To Make Ends Meet

Du bist so clever. Du stellst das alles ganz richtig an. Du rückst kein bisschen von deinem ursprünglichen Plan ab. Du bist dir so unglaublich sicher, dass die Stadt dich wieder ausspucken wird und du weich fällst. Dieses Gottvertrauen, dieser Aberglaube macht dich so einzigartig hier. In jeder nicht ausgeführten Bewegung, in jedem Verharren, in deinem fatal-apathischen Innehalten zeigst du mir, wie sehr es an der Zeit ist, mich in deine Richtung aufzumachen. Nur dein neugieriger Blick verrät dich. Deine Depression ist so unglaublich sexy.

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Als ich damals nach Berlin kam

Are you aching for the blade?
That’s o.k. We’re insured.
Are you aching for the grave?
That’s o.k. We’re insured.
(James – Getting Away With It)

Es war im Spätsommer 2003 und hinter mir lag ein Jahr voller Blut und vergebener Liebesmüh. Es war der finsterste Jahreswechsel meines Lebens gewesen und ich hatte mich noch gewundert, dass das Jahr überhaupt wechselte. Danach nahmen wir alle an Fahrt auf und Autos landeten im Straßengraben, wir rollten uns betrunken mit Instrumenten auf dem Boden, die Nächte wurden unerträglich lang, Freundschaften wurden in letzter Minute und im Eiltempo geschlossen und wir ließen München endlich sterben. Ich befand mich in schlechter Gesellschaft und ich war eine ebensolche. Ich zerriss alle Arbeitsverträge und brach mit alten, schlechten Gewohnheiten. Es waren noch ein paar Monate voller brutaler Scherze auf Kosten der alten Stadt, es gab noch ein paar unglaubliche Ficks und die letzten Sensationen, die wir aus diesem Blutsommer noch herauskitzeln konnten und dann verschwand ich mit all meinen Möbeln und einem weißen Transporter aus München.

Der Vermieter hatte mir mir noch Renovierungskosten von 2000 Euro angedroht und mich dann in letzter Sekunde vor dem Bankrott bewahrt, bevor ich den weißen Wagen bestieg, den guten alten Omnimike im Gepäck, den perfekten Begleiter für die Reise in eine Stadt, die jungen Leuten nix versprach und nicht im Traum daran dachte, irgendetwas zu halten. Das Wetter war fantastisch, die Siegessäule glitzerte uns an und es roch nach Algen, als wir in Berlin einfuhren. Die Stadt war ausgetrocknet, aber der September ließ ihr endlich wieder Luft zum Atmen. Die Leute trauten sich aus den Schatten in die Sonne und trieben Sport. Omnimike und ich, wir tranken Bier in den Straßencafes, kauften Döner und ich telefonierte mit dieser blonden Moderatorin und sah mich schon als ihr neuer Freund in der gemeinsamen neuen Stadt. Ich schlief im Park in der Mittagssonne ein und ich dachte an den verschmorten Engel zuhause in München. Meine Freundin rief an und war weder sonderlich besorgt um mich, noch interessiert genug an meinem neuen Zuhause. Nachdem Omnimike sich ins Auto zurück nach München gesetzt hatte, ging ich alleine ins Kino und danach fuhr ich durch die unbeleuchteten Straßen Kreuzbergs zu einem kleinen Club. Ein Auto mit betrunkenen Wahnsinnigen verfolgte mich, sie hörten in ohrenbetäubender Lautstärke Beethoven und schrien mich an. Panisch suchte ich mein Heil in unbekannten Nebenstraßen und verfluchte meine Einsamkeit.

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Während die Wochen voranschritten, fand ich mich hinter einer zerschlissenen Bar wieder und in einem modrigen Proberaum. Meine Besuche in München gerieten von Mal zu Mal morbider, der Sommer verzog sich ohne ein abschließendes Lächeln aus Berlin, meine Freundin machte mit mir Schluss und der verschmorte Engel hatte seine Flügel repariert und war im Anflug auf Berlin, um seine Feuer auch hier zu legen. Man war nicht sicher hier und man konnte sich nie sicher sein, was die Stadt von einem hielt. Ich begab mich mehr und mehr unter Menschen, keineswegs unter Einheimische, und ich begann zu verstehen, dass Berlin kein Irrenhaus war, sondern eine Art Erziehungsanstalt. Die Leute hier koksten sich um den Verstand, zogen sich die Haut ab, fielen sich gegenseitig an und machten sich so kaputt, dass ihnen ab 35 nur noch der komplette Rückzug ins Berufs- und Familienleben blieb. Der Prenzlauer Berg wurde zur geburtenreichsten Region Deutschlands und die sinnsuchenden Wracks zu den bravsten und produktivsten Bundesbürgern weit und breit. Die Rechnung ging auf, der Staat profitierte von der überzogenen Freiheit, von der aus dem Rahmen gefallenen Superindividualität der Zugereisten.

Mehr und mehr Freunde und Besucher versammelten sich um mich und am Wochenende verließen wir das ausfransende Friedrichshain und vergnügten uns selbstmitleidig in Mitte und am Prenzlauer Berg. Der erste Winter war per se nicht der Killer, den man uns angekündigt hatte. Ich war viel zu tief in mir versenkt, um zu frieren und nachdem der Feuerengel sich in London niedergelassen hatte, war die Stadt leer genug, um ein wenig Amok in den Kratern zu laufen. Wen interessierte da noch der Winter. Da gab es so ein Mädchen im Bastard, das ich so bewundert hatte und bis zum heutigen Tag alle vier Monate wiedersehe, wie einen Wiedergänger aus einer toten Zeit. Und ich kann sie nicht ansprechen, obwohl ich immer schon gerne über Leichen gegangen wäre. Dr. Dingsi nannten wir sie, fragen Sie besser nicht nach den Gründen. Die Wochenenden in Mitte riefen Geister und Bösartiges auf den Plan. Die Dinge kamen immer mehr in Gang, Berlin wurde von Tag zu Tag attraktiver nach außen und die Leute kamen in Scharen herein. Es war der Anfang eines Schaukampfs vor einer stetig gewinnenden Kulisse. Das Berlin, das ich heute beschreibe, in all seiner Pracht und furchterregenden Brutalität, hat seinen Ursprung in den Tagen, Wochen und Monaten von damals. Als ich damals nach Berlin kam, lag ein Sommer voller Blut hinter mir. Doch noch mehr Knochen würden splittern, die Kiefer brechen und die Messer, die man sich im Suff in die Mägen rammen sollte, wurden gerade erst scharf geschliffen. Die Stadt lag im September vom unbarmherzigen Sommer darnieder und atmete langsam, wie ein ruhendes Tier und sobald ich mich nahe genug heran traute, hieb ich ihr meine Stiefel in die Flanken und die Jagd begann. Als ich damals nach Berlin kam, war die Stadt ausgetrocknet und die Minen versteinert.

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This Land Is My Land

Ich weiß noch, wie ich losgelaufen bin als Kind. Über die große Wiese bis hinunter zum Fluß. Oder zur Reichermühle. Am liebsten war mir die Wiese nach dem Regen im Frühling. Der Heuschnupfen ließ noch auf sich warten, das Gras war gerade erst im Wiederaufbegehren gegen die fliehende Kälte, noch erschöpft von Schneedruck und Niederschlag. Ich war der Erste hier.

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Aus sicherer Entfernung war die Kirche für mich keine Bedrohung. Ich konnte zwar nie verstehen, wie man diese billig bemalten verkitschten Zwiebeltürme unserer Provinzen schön finden konnte, aber ich akzeptierte die zentrale Stellung des Gebäudes in unserer Dorfgesellschaft. Der Zwang, den sonntäglichen Gottesdienst nicht nur zu besuchen, sondern auch auszuüben war, was mich das Gotteshaus als so unangenehm empfinden ließ, dass ich ihm nicht freiwillig zu nahe kam.

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Ein Traum, den ich mir nie erfüllte, war, die Wiesen mit einem Rucksack und einem Zelt zu überqueren. Und mit genug Wurstsemmeln, um ein paar Wochen durchzuhalten. So ausgerüstet wollte ich die Wiesen durchschreiten, über Flüsse gelangen und Wälder durchkämmen, ohne in die Nähe von Dörfern oder Städten zu kommen. Der Blick der sich hinter dem Haus meiner Großeltern freigab, erinnert mich noch heute an den Wunsch, einfach nur loszuziehen und meine Umgebung kennenzulernen, fernab aller niederbayrischer Spießigkeit und herzlosem Siedlungsgehabe.

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Viele Jahre musste ich lernen zu vergessen, wie sehr uns unsere Heimat und der Begriff davon eingeschränkt und eingesperrt haben. Dann lernte ich zu akzeptieren, wo ich herkomme. Und jetzt begreife ich langsam, was es bedeutet, überhaupt woher zu kommen. Und gerade lerne ich, es zu mögen.

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Der Spuk

If you decide some day to stop this little game that you are a-playing
Im gonna tell you all the things my hearts been a-dying to be saying
Just like a ghost youve been a-haunting my dreams
But now I know youre not what you seem
Love is kind of crazy with a spooky little girl like you
(Dusty Springfield – Spooky)

Da ist zu wenig Grusel in meinem Leben, seit du weg bist. Da ist zu wenig Angst und zu wenig Grauen. Ich wandelte durch München wie ein Untoter und du kamst nie zu mir, du tauchtest nur vereinzelt auf, du erschienst mir. Du, die bleiche Erscheinung mit dem geisterhaft blonden, fast weißen Haar, den wässrigen, taghellen Augen und deiner finsteren jungen Seele. Dein pechschwarzes Herz und mein gleißendes Verlangen paktierten in jenen Tagen in einer unheiligen Allianz, doch ein Geist kennt keine Regeln, keine Gesetze. Er ist körperlos, er durchdringt Wände, Barrieren, Häuserfronten und schreckt nur vor fließendem Gewässer zurück. Am Fluss scheutest du. Du hieltst an, da wurdest du immer eine Weile fleischlich, du materialisiertest dich, solange wir zusammen am Fluss saßen und ich konnte dich bei den Füßen packen und hinter mir herzerren, solange bis der Abend kam und du, langsam durchsichtig werdend, vom Fluss Abstand nahmst. Ich blieb leise winkend zurück, nicht wirklich gewahr dessen, was ich gerade gesehen hatte.

Einst hatte ich die Idee, dass dich wohl einst jemand hingerichtet haben muss und du fortan umgingst. Ein ewiger ruheloser Rachegeist auf der Suche nach Vergeltung. Nie sah ich dich Auto fahren, nie auf dem Fahrrad, nie in der U-Bahn. Selbst wenn du nach Berlin kamst, warst du plötzlich da. Standest plötzlich vor meiner Haustür, lagst plötzlich in meinem Bett und warst genauso plötzlich wieder weg. In London, Barcelona, München, Lissabon, Berlin und wieder zuhause. Unsere Begegnungen erfolgten heimlich, unsere Berührungen waren unheimlich. Schauer über Schauer über Jahre und Jahre überkamen mich bei dem bloßen Gedanken an dich.

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Ich war damals nach München gekommen, um zu arbeiten und du warst gerade hingekommen, um dort zu studieren. Das erste Mal erschienst du mir in einer Diskothek, inmitten von Hunderten standest du plötzlich und leuchtetest in die Nacht hinein. Nie und nimmer hätte ich mich in deine Nähe getraut, aber es gab Leute die den Mut besaßen. Und denen folgte ich, spürte sie auf, befragte sie nach dir und hielt sie solange fest, bis sie mir deinen Namen nannten. Eines Abends, als du fast durch mich hindurchglittst auf einem Konzert, nannte ich deinen Namen und deine milchigen Augen (die von Jahr zu Jahr wässriger wurden) richteten sich auf mich. Von dem Abend an versuchte ich, dich wiederzutreffen, aber es lief nie nach meinen Vorstellungen, nach meiner Planung, nur zu den unmöglichsten Zeiten und oft in tiefer Nacht kamen wir zusammen. Es dauerte eine Weile, bis ich merkte, dass es dich an die Isar zog, dass du nur da wahr werden konntest. Und so saßen wir ganze Sommer lang am Fluss und ich tat nichts weiter, als deine Haut zu bestaunen, wie die Sonne darauf fiel und mich zu wundern, dass du offensichtlich aus Fleisch und Blut warst.

Doch die Sommer gingen zu Ende und du verschwandst für Monate. Ich streifte durch ein verschneites München und suchte dich, ich hatte Fieber, ich war entkräftet, aber ich konnte nicht aufhören dich zu suchen. Manchmal fand ich dich im Winter und kurz streiften mich deine wässrigen Augen, aber wenn ich nur eine Sekunde abgelenkt war, dann warst du mir wieder entrückt. Bald beschloss ich, den Fluch der auf uns lastete, selbst beizulegen. Ich ließ noch einen Sommer passieren, ich zwang dich noch ein paar Monate an den Fluss, doch bevor der Herbst kam, verzog ich nach Berlin. Ich hätte wissen müssen, dass ein körperloses Wesen die 600 Kilometer spielend zurücklegt, dass es keine Stadtgrenzen und keine Häuserwände für den Spuk gibt. Ich versuchte mir so gut es ging, ein metaphysisches Zuhause nach eigenen ektoplasmischen Parametern einzurichten, doch du warst nicht aufzuhalten. Einmal bliebst du mehrere Monate lang und ich begann, an deine Existenz zu glauben. Als die Wohnung dann an einem Morgen im Frühjahr ohne eine Spur deiner Anwesenheit zurückblieb, wusste ich, dass der Spuk nur dann aufhören würde, wenn ich aufhörte, an ihn zu glauben. Ich veränderte alles. Ich zog in eine andere Wohnung, ich zerstörte alle diese schemenhaften Aufnahmen von dir, ich verbannte deinen Namen aus meinem Kopf und alle Zahlen- und Buchstabenkombinationen, die mit dir zu tun hatten. Und du erschienst mir nicht mehr. Dein geisterhaftes Eintreffen blieb endlich aus.

Jetzt, viele Jahre später, weiß ich, dass ein Spuk wie dieser nicht einfach aufhört. Er wird nur schwächer. Ihn zu amplifizieren oder zu ignorieren liegt allein in meiner Hand. Wenn ich blutend und weit offen, schwanger mit sinistren Ideen und voll mit Schnaps nachts nach Hause gehe, an der unbeleuchteten Zionskirche vorbei, in der wir zusammen gebetet haben, dann spüre ich, wie du hinter mir gehst. Die Frage ist dann nur, ob ich mich umdrehe. Es gibt zu wenig Angst und Schrecken in meinem Leben. Zu wenig Thrill und Grusel. Mir fehlt der nächtliche Terror und die bangen Sekunden vor deinem Auftauchen. Die Frage ist tatsächlich, ob ich mich umdrehen soll.

Jetzt auch als gespenstisch guter Blogread Beitrag vom stark vermissten Rationalstürmer!

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Ich bin dann soweit

Komm schon, zieh dich an. Gleich beginnt das Wochenende. Ich bin schon fertig, ich bin bereit. Wenn du soweit bist, können wir losfahren. Wir steigen in den Wagen und fahren raus aus der Stadt. Die Häuserfronten schälen sich fast lautlos hinüber zu Szenarien, die wir fast vergessen hätten. Endloses Grün und eine unüberschaubare Weite, viel zu viel Luft zum Atmen und Wälder, in denen man sich vor seinen Gläubigern verstecken kann. Und du kannst deine Spinnereien, deine peinlichen Eitelkeiten, deine klebrigen Liebhaber und deine Drogen, du kannst sie alle in der Stadt lassen. Die haben hier draußen überhaupt nichts mehr verloren. Deine Tränen sind bis zur Stadtgrenze getrocknet und deine kaputte Haut wird sich regenerieren, sobald wir außer Landes sind. Du musst nicht mehr überlegen, ob du dir deinen Pagenkopf schon wieder zurechtstutzen sollst. Du musst nicht mehr überlegen, wann du wem welche SMS schreibst und du musst nicht mehr im Büro sitzen und tatenlos zusehen, wie sich andere an dir vorbei in den Vordergrund spielen. Und deinen Freund, deinen Freund musst du auch nicht mehr anlügen. Du bist jetzt eine Frau, die Mädchenjahre sind vorbei und dieses Mal haben wir das erste Mal wirklich nichts Besseres zu tun, als zusammen zu sein.

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Ich habe dich in diese Stadt gebracht, hab dir ihre Monstrositäten gezeigt und dich ihr überlassen. Du wärst fast ersoffen in der Spree, der Berliner Stadtverkehr hätte dich fast überrollt, der scharfe Ostwind hat dir fast die Haut abgezogen. Und ich war so beschäftigt damit, meine eigene Haut zu retten, das ich am Ende nicht einmal mehr wusste, wo du wohnst. Doch jetzt hab ich dich geholt und hole dich hier raus, denn wir fahren zurück zur Unschuld, aufs Land, in die Berge, an die Seen, ans Meer. Und das Wetter riecht nach 22, meine Haare wachsen schneller und dein Mund passt auf meinen wie die Faust aufs Auge. Wir können uns zurücklehnen und es mit uns passieren lassen, denn da ist nichts mehr was uns ablenkt. Nicht mehr lange und wir heiraten und unsere Familie wird gesund sein, so wie wir. Jetzt komm schon, zieh dich an. Gleich beginnt das Wochenende. Wenn du soweit bist, können wir losfahren.

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Tage der langen Messer

But it’s gone to the dogs in my mind.
I always hear them when the dead of night
comes calling to save me from this fight.
But they can never wrong this right.

(The Killers – Bones)

Es ist Samstagnachmittag, die Sonne bricht in diese Wohnung, ich presse Blutorangen aus und die Long Blondes laufen. Es ist 15:00 Uhr, ich bin gerade erst aufgestanden und der Zahn, aus dem mir die Plombe gebrochen ist, pocht und quält mich. Gestern nacht war ich so erschöpft, ich war der Ohnmacht nahe. Ich hatte kein gutes Blatt bis zu dem Flush am Ende. Die Schulden halten sich somit in Grenzen. Später hat sie mir erzählt, dass sie sich wiedererkannt hat in diesem Buch. Sie sei verrückt. Cholerisch und verrückt. Die Andere ist einen Kopf größer als ich und etwas derbe, aber sehr hübsch, auf eine erwachsen mädchenhafte Art. Die Dritte ist nachts alleine, sagt sie. Sie sitzt da oben und lügt auf mich herab und sagt, das ist ihr gutes Recht. Schließlich sind wir ja hier nun wirklich zuletzt der Wahrheit verpflichtet. Die SMS kommen rein und gehen wieder raus. „So toll von dir zu hören.“ und so weiter und so weit fort. Noch ein Gin Tonic, dann durch den Regen. Noch ein Gespräch, noch ein Augenaufschlag, dann zurücksteigen in die Matratzengruft. Heute abend spielen die Killers und es gibt Leute, die denken bei den Killers an mich und es gibt Leute, an die denke ich bei den Killers. Wir sind alle Killer, wir sind alles Serienkiller. Wir töten und töten und können nicht aufhören, bis uns selbst jemand die Gurgel durchschneidet. Wir sind den ganzen Tag im Blutrausch, wir töten, um zu überleben.

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Während ich die Blutorangen schneide und im Kopf die nächsten Opfer durchgehe, telefoniert in diesem Moment sicher jemand und schaufelt mir mein nächstes Grab. Kate Jackson singt: „What’s eating you is a mystery but go home with her one more time and you know you’ll be history.“, der NME mit der widerlichen Beth Ditto liegt auf dem Küchentisch und ich rauche eine Zigarette, fühle mich augenblicklich wieder kaputt und hilfsbedürftig. Da ist wieder dieses Verlangen, das einen so verwundbar macht. Einfach nur zu liegen und jemand zu berühren. Wenn du das willst und nicht mehr, bist du die Beute für den Wolf. Dann beisst er dir die Kehle durch und verspeist dich die restliche Nacht. Also lieber selbst der Killerwolf sein. Berlin, Berlin du bist mein Jagdgrund. Berlin, Berlin, du bist das beste Pflaster für den Straßenkampf. Die letzte Sonne des Tags bricht herein und wir wetzen langsam die Messer für die Samstagnacht.

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Die Unterwerfung der Zeit

Don’t underestimate underdogs
They can beat the world and come back for more
They can dance and romance
And drink the night into coma
And you can have me if you want
Is what I say that important
You can build me up to knock me down
And we’ll just keep getting off the ground
(Leatherface – Do The Right Thing)

Das ist der Tag, an dem alles beginnen könnte und alles enden. Wenn wir ein paar Stunden nach vorne springen, sehen wir diesen Blick, der wissen will, wie weit er gehen kann, bis er anfängt zu durchdringen. Springen wir wieder ein paar Stunden zurück und sehen andere Blicke, voller Neugier und Erwartung, am Beginn einer langen Berliner Nacht. Springen wir zwischen den Stunden hin und her. Zwischen den Litern an Kaffee, den vielen selbstgefälligen Worten, den eiligen Sekunden am Bankautomaten, der geselligen Sicherheit, den Spukgeschichten von früher, den vielen Zigaretten, dem Pastis und den zahllosen Becksflaschen. Bleiben wir kurz in dem finsteren Loch von einer Kneipe, wo das Mädchen dich beobachtet und du es im Spiegel siehst, wie sie genauso dringlich am Beginn eines vielversprechenden Abends stehen will wie du. Du weißt, dass Unheil wie Heil in der Luft dieser Samstagnacht liegt. Heute musst du nur reagieren. Die Aktion kommt von Berlin.

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Wenige Minuten vor dem Morgengrauen, nikotinvergiftet und humpelnd, die Faust geballt. Die Manipulierten haben unser Spiel nicht durchschaut und wir nicht ihres. Zurück zum Anfang und der Unschuld eines Samstagnachmittags. Das Gleiten in den Abend beschleunigt sich schnell zum Rasen und die Zeit gerät außer Kontrolle. Die Polizei ist hier und sieht nur zu, du siehst nur zu und bist kaum hier. Das Vergessen ergreift gegen zwei Uhr morgens von dir Besitz und gegen vier nimmt sie dich bei der Hand. Ein Blick, der meint was er sagt, und man hätte im Prinzip schon Stunden vorher sagen können, was er meint. Noch eine Zigarette aus der Vergangenheit hinüberretten, noch ein Bier auf die Zukunft, noch einen Pastis in der Gegenwart. Hin und her, wir springen hin und her. Das Adrenalin spritzt auf die noch leeren Seiten der Biografie der jüngsten Tage und es reicht dennoch nicht, die Nacht bis hin zum Morgen zu überstehen.

Gehen wir nochmal zurück zum Anfang dieses Tages. Das ist noch die Hand im Spiel, die man uns gestern reichte und heute Abend schütteln wir sie nicht nur, wir ergreifen sie. Die letzen Wochen haben ihre Schmauchspuren hinterlassen und das steht dir gut. Es macht dich schön vor der Kulisse ergriffener Seelen dieser schwarzkalten Berliner Nacht mit dem dezenten Frühlingsaroma. Heute Nacht springst du zwischen den Stunden und du kontrollierst die Zeit. Und es war auch an derselben, dich auf die älteste Art der Welt neu zu erfinden. Die Spree zieht an. Die Spree wird schneller, die Türme bewegen sich doch. Du kannst zwischen den Tagen springen und die Wochen, die vor dir liegen, bekommst du auch noch in den Griff. Kalifornien und der bayerische Wald, Berlin und Barcelona, alles verwächst und bricht der Chronologie den Unterkiefer, bis er lose heraushängt und es nichts mehr über das richtige Timing zu sagen gibt. Es ist an der Zeit, die Zeit selbst in die Hand zu nehmen. Wenn das Blut rückwärts fließt, wenn die Uhr ihre Zeiger von sich streckt, wenn die Nacht zurück zu ihrem ursprünglichen Nachmittag findet, dann stehst du im Zentrum eines Strudels, den du endlich wieder selbst entfacht hast. Und als nächstes knöpfen wir uns die Jahreszeit vor. Du bist Geschichte, Winter.

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Berlin und der Sex

Ich drehe langsam durch hier in dieser Stadt. Ich erinnere mich an ein Lächeln von ihr, als sie sich schnell und geräuschlos auszog, um mir ihre Loyalität zu beweisen. Dieses Lächeln kann ich nicht vergessen, solange der Fernsehturm geräuschlos und rot durch die Nacht funkt und ich im Hinterhof liege, ebenso geräuschlos und in Quarantäne, isoliert von den Kalamitäten der Straße und die Straße bewahrt von meinen gräßlichen Gedanken. Ich drehe langsam durch und alles, an was ich denken kann, ist dieses Lächeln. Und an die Turnhalle, in der wir uns noch mit einem Lachen bekriegten und die Siegermacht am Ende geküsst wurde. Ich drehe langsam durch mit diesem Lächeln, das sich so eingefressen hat in mein Bewusstsein, dass ich vermutlich nachts schlaflächle, während ich im Traum über ihren Busen und ihren Bauch wandle. Ich drehe langsam durch, wenn mir nicht bald jemand verrät, wer mich im Sommer ans Meer begleiten wird, wenn mir nicht bald jemand sagt, dass ich aufhören kann, im Fieber alles niederzuschreiben, wenn mir nicht bald jemand garantiert, dass ich nicht durchdrehen werde.

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Dieses Um-die-Wette-Verlassen muss endlich aufhören. Ich werde alt und langsam, so schnell kann ich gar nicht mehr Ciao sagen, so schnell haben sich die guten Ideen schon wieder verabschiedet. Es ist ein Hochgeschwindigkeitsrennen, ein gnadenloser Wettlauf mit der Zeit und wer gewinnt, darf sich einen Moment setzen. Aber was red ich und vor allem, was schreib ich? Ich drehe langsam durch in dieser Stadt. Wer als erster Heimatstadt sagen kann, ohne rot zu werden, darf hier bleiben. Wer als erster eine Familie hat, darf mit den fürchterlichen Drogen aufhören. Wer mir als erster die Uhrzeit sagen kann, darf an meine Brust. Ich drehe langsam durch in dieser Stadt und ich fürchte, es liegt nur an diesem Lächeln, das mir nicht mehr aus dem Kopf geht. Vielleicht liegt es auch an dem Sex. Es liegt immer irgendwie an dem Sex.

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Der Scharfrichter und ein flüchtiger Gedanke an Zuhause

Kreuze mit Gehenkten säumen den Weg, den wir bergauf schreiten. Wir haben sie selbst dahin genagelt, wir haben sie selbst verurteilt, wir sind die Legislative und die Exekutive in Personalunion. Wir sind das Hochamt, wir sind der Scharfrichter. Wir sind die Jury, wir sind die Mehrheit. Unsere Stiefel sind voller Dreck und Staub, unsere Stiefel sind voll dem Blut, mit dem wir die Kiefer unserer Wiedersacher eingestampft haben. Wir haben dich aufgeweckt und dir deinen selbstgefällige Hals durchgeschnitten. Unsere Arroganz ist lebensgefährlich und unsere Ignoranz tödlich. Wir marschieren weiter dem Himmel entgegen, und lassen die Hölle auf die Ungläubigen los. Wir sind eine Ein-Mann-Armee, wir sind die Waffe, der Säbel und wir statuieren die Exempel wie sie kommen. Wir spielen das Fallbeilspiel bis zum Ende durch und wenn wir genug haben, lassen wir die Schädel der Gefallenen unter unseren Stiefeln knacken. Wir sind die Heiligen des Berges und die Luft brennt, wenn wir hinunter in die Stadt kommen. Wir sind die Schlächter des schlechten Geschmacks. Wir mähen die Verfaulenden aus dem Weg und regieren die Stadt mit eiserner Hand.

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Ich will nach Hause. Es ist ein Gefühl, das mich seit Tagen peinigt. Seit ich dieses Bild auf dem Flohmarkt gekauft habe, in das man eintauchen möchte, in diesen endlosen Feldweg, zur Linken die Birken und die Buchen, zur Rechten das Feld und in der Mitte der ruppige Weg hinunter in das Tal, das keinen Horizont kennt, kein Ende, keinen Stahl und keinen Beton, seitdem will ich weg. Ich muss dringend nach Hause. Ich muss dringend deine Hand nehmen und dich hinter mir her zerren, weg aus dem Koloss, raus aus dem Staub, der uns das Atmen hier so schwer macht, weg aus der Stadt. Weg von den Rachephantasien, raus aus der Brutalität meiner Launen, raus aus der Selbstjustiz, weg von der Front, raus aus dem tobenden Krieg zwischen mir und der Stadt. Zurück in die lange Weile der Wildnis, in die langen Tage, die zu nichts nutz sind ausser zum Selbstzweck. Und am Abend sitzen wir dann am Fluß an der steinernen Brücke und hängen unsere Biografien über die Strudel der Donau, die blau und selbstzufrieden vor sich hin gluckert. Dann sind die Rachephantasien verstummt und es gibt keinen Scharfrichter mehr.

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Gestatten Sie, mein Name ist Saint Burnster

Und um endlich mal bei der Wahrheit zu bleiben, bin ich nicht der für den ich mich ausgebe und genau der, für den Sie mich halten. Natürlich denken Sie jetzt: „Was spinnt er sich denn da jetzt wieder zusammen?“ und Recht haben Sie. Ich spinne mir was zusammen, wenn ich hier schreibe. Das meiste ist aus Versatzstücken der Wahrheit komponiert, das Wenigste frei erfunden. Was am meisten dem Alpdruck der Selbstbestätigung ausgesetzt ist, ist das transportierte Image. Das Image des arroganten Snobs, des larmoyanten Trinkers, semi-talentierten Musikers und passionierten Frauenheldens. Ich habe lange genug beim Bund für Selbstschutz gedient, um mir eben dieses durchaus passable Image anzudienen. Aber irgendwann fängt man an, unter der Ewartungshaltung seines Fremdbildes zu leiden. Das passiert dieser Tage und deshalb ist es Zeit für einen Exkurs in Sachen Demut, der mich am Ende – fürchte ich – noch cooler als zuvor aussehen lässt. Aber warten wir ab, während die Selbstkritik ihr hässliches Haupt gen Berliner Himmel erhebt.

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Gestatten Sie, mein Name ist Saint Burnster und ich bin 32 Jahre alt. Ich stamme aus der finstersten niederbayerischen Provinz, lebe seit einigen Jahren in Berlin und kann immer noch nicht akzentfrei Hochdeutsch sprechen. Ich bin mit 1,76 nicht der Größte, aber vermutlich auch nicht der Kleinste, meine Haltung ist tendenziell bucklig und ich neige zu faltiger Haut und Schweissausbrüchen. Meine Haare sind noch überwiegend schwarz, werden aber rapide grau und immer weniger und meine Zähne sind ein Minenfeld aus Amalgan. Ich ernähre mich falsch und ohne Vitamine, ich nehme in der Regel keine Drogen, aber ich rauche schon seit viel zu langer Zeit, trinke Unmengen an Alkohol seit ich 14 bin und bin deshalb meistens kränklich. Abends trifft man mich überwiegend in Kneipen oder auf Konzerten und ich habe noch nie ein Fitnessstudio von innen gesehen. Tagsüber gehe ich einem Bürojob nach und sehe zu, dass ich immer pünktlich bin. Ich bin single und die letzten Jahre gab es auch keine Indizien für eine Änderung dieses Status. Ich verliebe mich manchmal in viel zu junge Mädchen, ich werde hin und wieder abserviert, manchmal serviere ich ab und ganz oft bleibe ich monatelang ungeküsst und vom Sex wollen wir gar nicht reden. Ich weine oft, bin unglaublich sentimental und pathetisch bis zur Armutszeugnisgrenze. Ich bin ein arroganter Klugscheisser, ungeduldig, aggressiv und grobschlächtig. Ich habe kein Feingefühl und kein Faible für Details. Ich bin im falschen Moment albern und im noch falscheren ernsthaft. Ich bin eitel und selbstverliebt, aber tödlich unsicher und beständig auf Applaus angewiesen. Ich bin alles andere als ein Gewinnertyp, aber ich hasse Verlierer und bin dazu noch ein missgünstiger Neidhammel. Ich bin pedantisch, herrisch und streitsüchtig. Wenn jemand nicht nach meiner Pfeife tanzt, kann ich ihm ein schlechtes Gewissen zaubern, das ihn wochenlang plagt. Ich bin ein Opportunist und ein feiger Lügner, wenn es darum, geht meine Interessen zu verwirklichen und selbstverständlich bin ich käuflich. Mein falscher Stolz ist die tonangebende Komponente in meinem Leben und er paart sich nur allzugerne mit meinem verbissenen Selbstgerechtigkeitssinn.

Das bin ich, ein durchaus widerlicher Zeitgenosse, wenn Sie so wollen. Sie wollen mir weder im Dunkeln, noch kurz nach dem Aufstehen begegnen. Und doch wollen sie mich. Sie alle. Und wenn sie mich fragen wer ich bin, wissen Sie ja jetzt, was ich ihnen antworten werde.

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