Das Spukhaus zu Hofkirchen

oder Die unheiligen drei Könige

An einem spätsommerlichen Tag Ende September war ich bei meinem Schulfreund Christoph zuhause eingeladen. Ich war gerade in die vierte Klasse gekommen und die Vorladung zu Christoph nach Hause glich einer Adelung, denn Christoph war einer der Coolen in der Klasse, was man von eurem geschätzten Erzähler frühestens ab der Neunten hätte behaupten können. Bis dahin war er unsicher, leichtgläubig und in allem untalentiert, was die anderen längst aus dem FF beherrschten. Dazu gehörte auch Spukgeschichten erzählen.

Das Haus wo Christoph wohnte, gehörte seiner alleinstehenden Mutter und war ein altes, dürftig renoviertes Bauernhaus mit geräumiger Wohnstube, die komplett mit Holz verkleidet war. Dort servierte die Mutter Orangenlimonade und Nutellabrote und wir Jungs plauderten ein wenig über die Schule, bis das Gespräch auf Gespenstercomics und unsere generelle Vorliebe für das Übernatürliche kam. Wobei meine Vorliebe eher einer masochistischen Heidenangst gleich kam, aus der sich erst Jahre später ein Faible entwickeln sollte. Aber man will ja nicht als Hosenscheisser dastehen. Irgendwann steiß ein etwas grobschlächtigerer Kumpan von Christoph hinzu und fortan hatte ich das Gefühl, nicht mehr der neue Spezl von Christoph zu sein, sondern ein eher lästiges Anhängsel für ihn und seinen Kumpan.

Irgendwann gingen wir nach draussen und spielten Fußball und als wir wieder nach drinnen wollten, erstarrte Christoph plötzlich vor dem Hauseingang. Sein Blick hing voller Entsetzen an der Haustür aus massiver Eiche und einer weißen Beschriftung darauf. Es handelte sich um das Kreidezeichen der heiligen drei Könige. Nun muss man wissen, dass der katholische Brauch des Sternsingens jedes Jahr um den 6. Januar herum es vorschreibt, dass die Ministranten der Pfarrgemeinde als Caspar, Melchior und Balthasar verkleidet von Haus zu Haus marschieren und ihr Kreidezeichen auf den Rahmen der Haustüren hinterlassen. Das sieht dann in der Regel so aus: 20 C + M + B 05, die Zahlen variierten je nach Jahrhundert und Jahreszahl. Das bedeutet nicht etwa „Caspar and his gang of Melchman and Balty were in da motherfuckin house this year, brother“, sondern „Christus mansionem benedicat“ (Christus segne dieses Haus im Jahr 2005).

Was nun den guten Christoph so entsetzte war wohl die Tatsache, dass da nicht mehr wie erwartet „19 C + M + B 83“ stand, sondern etwas völlig anderes, vertauschte Buchstaben, falsche Jahrezahlen und jede Menge frische Kreidespuren. Mir war es zuächst gar nicht aufgefallen, doch Christoph klärte mich mit zitternder Stimme darüber auf, dass die Entweihung der heiligen Aufschrift der Sternsinger großes Unheil bedeutete. Von allzu skeptischer Natur war ich damals noch nicht, deshalb lautete meine nächste Frage nicht einmal, wer die Beschriftung verändert haben konnte, sondern ich ging gleich zum „Warum“ über. Auch darauf wussten der scheinbar spukversierte Christoph und sein bulliger Freund ein Antwort. Es wäre wohl meine Anwesenheit, die den bösen Hausgeist hier aufweckte und ihn übellaunig das Haus entweihen ließ. Christoph meinte, der Geist suche das Haus schon seit vielen Jahren heim, wäre aber seit langem nicht mehr aufgetaucht, bis ich ihn durch meine blasphemische Anwesenheit auf diesem Grundstück provoziert hätte. Die beiden Junge gaben mir zu verstehen, dass ich in der Bauernstube zu warten hatte, weil sie den Geist quasi inflagranti erwischen wollten und es für sie ungefährlicher als für mich sei. Schlotternd aber dankbar zog ich mich zurück

Bangend harrte ich in der Stube und konnte ein paar Angsttränen nicht unterdrücken bis ein ernst dreinblickender Christoph zurück ins Haus kam, mich wortlos bei der Hand nahm und mich vor’s Haus führte, wo sich mir ein Anblick des Grauens bot. Die Insignien der heiligen drei Könige hatten sich komplett in chaotische Schriftzeichen und dämonisches Geschmier verwandelt und plötzlich kam es mir vor als würde sich die bestehende Weltordnung samt meiner unbedarften Kindheit in einem gewaltigen Säuresturm auflösen und als sei die Hölle bereits angeschürt, um dem kleinen Burny in den nächsten Minuten einen feurigen Empfang zu bescheren.

Ich rannte in die Bauernstube zurück, ließ mir von der perplexen Mutter von Christoph das Telefon zeigen und rief meine Mutter an. Ich goss alles ins Telefon: „Mama, ich weiß du denkst ich spinne, aber ich glaube hier spukt es! Du musst mich sofort abholen.“ Und so kam meine Mamutsch eine klamme Viertelstunde später an und holte ihren aufgelösten Hypersensibling ab, nicht ohne sich noch bei Christophs Mutter und ihm selbst für deren Gastfreundschaft zu bedanken. Weitere Fragen stellte sie nicht. Christoph winkte mir mir verkniffenem Blick hinterher, so als wolle er sagen: So einfach kommst du nicht davon.

Zuhause wurde ich erstmal meinem Vater vorgeführt, der sich mit meiner Mutter als Gasthörerin den Vorfall nochmal im Detail schildern ließ. Nach Ende meines beschämenden Erlebnisberichts über das Spukhaus in Weichs bei Hofkirchen, lachte er kurz auf hieb mir seine Hand auf die Schulter, meinte „Die ham dich sauber verarscht, Junior“ und ging gutgelaunt zurück in sein Büro.

Stunden später erschien selbst mir verängstigtem Geistergejagten das die plausibelste Erklärung zu sein und so schlich ich am nächsten Tag in die Schule und sagte völlig dilettantisch gespielt souverän: „Pah, Christoph. Ihr habt mich aber sauber reingelegt, oder?“ Bei dem „oder“ muss meine Stimme aber schon wieder leicht panisch nach oben gegangen sein, denn Christoph lächelte mitleidig und sagte: „Na klar, du warst ja auch so ein leichtes Opfer.“

Und nächstes Mal erzähl ich euch die Geschichte wie ich mich auf Anraten meiner Kumpels selbst auf die Party des unattraktivsten Mädchens der Schule einlud, die sie nie gehalten hat und auch nie halten wollte.