch nicht so. Am Meer, im Sonnenuntergang.

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Den Todestag vom Opa Edi Karl Henn alias Neobazi werd ich mir gut merken können, denn am 28.01. vor einem Jahr ist schon mal jemand, den ich kannte, viel zu früh gestorben. Ich hab’s immer hinausgeschoben, Edi mal zu treffen, insofern waren wir nie die besten Bekannten, aber eine Zeitlang kreuzten wir die verbalen Klingen im Netz und hatten viel Spaß dabei. Mehr Worte sollen denen vorbehalten sein, die ihn wirklich kannten. Servus, Edi, ich hab viel von dir gelesen und sogar ein paar Sachen von dir gelernt.

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algorithmen

x² +10x = 39
(Al-Khwarizmi, ca. 830 BC)

Vor genau einem Jahr war ja diese schlimme Geschichte. Ich rief einen Freund an, um ihm zu erzählen, was passiert war. Am Ende des Gesprächs sagte ich zu ihm. „Ich merke schon, dass der Winter nicht mehr lange dauert.“ Ich fand mich ziemlich irre in dem Moment. Das klang kein bisschen optimistisch, sondern wie unter Drogen. Mein telefonisches Gegenüber meinte, wenn man mit solchen Sätzen auf eine Katastrophe reagiert, dann ist das ein gutes Zeichen. In den folgenden Wochen und Monaten war ich zornig und fühlte mich, als würde ich unter dem Bretterboden einer Holzhütte beim Ungeziefer wohnen. Verdreckt und zornig, über Monate hinweg.

Und zornig bin ich immer noch über Gebühr. Aber wenn ich mich jetzt zurückerinnere, fällt mir wieder dieser Satz zu T. über den weichenden Winter ein. Und dass da mehr Perspektive und mehr Idee ist, als ich glauben will. Weil sich selbst zu den Ratten sperren, den Underdog markieren, das ist einfach. Unterm Radar fliegen und dann sich selbst mit einem völlig unwahrscheinlichen Happy End überraschen. So entsteht ein Leidensweg wie aus dem Lehrbuch. Ich bin unsicher, worauf ich eigentlich hinaus will. Wohlmöglich darauf, dass ich ich kein Vertrauen in die Mathematik des Daseins habe. Dass ich glaube, an nichts zu glauben. Und dabei hänge ich wie verrückt an jedem einzelnen Tag und an jeder einzelnen Idee. Und an der hochgradigen Wahrscheinlichkeit der Veränderung des Wetters.

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Kurzkritik zu Revolutionary Road

Ach ja, und dann war ich neulich in Sam Mendes´ „Revolutionary Road“. Im Sony Center. Und um mich und meine Frau herum saßen Menschen über Vierzig, die wohl besser in den Komödienstadel gegangen wären. Lautes Gelächter nach jedem vierten Dialog. Konnten den Schrecken wohl nicht ertragen. Eigentlich fast ein psychologischer Horrorfilm. Züge von Rosemary’s Baby und Stepfather. Man könnte sich glatt vorstellen, dass Wes Craven ein Sequel dreht, wo Leo aus ewiger Rache an Kate durch die Großstadt slasht. Spaß beiseite: ein zutiefst unangenehmer Film mit nur einer übertriebenen Szene, als Kate Winselt diesen hysterischen Lachanfall bekommt. Genau wie das Publikum um mich herum den ganzen Film über. Michael Shannon als der verrückte Mathematiker (warum hat den nicht Russell Crowe gespielt) war natürlich der wahrheitstrunkene Narr von der Gesellschaft zwangsausgenüchtert, aber noch wach genug, um den Untergang von Leo und Kate zu riechen. Der hätte sicher auch bei uns im Kino seine helle Freude mit den Leuten gehabt, die beim in den cineastischen Spiegel schauen zunehmend hysterischer geworden sind.

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aussichtsposten

Gestern vormittag über die Avus raus aus Berlin gefahren. Bäume links und rechts vergoldet mit Schnee, Eis und Sonne. Auf dem Nachhauseweg war es schon dunkel und der Vollmond hing so wuchtig über Mitte, das ich zurücknehmen musste, was ich neulich ganz laut zu ein paar Leuten gesagt habe. Dass der Mond nur in Hollywoodfilmen so tief und fett hängt. Ich weiß nicht genau, was es mit diesem Sonntag auf sich hatte, aber die Farben des Tages waren klar und die Konturen scharf. Die Dunkelheit kam schnell, doch die Konturen blieben. In nur vier Stunden war es wieder spiegelglatt bei uns in der Straße und die Kälte, die heute morgen eine kleine Auszeit genommen hatte, ließ am Abend wieder die Muskeln spielen. Ich habe keine gute Begründung, vielleicht findet sich eine zwischen den obigen Zeilen, aber irgendwas Frühlinghaftes war in meinem Kopf. Obwohl sich mein ganzer Körper zusammenzieht bei der Kälte. Aber ich erinnere mich, auch schon mal das Meer gerochen zu haben und es war 600 km weit weg. Eine Vorahnung kann man es immer nennen, denn man muß kein Nostradamus sein, um zu prophezeien, dass das Wetter sich irgendwann ändern wird.

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Das Seebad. Eine Verärgerung.

Es ist genauso bizarr, sich dem Koloss zu nähern, wie sich von ihm zu entfernen. Am ersten Tag kommen wir mit dem Auto über die Straße nach Prora und dieses Urvieh von einer Urlaubskaserne gruselt uns mit seinen verfaulenden Betonarmen entgegen. Am zweiten Tag wandere ich zu Fuß aus Binz und nähere mich von der Meerseite. Das ist noch bedeutend gespenstischer. Man schlägt sich vom Strand ganz Lost-mäßig durch ein Waldstück, plötzlich steht man auf einer steinernen Lichtung mit verfallenen Treppen vor einer der längsten Fassaden Europas, übersät mit zerbrochenen Fensterscheiben wie mit Narben. Die Vegetation auf der Strandseite ist völlig verwildert.

Der eigentliche Spuk offenbart sich aber erst im Innern eines der Blöcke, die der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Wohlgemerkt meine ich nicht das Dokumentationszentrum, das scheint integer zu sein. KdF-Museum schimpft sich die Alternative dazu. Darin befinden sich dauerhaft schauderhafte Ausstellungen. Die eine widmet sich dem Gebäude an sich und dem KdF-Leitmotiv als solches, die andere stellt NVA-Devotionalien aus und dann stehen da noch ein paar Motorräder aus der DDR rum. An der Kasse frage ich nach einem Journalistenrabatt und der Mann hinter dem Counter faselt etwas von einer rücksichtlosen Presse, die ihn und seine Ausstellung schäbig behandelt hätten. Spiegel und Konsorten hätten ihm gar rechte Propaganda unterstellt. Da wird man natürlich hellhörig. Der Einführungsfilm tut wenig mehr als das Funktionalgebäude per Zeitzeugen zu loben und der Jugendliche in der Thor-Steiner-Jacke nickt andächtig dazu. Eine Menge Nazikram hängt rum. Organigramme der Hitlerjugend, ein Prospekt zu „Jud Süß“, alte Zeitungsmeldungen und diverse kontextlose Nazi-Devotionalien. Auf dem offenbar liebevoll bestückten, detailgetreuen Modell des Seebads an der Prorer Wiek stecken NSDAP-Käsehäppchen-Fähnchen ohne Hakenkreuz, aber das Kraft-durch
-Freude Logo wurde respektvoll nachempfunden. Von Reflektion keine Spur. Einen Gang weiter sind sie DDR Motorräder ausgestellt.

Wäre ich mir der Dubiosität dieser Veranstaltung noch nicht gewahr, spätestens im zweiten Stock spränge sie mir ins Gesicht. NVA galore mit Uniformen, Waffen, Broschüren, dazu ein bisschen Marschmusik und ein Film über Waffenmanöver mit einem martialischen Titel, den ich sofort wieder verdrängt habe. Ein Freund und meine Frau sind schon ein wenig eher mit der Besichtigung durch und fragen den Mann an der Kasse, warum man hier so unreflektiert und ohne den Hauch von Aufklärung Nazischmarrn und Militärpropaganda aufreiht.
„Wenn Sie das so sehen.“, raunzt der Mann an der Kasse sichtlich beleidigt. Man kann also wirklich nicht sagen, dass hier verantwortungsvoll mit deutscher Geschichte umgegangen wird, um so mehr erstaunt es mich, dass das zuständige Land – in diesem Fall Mecklenburg-Vorpommern – noch nicht interveniert hat. Wollen sie nicht oder können sie nicht? Die Ausstellungen sind privater Natur, das Gebäude ist es ganz sicher nicht, obwohl Teile davon mittlerweile unter anderem an unbekannte Investoren veräußert wurden. Mindestens ein Block soll ja unter Mitfinanzierung des Bundeslandes zur idyllischen Jugendherberge umgerüstet werden. Wie man hört, ist die Instandhaltung des Monsters der reinste Geldstaubsauger. Da vermietet man dann auch gerne an halbseidene Geschichtszündler. Ich will nicht wieder per se auf dem Ostdeutschen herumreiten, aber eine Sympathie für DDR- und Naziregime zugleich scheint mir ein deutliches Symptom der intellektuellen Verödung zu sein. Aber vielleicht liegt es ja auch am Inseldasein.

Wenn man von der Gebäuderückseite zurück zum Ostseestrand geht, durchquert man wieder das kleine Wäldchen und landet auf einem dermaßen idyllischen Streifen Sand und Meer, so als wäre nie was gewesen. Und das ist eigentlich bei all den Verdrängungsärgernissen das Schlimmste.

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Loch Wellness

Ich schreibe aus dem Wellness Kurzurlaub hier am Flesensee. Hotel gut, Essen superb, gibt ausnahmsweise gar nix zu meckern. Aber halt, da war doch was. Und zwar, dass der Hundsfott von Körper jedes Mal denkt: Aha, Wellness, da kann ich ja abschalten. Und dann fährt er runter, reduziert seine Arbeit auf Minimialfunktionen, die grad so zum Überleben reichen. Während ich also zunächst noch frohen Mutes saune, schwimme und spazieren gehe, mich massieren und mit Hochwertkost füttern lasse, verabschieden sich nacheinander Kreislauf, Verdauung und Immunsystem. So bin ich den ganzen Tag todmüde, muss aber dauern aufs Klo, kann aber nicht, bekomme Pickel am Rücken und trockene Haut im Gesicht. Meistens werde ich dann im Anschluss an das Wellness-Wochenende ganz fürchterlich unwell, von Keuchhusten bis Grippchen ist da eigentlich alles drin. Von meinem Bandscheibenvorfall inkl. hämmerndem Ichia-Schmerz will ich gar nicht reden. War ich noch während einer arbeitsamen letzten Woche fast schmerzmittelfrei, könnte ich mir die Ibuprofen-Dose jetzt eigentlich gleich direkt mit allen Pillen im abendlichen Lübzer vom Fass auflösen. Kein Wunder, dass ich mich mittlerweile vor Wellness-Aufenthalten mehr fürchte als vor einem Termin beim Finanzamt.

Sicher sagt der eine oder andere (ich hab da so Kandidaten im Auge) jetzt, was fährst du auch in Wellness, du Depp. Erstens sauspießig und zweitens solltest du doch aus der Erfahrung gelernt haben, dass dein Körper nicht für Wellness gemacht ist. Also bei „erstens“ stimm ich zu, aber dass ich meinem Körper nichts Gutes tun soll, das sehe ich noch nicht so schnell ein. Weil mittlerweile ist es leider so, dass wenn ich ihm etwas Schlechtes wie verrauchte Kneipenabende antue, er ganz genauso bockt. Das ist ein blödes Limbo, in dem ich mich befinde. Ein unauffälliges Mittelmaß in der Lebensweise ist mir quasi verordnet. Kann man sich ja vorstellen, dass mir das nicht ins Konzept passt. Und den Lesern natürlich auch nicht. Nicht umsonst flohen die Leser in Scharen vor der Gutbürgerlichkeit, die dieses Medium 2007 in Beschlag nahm. Meine pathosgeschwängerten Elegien über die Finsternis in Berlin erfreuten sich rein zugriffstechnisch bester Gesundheit. Aber schon als ich nach Barcelona exilierte, um dem Exzess den Rücken zu kehren, kehrten auch einige Leser um und suchten Trost bei anderen Leuten, denen es noch schlechter ging als ihnen selbst. Die Freud an der Inszenierung der Misere ist eben eine verlässliche Größe im Leben eines Lebemann. Vorausgesetzt, die Misere ist nicht zu groß und nicht mehr hausgemacht. Ab dann wird’s selbst den hartnäckigsten Katastrophentouristen zu trist.

Aber halten wir fest: Gesundheit bekommt weder dem Autor, noch der Publikation. Krankheit will er aber jetzt auch nicht direkt einfordern. Ein Vorschlag zur Güte: ich fahr einfach nicht mehr in Wellness-Urlaub, dann wird alles gut.

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I don’t wanna be sedated

Es gäbe eine Menge zu tun, wozu man vollkommen klar im Kopf und nüchtern sein sollte. Der scheiss Schmerz in meiner Hüfte dämpft alle Wahrnehmungen, die dazu nötig wären. Wenn ich dann noch Schmerzmittel in den Mix gebe, fange ich an, durch den Tag zu wabern. Und obwohl ich mir selbst unendlich langsam dabei vorkomme, rast der Tag ausserhalb meiner eigenen Zeit nur so an mir vorbei. Das hat auch etwas Gutes. In meiner permanenten Benommenheit bleibe ich vollkommen melancholiefrei und ungerührt der Dinge, die mir nahe gehen müssten. Ich tappe mehr durch das Restjahr, als dass ich es durchschreite.

Ich sehe was passiert, wenn ich diesem Zustand ein wenig Alkohol verabreiche. Meine eher grantig annotierte Indifferenz weicht einem furchterregenden Wohlwollen. Es ist, als ob man an einem strahlenden Sommermorgen eine Jalousie hochzieht, aber das Fenster zulässt, Licht ohne Luft. Mein mit Cuba Libre erkaufter Positivismus ist natürlich genauso artifiziell wie meine vorausgehende Indifferenz. Ich bin einfach nicht draußen. Zudem wissen wir ja alle, dass Schmerzmittel in Kombination mit Alkohol ihre ganz eigene Dynamik entwickeln. Es ist aber nicht so, dass mir dieser Zustand der nächtlichen Erfreuung besonders zusagt. Am nächsten Morgen schäm ich mich oft für meine Euphorie.

Ich möchte diese permanente Betäubung loswerden. Und damit meine ich den verdammten Schmerz in meiner Hüfte. Ich denke, das ist das schlimmste Betäbungsmittel. Und im schlimmsten Fall muss ich lernen, damit umzugehen. Aber vielleicht brauche ich auch einfach nur eine andere Idee. Oder ich geh mal wieder zum Friseur.

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Los Angeles

And there’s a certain light in L.A.
(David Lynch)

Palm Springs dient als nervenberuhigendes Präludium für L.A. Ich sitze nachts am erleuchteten Motel Pool. Um mich herum, auf den Straßen in den Höfen und Gärten: Palmen und nochmals Palmen. Ein paar Felsen ragen im Hintergrund in die Szenerie hinein, doch nachts sieht man sie nicht. Alles um uns herum ist Wüste. Sternklarer Himmel, 27 Grad und zwei Sternschnuppen mit einem langen Feuerschweif und einem dramatischen Verglühen im kalifornischen Nachthimmel. Palm Springs. Mit Sicherheit einer der wärmsten, angenehmsten, großzügigsten und schönsten Orte in den USA. Fünfziger Jahre für immer. Eine einzige wundervolle Momentaufnahme.

Aber wie gesagt nur das Vorspiel zu L.A., dem amerikanischen Ruhrpott, wollte man eine ausschließlich straßenverkehrstechnische Parallele ziehen. Tatsächlich hat man das Gefühl, L.A. beginnt 100 Meilen bevor man seine Stadtgrenze passiert. Innerhalb derselben angekommen, bin ich erstmal einem Kanye-West-artigen Tobsuchtsanfall nahe, weil das Hotel, das ich gebucht habe, zusätzliche Parkgebühren von 24$ von uns haben will. Das ist übel, dafür, dass wir unmittelbar am internationalen Flughafen residieren. Dass die Parkplätze in West Hollywood nicht für Appel/Ei zu haben sind, ist mir eh klar, aber am Flughafen, ich bitte dich. Natürlich symptomatisch für L.A. Eine Stadt, die nur per Auto zu durchqueren ist, verdient eben an ihren Parkplätzen und mein Glaube an die Machbarkeit von unendlichen gratis Parkplätzen auf dieser immensen Stadtfläche erweist sich als sehr naiv. Tatsächlich ist es eine Ungeheuerlichkeit, dass bei teilweise 8-spurigen Freeways (in eine! Richtung) und Tonnen und Abertonnen von Autos die Car Pool-Spur meistens freie Fahrt gewährt. Und um die zu benutzen, muss man lediglich mehr als eine Person pro Auto sein. Die Quintessenz möge nun der Leser selbst ziehen.

Doch nicht alles am Verkehr dort ist beunruhigend. Es herrscht mitunter eine Rücksicht vor, von der man als gemeiner (und das meine ich wörtlich) Europäer nur träumen kann. Der US-Autofahrer ist zwar meist zu dumm zum Einfädeln, aber er gibt sich immerhin alle Mühe und nimmt jede erdenkliche Gelegenheit wahr, um es dir zu ermöglichen. Mal in der Spur geirrt und schnell nach rechts rüber? In L.A. kein Problem, in Berlin nur unter Drohungen machbar, in München lebensgefährlich und in Köln ist kein Platz dafür. Nicht zu vergessen, dass man auch bei roter Ampel rechts abbiegen darf, aber wenn ich jetzt von Berliner Ampelschaltungen anfange, sitzen wir bei der nächsten Emmy-Verleihung noch hier.

Eine Beschäftigung mit dem lokalen Verkehr ist leider auch bitternotwendig, will man nicht den ganzen Tag im Sheraton Gateway sitzen und den Fliegern beim Starten und Landen zusehen. Ein weiser Mann (vermutlich ich selbst) hat mal gesagt: „In L.A. braucht man mindestens 20 Minuten zum Ziel und maximal zwei Stunden.“ Die angesprochenen 20 Minuten brauchen wir schon mal bis zum ersten Stau wegen Unfall kurz vor’m Santa Monica Beach. Nach weiteren 20 Minuten sind wir dann da und schauen uns auf der Promenade um. Ein paar Skateboarder, ein paar Badetouristen aber überwiegend Normalos, Anwohner und Inner City Ausflügler auf einem Areal, das genauso nach Baywatch aussieht, wie man es befürchtet und er(hassel)hofft. Ein wenig später werden wir uns natürlich auch die Freakshow am Venice Beach gönnen, inklusive Bodybuilder in freier Natur und urbanem Herumgehopse einer öffentlichen Tanzveranstaltung am Strand.

Nach nur zwei Stunden L.A., müssen wir bereits ein wenig Abstand nehmen und unsere Stadtflucht improvisiert sich in einem Besuch des Getty Museums in den Santa Monica Hills. Der verrückte alte Ölmann mag kurz vor Ende seiner Lebzeiten noch eine Menge Leute vergrault haben, sein Rückzug hat sich aber architektonisch rentiert. Ein erstaunlich geschmackvolles und dennoch prunkvolles Reservoir für europäische Kunst vergangener Jahrhunderte steht da oben und wir oben drauf und blicken das erste Mal auf L.A. in seiner Gesamtheit. Man kann von hier aus kaum Downtown sehen, obwohl es nur ein paar Viertel entfernt liegt. Das liegt nicht ausschließlich an der Smogglocke, sondern einmal mehr an der grotesken Ausdehnung dieser Stadt. Hat mich bei meinem ersten New York-Besuch vor zehn Jahren noch die schiere Höhe verängstigt, so ist es hier die Breite.

Eine Zerfaserung von Stadtteilen kennen wir ja aus Berlin zur Genüge, aber wie diese Stadt zerfällt, um dennoch als homogenes Urbanereignis ohne Schuttgürtel zu bestehen, grenzt an ein Wunder. An ein Wunder grenzt auch, dass wir später inmitten des Trubel um den Walk of Fame am Hollywood Boulevard einen Parkplatz für umsonst finden. Nicht natürlich, ohne vorher ehrfürchtig den etwas verranzten Sunset Strip entlang vorbei am Rainbow und Whiskey A Go Go’s per Stop’n’Go zu kriechen und uns zu erinnern, dass mal so etwas wie eine musikalische Revolution von L.A. ausgegangen ist. Sleaze- und Glamrock, mit Guns N Roses als populärste Vertreter. Leider wurde die Revolution von ihren eigenen hirnamputierten Kindern nach wenigen Jahren aufgefressen. Und wer überlebte, hat entweder keinen Erfolg (Mötley Crüe), keinen Drive (Aerosmith), keine Freundin (Brett Michaels) oder überhaupt keine Band mehr (W. Axl Rose). Und eigentlich auch keine Daseinsberechtigung.

Aber zurück zum Hollywood Boulevard. Die wenigen erhaltenen Theater der goldenen Zeit sind trotz unabgeschlossener Renovierungsarbeiten noch ansehnlich und sehr atmosphärisch. Das Kodak und das Chinese Theater lassen tatsächlich den Glamour vergangener Dekaden und Dekadenzen aufblitzen. Ich filme mit Vergnügen einen Mann im Batman-Kostüm und freue mich über eine dramatische Geste samt Umhang, bis mir meine Frau erklärt, dass der Mann nur deshalb seine Maske mit dem Umhang verdeckt, um nicht gagenfrei gefilmt zu werden. Ich wähle alternativ einen Gene-Simmons-Wiedergänger (in voller Montur), der in einer Pause seine lange Zunge um einen Bagel mit Frischkäse wickelt.

Es ist schon Nacht geworden und ich halte es für eine gute Idee noch ein bisschen in den Hollywood Hills herumzukurven bis man eine gute Stelle mit Blick auf das Hollywood-Zeichen erwischt. Ich muss zwei Dinge feststellen. Man sieht das Scheißding eigentlich nur von sehr wenigen Stellen aus, selbst in den Hills steht nach jeder Kurve eine kleine Villa oder eine Felswand und versperrt die Sicht. Zudem ist das Scheißding nachts offenbar nicht beleuchtet, was ich gar nicht glauben kann, schließlich beleuchten sie bei uns zuhause in Bayern doch jede Kleinstdorf-Sakristei rund um die Uhr. Na gut, dann eben über die Hills und far away zum Mulholland Drive. Doch auch der ziert sich. Obwohl der Mulholland gesamt Beverly Hills und West Hollywood in luftiger Höhe umzirkelt, ist er nur von wenigen Querstraßen der „Innenstadt“ aus zufahrbar. Am Ende unserer Serpentinen-Odyssee durch die Hills stehen wir vor einer vergitterten Privatstraße, aber immerhin erhaschen wir zwischen den Villen einen Blick auf die Lichter der Großstadt, wie man so schön sagt und in unserem Fall auch ziemlich schön sieht. Ich muss an die Nachtaufnahmen aus Lynchs Mulholland Drive denken.

Den folgenden Tag verbringen wir erneut zu einem großen Teil im Auto. Wir fahren raus nach Malibu und plötzlich sind wir wieder auf dem Highway 1, wo unsere Rundfahrt vor 1,5 Wochen begonnen hat. Man muss nicht viel zu Malibu sagen. Die Strände sind traumhaft und in den Hügeln stehen die passenden Villen dazu. Ich kann es keinem Klinsmann, Bob Dylan oder Thomas Gottschalk verübeln, sich hier ein Domizil zu gönnen. Leider ist die Getty Villa schon geschlossen als wir ankommen, aber selbst vom Boden der Tatsachen sieht das cäsarische Anwesen surreal aus. Ein hervorragendes, wenn auch beiläufiges thailändisches Abendessen in Chinatown und ein paar sonntäglich gemächliche Schritte durch ein gespenstisch leeres Downtown samt seiner Wolkenkratzer beschließen den Tag. Den Abend werde ich hauptsächlich am Hotelpool und vor der Glotze zubringen. Los Angeles überfordert mich und meine kaputte Hüfte auf Dauer.

Am letzten aktiven Tag unserer USA-Reise halten wir uns überwiegend in den Universal Studios auf. Überteuert, ein wenig albern, aber nostalgisch genug, um sich zu amüsieren. Ein neuer „Thrill Ride“ kombiniert die Hydraulik eines Wagons mit einer komplett animierten 3D-Umgebung. Besagte Umgebung ist das Springfield der Simpsons und das Krustyland ist wohl die halsbrecherischste Gauklerei der Welt. Und das obgleich unsere Gondel keinen Millimeter an Strecke zurückgelegt hat. Irgendwann (spätestens nach der grotesken Waterworld-Show) ist dann aber auch wieder gut mit Jubeltrubel und an diesem späten Hollywood-Nachmittag entkommt mir der Mulholland Drive kein zweites Mal, nehme ich mir vor.

Wir spazieren noch ein bisschen am Melrose Place herum und fahren den Rodeo Drive entlang, weil meine Frau sagt, da kauft man ein, wenn man wirklich nichts mit H&M und Zarah anfangen kann, aber dann ist das Licht gut genug, um über den Coldwater Canyon Drive auf den Mulholland zu stoßen und sich die Definition eines „scenic drive“ in aller Gemütsruhe anzuschauen. Und das ist tatsächlich sein Benzingeld wert. Auf der einen Seite der schmalen, sich um die Hügel schmiegenden Straße blickt man ins San Fernando Valley in seiner konträren Friedlichkeit, auf der anderen liegt einem gesamt L.A. und vordergründig Hollywood zu Füßen. In der Ferne ist die ehemalige Immobilienwerbung, die wir als Hollywood-Sign kennen, angebracht. Ein Erdrutsch hat einst den Zusatz (Hollywood)Land abstürzen lassen. Weit weg sind die Kapitalen, scheinbar unerreichbar, sogar schwer in die Kamera zu bekommen und wie ich vorher schon angedeutet habe, keineswegs omnipräsent. Wir fahren in der Dämmerung zurück zum Flughafenhotel, aber das Licht dieses letzten Tages in L.A. wird mir noch lange in Erinnerung bleiben. Am nächsten Tag um vier Uhr früh beginnt eine Rückreise, die ich gerne vergessen möchte.

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