Die Augenlider kleben aneinander und sie tun es noch ein paar Stunden. Das Herz rast, obwohl der Kopf todmüde ist und der Körper sich verweigert. Die vormittägliche Sonne bricht mit Gewalt mit der Erinnerung an die Nacht und im Kriechgang zur Stereoanlage. Der Tag und die Musik versprechen so viel was schon in wenigen Stunden ungehalten werden wird. Aber für den Augenblick lässt man sich gerne die Augen ausblenden. Der Alkohol durchkämmt immer noch wüst die Blutbahnen, während der Zeitpunkt der Reinigung näher rückt. Jetzt nur nicht nüchtern werden. Bitteschön doch nicht mehr nüchtern werden.
Autor: Berni Mayer
Ausflug
Heute morgen bin ich aufgewacht und es war dunkel. Ich habe eine Stunde gewartet, die Decke über dem Kopf. Dann bin ich aufgestanden und habe das helle, weiße Wohnzimmer betreten. Ich bin zum Fenster gegangen und habe über die Dächer gestarrt. Die Kälte der Stadt war sichtbar, fast gleissend in dieser brutalen, klaren Luft. Der Himmel war leer. Bis auf ein einziges Flugzeug, das ihn überquerte. Und es schien mir plausibel, dass du darin sitzt, auf dem Weg nach London. Sie fliegen dich aus. Du fliegst noch einmal an dieser Szenerie vorüber und es ist mir fast, als würdest du deine Nase ans Fenster drücken und versuchen auf meine Wohnung herunterzuschauen, wo ich nur stehe und auf dein Flugzeug nach London starre. Ich frage mich, ob dir jetzt auch alles wieder einfällt, wie wichtig es war, da zu sein und alles auszuprobieren.
Pläne
Wach auf, du Träumer. Es passiert gerade ohne dich. Schneid dir die Haare und rasier dich, du hast deine Chancen verplempert. Ich geb dir tausend Pfund, dann kannst du mir zeigen, was du damit anfängst. Sei nicht so verdammt laissez-faire, wir haben doch alle Schiss vor der scheiß Zukunft.
Ich habe diese Vipern trainiert, damit sie zu dir kommen. Damit sie in deine Träumen kommen. Damit sie dich aus deinem ewigen Schlaf erlösen. Die Raben verlassen den Turm, sie verlassen den Turm und du kannst endlich deinen Frieden mit dir machen.
Ich habe Blut geleckt. Ich lasse die Schwachen zurück und ich verlasse die Jungen. Ich habe Blut geleckt und ich gehe hier weg, ohne dich. Wenn du nicht selbst zustichst, werden sie dich abschlachten. Es geht um den Fortschritt mein Junge und ich habe Blut geleckt.
Wach auf, Schlafmütze. Es zieht an dir vorbei. Ein netter Junge bist du, aber musst du mir alles zweimal erzählen? Ein Peitschenschlag und ein Hochgeschwindigkeitssprung und dann rennen wir wieder rückwärts. Hör auf mit deinem beschissenen Laissez-Faire-Getue. Wir haben alle Angst vor der Zukunft.
Wir schmieden Pläne für die große Zeit, doch wir lassen uns ablenken, uns hinunterziehen. Wir haben diese großen Pläne, alle aus Neon, alle so spiegelglatt. Und jetzt küss mich bevor es kompliziert wird, denn ich habe Blut geleckt.
(frei nach Bloc Party – Plans aus dem Album „Silent Alarm“)
Achtung PS: Happy Birthday to the Gatekeeper of Absurdistan. Ole lebe hoch! Ein Toast auf den Mann, der mich in die hohe Kunst der freien Songtextinterpretation eingeführt hat.
Im Schnee
„Winterreifen sind nicht vorgeschrieben, sagt der Chef. Also gibt’s auch keine Winterreifen, sagt der Chef.“ sagt der Taxler und müht sich die Saarbrücker Straße hinauf, um mit einem irren Seitwärtsdrift in die Schönhauser hinein zu stoßen.
In diesem einen Lokal sitzt einer exponiert auf einem Stuhl und knüpft aus kleinen bunten Luftballons, die er selbst aufbläst, einen chinesischen Drachen von acht Meter Länge. Das alles dauert seine Zeit, genauer gesagt einen halben Tag. Unterdessen saufen sich die Leute die Leute schnuckelig und jeder sieht aus, als müsste man ihn irgendwoher kennen, hoffentlich auch wir. Die Schuhmode der Damen bewegt sich in dieser Stadt ohnehin am ethischen Grenzwert und das Jeans in die Hose schubsen verhallt langsam als drei Jahre alter letzter Schrei und hat zudem schon die niederbayerische Provinz erreicht, aber was man heute Abend an entarteter Fellkunst sieht, gleicht einer Ausstellung über das Leben des Homo heidelbergensis zur Eiszeit.
Horden von Touristen belagern den Reichstag und wenn das Markttor von Milet im Pergamon-Museum heute umfallen würde, träfe es Hunderte und nicht die Falschen. Unter den Linden hat seine jüngst wiedergewonnene Pracht mal wieder zu Gunsten einer dieser unsäglichen WM-Baustellen abgegeben und die Welt wird sich wundern wenn sie bei Freunden zu Gast ist: So pedantisch und organisiert, wie sie sich das dachten, ist er nicht, der Deutsche. Zumindest nicht der Berliner. „Ich habe unfertig“ lautet unser Motto hier.
Auf der Baustelle weiß der Gerüstbauer nicht, ob er die dicken Handschuhe anziehen soll, denn dann merkt er nicht wo er hinlangt, oder die dünnen und ihm die Extremitäten abfrieren, weil der Körper muss ja Herz und Nieren erwärmen. Da kann man auf ein paar Zehen und Finger im Notfall verzichten. Die Schneeraumfahrzeuge sind so beeindruckt von dem weißen Spektakel, dass sie die Räumschaufeln gar nicht mehr senken, sondern einfach so aktionslos die Hauptstraßen patrouillieren.
Die Rodelbahn am Potsdamer Platz, für die man Ende November exklusiven Originalschnee aus Saalbach, Hinterglemm einfliegen ließ, ist dermaßen mit Berliner Schnee abgefüllt, dass ein Betrieb der Bahn nicht möglich ist. Italiener, Spanier, Engländer und vor allem Franzosen überfallen gleichzeitig die Einkaufsarkaden, während der Maronistand unbeachtet vor sich hindampft.
Um vier Uhr in der Früh fährt ein kleines Räumfahrzeug über den Bordstein am Nordstrand vorbei, aber räumt nicht.
„Es sind verrückte Tage. Sagt auch der Chef.“ sagt der Taxler.
Gleich
Verwegen, wie der Kerl da so in seinem Stuhl am Franz-Josef-Strauß-Flughafen lümmelt. Miltärmütze mit Buttons drauf, einen Streifenpullover, eine schwarze Armeejacke, eine zerissene Jeans und spitze Stiefel, man möchte fast meinen, er wollte, dass wir ihn so sehen. Gleich wird er in das Flugzeug einsteigen um am Ende des Tages in der jahresmüden Nekropole zu münden. Gleich wird er aufsetzen und den nassen Schnee aus den Berliner Straßen heizen. Gleich kommt er zurück und zündet erneut die Flamme an, die euch durch dieses Scheißwetter, durch die finstren Nächte vor eurem PC und die schlimmsten Sinnkrisen leitet, an der ihr euch aber auch die Finger verbrennen könnt wenn ihr nicht aufpasst. Gleich ist er wieder da.
Licht an!
Ein Weihnachtsgedicht
Sonderbare Jahre verabreichen dem Besten
Zweifel an der Wahrheit der ehemals so festen
Dinge, die da waren, mit einem Mal nur scheinen
Der Kahn treibt so dahin, denn los sind alle Leinen
In Rätselhaft genommen, die Welt und ihre Läufe
Die Werte stehen verlassen im Regen und es träufelt
Salz auf unsere Wunden und Pfeffer aufs Gebälk
Wer heute noch nicht beisst, zumindest schon mal bellt.
Mehr Fragen tun sich auf als Antworten vorhanden
Und wer will schon alles wissen außer die Probanden
Wir alten Hasen sollten uns kurz und ehrlich fassen
Und wenigstens an Weihnachten die Fünf gerade lassen.
Die Grübelei ist ohnehin ein Bastardkind der Kälte
Die ernste Stirn ein Winterleiden, in sommerlicher Bälde
Sieht jedes Fragezeichen aus wie eine Note
Aus einem Lied aus einer Show mit super Einschaltquote
In jedem Fall
Heimfahren im Schnee. Und noch im Berliner Umland kommt die tödliche Kurzmitteilung. Kaputtheit und Unmöglichkeit vermengt mit heroinartigem Zutrauen. Das Jahr hört auf, zehn Tage bevor es zuende ist. Leere Briefkästen auf Papas Rechner, das Telefon schweigt sich aus, über das was da passiert ist. Es ruht allein das stille Grauen über den niederbayerischen Dächern und Wäldern. Ungefähr ein Jahr später wird im Münchner Schneegestöber nach Mitternacht der Startschuß zum Ende fallen. Das letzte Kapitel dieser todernsten und tumorvollen Saga wird in Berlin spielen. In einer Szenerie, die später als Nordstrand bekannt werden wird. Und wie alle Jahre zuvor werden wir untröstlich sein. Untröstbar sogar.
Heimfahren ohne Schnee. Und noch im Berliner Umland entfärbt sich die Erinnerung an die Willkür der Jahre. Der letzte Jahrmarkt gab genug her, um erneut auf Möglichkeit zu setzen. In Niederbayern wartet wieder die Stille, aber sie ist bereinigt von dem Grauen. Sie ist wieder weiß, Schnee hin, Schnee her. Das Jahr hat noch nicht aufgehört, aber bereits jetzt diktiere ich dieser Website: Es war ein sehr gutes. In jedem Fall.
King Kong
Und überall auf dieser katastrophengeilen Welt wurden Millionen Wecker gestellt. Und morgens um 5 hingen sie vorm Fernsehbild in der Hoffnung, heut‘ wird original gekillt. (Udo Lindenberg – Sister King Kong)
Mein lieber Herr Gesangsverein. Du bist ja ganz schön groß geworden. Ich weiß, es ist ein Dschungel da draußen und man muss sich behaupten aber dass du dann gleich so groß geworden bist. Du gehst einem ja gar nicht mehr aus dem Sinn.
Dein insuläres Dasein musste ja irgendwann ein Ende haben, das finde ich ja im Grundsatz ganz gut. Aber dann hierher kommen und so eine große Lippe riskieren, musste das sein? Ja, natürlich hat es dich getrieben, nein, Entschuldigung, sie haben dich getrieben. Ich hab dich getrieben? Ich war das also? Nur weil ich damals auf deiner scheiß Insel gestrandet bin? Wer hat mich denn in seine Riesenfaust gepackt und wollte mich samt Haut und Haaren auffressen? Wer hat sich denn mit seinem dicken Hintern durch die Hintertür gequetscht?
Es gab eine Zeit, da waren wir uns einiger. Einigermaßen vertraut waren wir uns sogar. Du erschienst mir gar nicht so furchterregend, wenn ich dich näher anschaute. Eigentlich warst du sogar ziemlich schön, wenn man durch dich durchschaute. „Auf sie mit Gebrüll“ haben wir manchmal gescherzt und ich weiß noch als du sagtest, du würdest wegen diesem Aggressionsproblem endlich einen Therapeuten aufsuchen. Ich war richtig stolz auf dich. Doch dann hat dich dein urinstinktiver Freiheitsdrang wieder gepackt und du hast mal pro forma um dich geschlagen und geschaut was man so alles in einem Radius von 600 Kilometern zusammendreschen kann. Kein Wunder, dass die Leute neugierig wurden und anfingen zu reden.
Und jetzt ist das Wehklagen natürlich groß. Hoch oben auf deinem Turm hockst du und veranstaltest einen riesen Zirkus, weil du nach Hause willst. Dass du dir nicht blöd vorkommst, so exponiert in deinem Selbstmitleid. Natürlich geht es hier etwas rauer zu. Hier in der Stadt musst du dich eben damit auseinander setzen, dass du anders bist, dass du alles kaputt machst was du anlangst. Und dass man trotzdem nicht immer mit dem Kopf durch die Wand kann. Du mit deinem Dickschädel.
Jetzt bin ich aber auch noch so blöd und bleib bei dir die ganze Zeit. Und was ist der Dank? Du lässt dich gehen, lässt dich abschießen wie ein Stück Vieh und ich sitze die ganze Zeit in deiner Hand und muss mir das alles mit anschauen. Dabei hätte ich längst Besseres zu tun anstatt mich hier permanent zum Affen zu machen.
Also dann, Ciao. Kannst mich ja anrufen wenn du mal wieder in der Stadt bist.
Wolf
Schon einige Dekaden hege ich ein Faible für Horrorfilme, je klassischer desto besser. Das Genre Spezifikum Werwolf bereitet mir allerdings seit vielen Jahren nicht nur bei Vollmond Kopfzerbrechen. Die Slasher slashen in bester Laune weiter durch die Filmgeschichte, die Vampire beißen sich rüstig durch die Jahrzehnte, die Zombies fingen jüngst sogar an zu laufen und sind auch ansonsten recht gut zu Fuß, nur der Werwolf, der schwächelt und schwächelt.
Gerade hat Wes Cravens „Cursed“ meinen DVD Player verlassen und wie so oft wirkt der gemeine Werwolf in diesem Film maximal so furchterregend wie der böse Wolf in einer Rotkäppchen Illustration für Waldorf Schüler. Selbst Michael J. Fox als „Teenwolf“ hat mir ein paar Nackenhaare mehr aufgestellt. Ähnlich frustrierend läppischen Werwolf Inkarnationen musste man in den letzten bereits in „An American Werewolf in Paris“, in „Underworld“ und selbst beim an sich sehr stimmungsvollen „Le Pacte des Loups“ (Pakt der Wölfe) beiwohnen. Es ist wie ein Fluch. Da mag die Tricktechnik einigermaßen glaubwürdig Riesengorillas auf dem Empire State platzieren, bei den Werwölfen raucht sie regelmäßig ab.
Klar gibt es auch lobenswerte Ausnahmen wie den grandiosen „An American Werewolf in London“ von 1981, der nicht nur wegen seines gehässigen Humors sondern tatsächlich auch wegen seiner Werwolf-Darstellung ein Highlight des Genres bildet. Im Besonderen wegen der besten Verwolfungsszene aller Zeiten. Ebenso schockend und zudem ästhetisch wertvoll: „The Company Of Wolves“ von Neil Jordan, zu deutsch: „Zeit der Wölfe“, womit wir zwar wieder bei Rotkäppchen und dem bösen Wolf wären, aber einem mit Hand und Fuß.
Entweder widmet man den Wolfsmenschen in der Filmgeschichte schon seit jeher zu wenig Budget, oder es handelt sich im Grundsatz um eine nahezu ummöglich als furchterregend visualisierbare Gestalt. Oft fällt ein gut ausgehandelter Spannungsbogen gerade dann in sich zusammen, wenn die Wolfsgestalt in vollen Umfang auf der Leinwand zu sehen ist. In Mike Nichols „Wolf“ mit Jack Nicholson ist dann auch das Nichtauftauchen eines finalen Werwolfs die geschmackvollste Zutat des Thrillbarbecues.
Leider ging der erste Werwolf Flicken „The Werewolf“ von 1913 verloren. Es handelte sich um die achtzehnminütige Verfilmung einer indianischen Legende und bereits hier wird eine Transformationssequenz eingesetzt, die ich nur zu gerne gesehen hätte. 1935 sieht die Wolfsgestalt in „Werewolf in London“ bereits aus wie der Wookie Chewbacca aus „Star Wars“.
Wölfisches liegt ja auch ganz bestimmt in eurem geschätzten Hausherrn. Vielleicht sollte ich mich mal nach dem Konsum einer Flasche Ouzo in einer Vollmondnacht abfilmen. Vielleicht finden wir so den glaubwürdigen Werwolf, nach dem hier gesucht wird.
Tod und Zerstörung / Italienischer Lederschuh
Ein bisschen was darf schon zu Bruch gehen. Manchmal darf jemand den Löffel abgeben. Ein paar Brücken können schon in Flammen aufgehen pro Halbjahr. Es muss sich was tun. Jemand muß dagegen sein. Nicht aus Prinzip aber mit Fug und Recht und Sturm und Drang.
Das Roden von Wäldern soll freilich elegant geschehen. Es darf ruhig ein doppelter Windsor im Spiel sein. Ein Nadelstreifen und ein italienischer Lederschuh. Die Verwüstung darf mit Eleganz durchgeführt werden. Der Untergang mit Stil erfolgen. Jemand kann die Asche im Anschluss ruhig wieder zusammenkehren. Das World Trade Center haben sie auch zusammengekehrt.
Und immer schön lächeln. Man muss sich das Disaster nicht schönreden aber man darf ein Siegerlächeln dazu tragen. Wer Stil hat, macht eine gute Miene zum bösen Spiel und wer spielt, mimt selbst am jüngsten Tag eine altersweise Überlegenheit.
Rebellion ist keine Freizeitaktivität, sie ist ein Stilmittel. Wer das Maul zum Protest aufreißt, kann es in der Folge auch wieder für ein paar abschließende Komplimente auf dem Weg zur Hölle benutzen.
Und immer wieder gut aussehen. Denn selbst in der reissendsten Zerstörung symbolisiert Eleganz ein Stück Ziviliation und die Hoffnung auf Ordnung.