Das falsche Tagebuch: 20. Januar 2014

Ich bin gereizt. Ich bin sauer. Ich habe das Gefühl, es offenbaren sich jeden Tag mehr Schwachstellen an Geist und Körper. Meine Haut durchlebt seit November (da fing dieses höllische Wechselwetter an) einen Koller nach dem anderen und überall sehe ich zwischen die Ritzen, sehe die Sollbruchstellen und visioniere mir Schreckszenarien ins Haus. Das Internet wird jeden Tag etwas schwächer und meine Frisur sieht bescheuert aus. Wenn ich Whiskey trinke, wirkt das nicht wie die übliche Befreiung, sondern wie eine Vergiftung. Auch das Kind fühlt sich nicht wohl in seiner Haut, das merke ich doch. Ich glaube, ich kenne das Gefühl, es ist ein uraltes. Es ist meistens eine Art Verpuppung, bevor sich entwas entlädt, und das muss weiß Gott nichts Schlechtes sein. Hauptsache irgendetwas passiert. Das alte Warten und vielleicht sogar freudige Hineinstürzen ins Getümmel, ins Gefecht, in den nächsten Weltkrieg.

Wenn ich mich umschaue, dann scheine ich nicht der Einzige zu sein, dem der Dampf zu den Ohren hinauskommt. Alles wetzt und wartet gleichzeitig und kehrt letztlich panisch vor der eigenen Haustür bevor das Dach darnieder rauscht. Die anderen Eltern schauen mich komisch an, aber langsam verstehe ich, dass sie Angst haben, dass ich ihre Angst bemerke. Tu ich auch, ist mir aber scheißegal. Denn glauben Sie’s oder nicht, auch ich hab Sorgen. Sorgen, dass wir in einer Stadt aus Asche leben, die nur noch so lange dasteht bis der geringste Windhauch sie in ein Nichts zerweht. Tiny City made of Ashes in der Version von Sun Kil Moon. Gesellschaftsparanoia ist meine Lieblingsexzentrizität zur Zeit, und ich bin froh, dass ich endlich wieder eine habe. Ich bin Künstler verdammt noch Mal. Ich trinke zu wenig, rauche nicht und habe keine Liebhaberinnen oder Liebhaber. Irgendeinen Hau muss ich haben, wie soll ich sonst schreiben?

Am Freitag war ich wieder beim Stand-Up. Ich praktiziere das, ich tue es, aber ich tue es beinahe heimlich. Nicht weil ich mich schäme, ich finde sogar, dass mein Sieben-Minuten-Programm (das ich fatalerweise jeden Monat komplett umschreibe) mittlerweile ziemlich gut funktioniert. Heimlich, weil es schön ist, ein geheimes Hobby zu haben, wenn ich schon nicht in Puffs gehe. Heimlich auch, weil ich noch nicht an Punkt kommen will, wo man mich berechtigterweise fragt, was ich damit erreichen will. Noch kann ich sagen, ich bin neugierig. Am Anfang war ich ein wenig entsetzt ob der cliquenhaften Natur des Kleinvarietés in Schöneberg. Dieses Zwangszusammensein mit Anwesenheitspflicht, was einem nur wieder verdeutlicht, dass man nicht dazugehört, wenn man sich nicht zu einer sozialen Regelmäßigkeit aufraffen kann – story of my life. Doch die Leute dort sind toleranter als ich gedacht habe. Die Profis (und meine Güte, gibt es da Leute mit gutem Timing) und die Nieten gleichermaßen. Es ist die demokratischste und unprätentiöseste Form von Unterhaltung, die ich je gesehen habe, wenn man von den Moderatoren des Abends mal absieht, welche die einzige Form von Hierarchie repräsentieren. Aber nichts schweißt mehr zusammen als die kollektive Zuarbeiter-Erfahrung. Ich geh bald wieder hin, sage aber niemanden Bescheid. Wenn Sie mich in zehn Jahren lesen sehen und sich fragen, warum ich ein Timing-Gott bin, dann wissen Sie Bescheid.

Ich übersetze ein Sachbuch über Beschiss im Weltfußball, verschobene Spiele und so. Verschobene Spiele darf ich nicht sagen, weil der Laie sonst denkt, es handle sich um ein verspätetes Spiel. Es geht viel um Singapur, ich denke seit zwei Tagen andauernd über Singapur nach. Das erleichtert mir ein bisschen die Berlin-Paranoia. Die Sonde, die gerade aufwacht, wäre eigentlich ein roter Teppich für Außerirdische, den Weltuntergang oder einfach irgendwas. Hauptsache es passiert irgendwas, damit die Wut und die Anspannung weg gehen.