Das falsche Tagebuch: 9. Dezember 2016

Neulich das erste Mal Grünkohl gegessen. Nächstes Jahr bin ich das erste Mal in Essen. Vorgestern Abend in den menschenleeren Friedrichstadt-Passagen herumgeschlendert, heute das neue Childish Gambino angehört und erschrocken als der Bass eingesetzt hat. Überlegt, was mein Lieblingsalbum dieses Jahr war. Zu dem Ergebnis gekommen, dass es eine ältere Fucked Up Platte ist. David Comes To Life. Die aus der Fucked-Up-heit heraus so verzweifelt optimistisch ist, dass ich in die Musik zurückschreien will, wie sehr ich am Leben bin. Wie weit weg von den alten Zwickerchen, wie tief drin im sprichwörtlichsten Kampf um Leben und Tod, ohne Ahnung wie er ausgeht. Wie friedlich, freundlich und gleichzeitig zerfetzt und vor Wut schäumend ich bin. Wie ich dann doch hin und wieder froh bin, so ein Egomane zu sein, weil ich immerhin auf mich und mein Äußeres aufpasse, weitgehend in der Spur bleibe und mich dank einer einigermaßen intakten geistigen Gesundheit um andere kümmern kann. Ich drück mich und bin feige, wie ich das schon immer war, aber da mir Etikette und was ich selbst von mir halte, wichtig sind, bin ich es dann doch ganz oft eben nicht. Es ist eine ganz gravierende Evolution, die da stattfindet: von jemand, der vom Leben allerhand erwartet und motzend die Hand aufhält, zu jemand, der nichts mehr erwartet, sondern selbst gräbt. Defätist und Optimist gleichzeitig ist. Ein Defäptimist quasi. Ich rede ein bisschen selbstbezogenen Unsinn grade. So wie Uli Hoeneß, als er betonte, wie „fantastisch und ohne Makel“ er sich im Knast benommen hat und 5000 Briefe bekommen. So dringend muss ich dann doch nicht geliebt werden. Hoffe ich.

PS: Übrig hat Amazon meine Rezension für Childish Gambino nicht angenommen. Wahrscheinlich wegen dem „Arsch“. Dann eben hier:

Giving a damn by not giving a damn

Genauso kulturbewusst, schlitzohrig, zutiefst menschlich und leck-mich-am-Arsch-Establishment-ig wie Donald Glovers tolle TV-Serie „Atlanta“. Das ist quasi sein Audio-Atlanta. Black lives matter ja sowieso mehr denn je, aber das geht immer noch ein Stück besser mit black music, die sich weder im Proll-Genialischen wie Kanye verrennt, noch im Zu-Verkopften wie Teile von Kendricks (natürlich toller Platte) „To Pimp A Butterfly“ oder Frank Oceans „Blonde“. Klingen tuts ein bisschen nach Motown, aber trotzdem nicht auf die Retro-Werkbank gezwungen. Pocht stark auf Soul-Tradition und hat gleichzeitig keinen Bock auf Tradition. Postmoderner, old schooliger, neuartiger high end low fi shit.

fullsizerender

Warum Rosalie?

Ich hab auf dem Blog zwar schon mal über die Ursprünge von Rosalie geschrieben, aber hier ist nochmals ein Text für meinen Verlag, in dem ich ausführe, wie sehr mich die grandiose Verfilmung von Harper Lees „To Kill A Mockingbird“ zum Roman geführt hat. Ist natürlich arg selbstreferenziell, aber als Nachbetrachtung vielleicht ganz amüsant, wenn man das Buch schon gelesen hat. Vielleicht.

WARUM ROSALIE? (Wer außerdem immer schon wissen wollte, woher die Boo Radleys ihren Bandnamen haben)

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Kurzkritiken zu Fantastic Creatures And Where To Find Them & Arrival

FCAWTFT
Wirklich zauberhafte realitätsverbiegende erste halbe Stunde mit dem Nostalgie-New-York der 20er-Jahre als perfekter Ort für verborgene Künste. Dann wirds wie so oft in modernen Blockbustern unnötig langwierig und verworren und damit unaustariert. Dreh doch mal wieder knackige Neunzigminüter, Hollywood. Eddie Redmayne, Katherine Waterston und Dan Vogler sind perfekt besetzt.

ARRIVAL
Villeneuves letzter Flick „Sicario“ gehört zu meinen Lieblingsfilmen der letzten Jahre, aber das hier war erzwungen humanistischer Kontemplations-Sci-Fi mit etlichen plotleeren Durststrecken. Außerirdische als Konundrum für eine nonlineare Betrachtungsweise von Leben und Tod war mir zu didaktisch. Und das mit dem toten Kind ging mir zu nahe.

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Rosalie Buchtrailer

Hier eine visuelle Andeutung meines neuen Romans. Am 11.11. ist Buchpremiere im Roten Salon in Berlin. Danke an Carlos Lobos für die Stimme, Cem B Mete für Schnitt und Kamera und den DuMont Buchverlag für das Schmuckstück von Buch.

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Das falsche Tagebuch: 9. November 2016

Trump. Nur ein paar Worte.

„What the fuck America“ ist ein falscher Reflex. Wir predigen ständig nur zum eigenen Chor und kehren vor der eigenen Haustür. Genau das machen auch Trump-Wähler. Genau das machen auch Nichtwähler und Politikverdrossene. Niemand übernimmt Verantwortung, vor allem nicht für den Teil der Bevölkerung, der man nicht sein will. Ich wünschte manchmal, ich hätte keine Kinder. Ich würde die Faust aus der Tasche nehmen und durch die Welt reisen und über sie schreiben. Aber ich habe Kinder und eins davon ist schwerkrank. Meine Familie ist meine Prioriät.

Meine Lektion aus dem zurückliegenden Jahr muss aber lauten, erst recht aktiv und aufmerksam zu bleiben. Sich was zu trauen, das Risiko einzugehen, Verantwortung zu übernehmen. Meine Frau hat das gerade getan, sie ist öffentlich sichtbar gegen den Pflegenotstand in der Charité aufgestanden, natürlich weil das unsere Tochter betrifft, aber auch, damit andere Eltern was davon haben, die wir nie kennenlernen werden und mit denen wir sicher auch nie befreundet wären. Vielleicht sogar AfD-Wähler, wer weiß.

Es ist ja schön, wie ihr euch jetzt alle Pointen und Befindlichkeits-Bonmots aus der US-Wahl herausquält, aber noch schöner wäre, ihr macht da was draus. Denn obwohl Trump dieses Konzept völlig dekonstruiert hat, glaube ich daran, dass unsere Gesellschaft nach wie vor von Etikette und moralischem Konsens zusammengehalten wird. Das Verhalten jedes Einzelnen gegenüber dem anderen Einzelnen ist ein politisches Verhalten. Also seien wir politisch oder wie Gottes einziges Gebot in John Nivens Jesus-Satire „Second Coming“ lautet: Seid nett zueinander.

Und außerdem: ein furchtbarer Tag für alle Frauen auf dieser Welt. White men are the dirtfuck worst.

Kurzkritik zu Dr. Strange

Ich weiß, ich weiß. Und ich bin ja auch ermüdet von Leuten, die von Origin Stories ermüdet sind, aber sie ermüden mich nun mal ganz fürchterlich. Dr. Strange gibt ja eh Gas auf seiner Wanderschaft vom Neurochirurg-Saul zum Zauber-Paul, aber man ist einfach – ob man will oder nicht, und ich will eigentlich nicht – so ausgewrungen von den tausend Superheldenfilmen pro Jahr, dass man einfach nur drinsitzt und sagt: get to the fuckin point.

Wobei’s ab dem point dann auch genau langweilig wird, was erneut dran liegt, dass es Marvel nicht gelingt, gute Superschurken auf die Leinwand (im TV klappt’s, siehe Fisk, Kilgrave, Cottonmouth) zu stellen. Der allseits überbewertete (wenn auch sympathische) und niemals akzentfreie Mads Mikkelsen ist wieder mal way in over his head und strahlt zu keiner Zeit echte Gefahr für einen Protagonisten aus, der zu keiner Zeit so wirkt, als wäre er in einer.

Hört mir zu, ich mag eigentlich diese Marvel-Entspanntheit, wo ein guter Schauspieler mit einem guten One-Liner im Endeffekt wichtiger ist als die Handlung einer gesamten Phase, aber wie sagt Podcaster Andy Greenwald: „It’s not a movie, it’s a widget.” Marvel-Filme haben sich so in ihrem ureigenen, durchaus respektablen und hochamüsanten World-Building verfranzt, dass es keine echten Stand-Alone Movies mehr gibt, weil alles gezwungen ist, auf etwas anderes hinzudeuten.

Mich reißt das ganz immens aus dem Moment. Und der ist eigentlich gar nicht so übel, um jetzt noch was Nettes über den Film zu sagen. Tilda Swinton könnte auch den Hulk spielen und bekäme eine 9 auf der bis Richard III. gehenden Lars-Eidinger-Ernsthaftigkeitsskala, und kann deshalb auch süffisant sein, ohne aus der Rolle zu fallen. Cumberbatch bleibt seinem Sherlock treu, das kann man mögen oder auch nicht, aber das ist darstellerisch schon ganz dicht genietet. Jetzt noch Hokuspokus in eine Welt aus Mutanten und Metamenschen zu packen, funktioniert erstaunlich gut. Dafür die Effekte aus Inception zu mopsen und auf 12 zu drehen does the trick und ist deshalb legitim.

Am Ende (und das meine ich wörtlich, wenn man die Mid-Credit-Scene betrachtet) ist man halt doch nur wieder im Marvel-Universum. Das ist bewundernswert und abschreckend zu gleich, aber vielleicht muss man sich auch damit abfinden, dass dank dem Golden Age of Television jetzt alles zusammenhängt und man immer seltsam unabgeschlossen aus einem Blockbuster kommt, weil einfach nichts mehr je wieder aufhört und leider auch immer wieder anfängt. Ich weiß, ich weiß. Und ich bin ja auch ermüdet von Leuten… yada yada.

PS: Ich hätte gerne einen Dr. Strange von Dario Argento anno 1975 gesehen. Oder vielleicht hätte Regisseur Scott Derrickson einfach Goblin für den Soundtrack verpflichten sollen. Mit Pink Floyds „Interstellar Overdrive“ war er eh schon auf dem richtigen Weg. Was ich eigentlich sagen will: mehr 70er-Hexensabbath hätte dem Film gut getan.

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Das falsche Tagebuch: 12. Oktober 2016

Liebes falsches Tagebuch,
ich habe dir länger nicht geschrieben, weil so viel Irrsinn passiert ist, den ich nicht in Worte fassen konnte. Nicht wollte. Und jetzt hat sich so viel mehr Irrsinn angesammelt, dass ich dir nur fragmentarisches hinterlassen kann. Will. Ich fange einfach mit den „Bushes Of Love“ an. Eigentlich ist das nur ein Lied, das diese Menschen von Bad Lip Reading (Nomen est Omen) aus dem ersten Star Wars-Film gemacht haben. Vermutlich reine Comedy, die mich aber komischerweise an einer ganz empfindlichen Stelle trifft. Text geht so:

How did my father die?
49 times, we fought that beast
Your old man and me
It had a chicken head with duck feet,
With a Woman’s face too
And it was waiting in the bushes for us
Then it ripped off your dad’s face
He was screaming something awful
In fact there was this huge mess
And I had to change the floors
You see, his blood, it drained into the boards
And I had to change ‚em
But we all got a Chicken-Duck-Woman thing,
Waiting for us

Every day I worry all day
About what’s waiting in the bushes of love.
Cause something’s waiting in the bushes for us
Something’s waiting in the bushes of love

Das hat mir trotz seiner Albernheit den Zeigefinger in die Eingeweide gebohrt, weil es so eine kurze und brutale Bestandsaufnahme von jedem Lebensentwurf ist. Egal, wohin man geht, irgendwo wartet eine Sensation, eine Verliebtheit, eine große Herzensbegeisterung auf einen. Die einen ganz einnimmt, ob man will oder nicht. Und einen früher oder später zerfetzt. Kinder, Partner, Eltern, Freunde, alles zerfällt irgendwann. Langfristig deprimiert mich das nicht, denn – Streicher bitte – Liebe ist ein Zustand, der sich über alle Zerfallserscheinungen und Tempi erheben kann. Aber manchmal und momentan bleibt die Zeit stehen und man sieht überdeutlich alle die Risse in seinem Leben.

Es gab so ein paar gnadenlose Risse in letzter Zeit, liebes falsches Tagebuch. In der Gesundheit von jemand, dem ich als allerletztes auf der Welt einen Riss irgendwo wünsche. Ein Riss in der Realität in der Mitte der Strecke zwischen Klinik und Zuhause. Zwischen den Haltestellen Fürsorge und Selbstmitleid. Dafür schließt sich die Lücke zwischen meiner Biografie und dem Buch, das ich geschrieben habe. Über die vielen nächtlichen Lektoratssitzungen verwischen die Grenzen zwischen den Dingen, die ich erfunden habe und denen, die ich selbst erlebt hab. Und ich schwöre, das Erfundene hatte ursprünglich die Oberhand. Es ist auch eine Zeit, in der man die Risse mit Medikamenten überbrückt, Chemie ist das Wort der Stunde. Chemie ist auch jemand, der kurz mit einem in den Abgrund starrt und dann von mir aus auch wieder weitergehen kann. Ist kein Problem für mich. Nur einen kurzen Augeblick zusammen starren.

Und während sich ein Tag an den anderen reiht und schon drängelt zu passieren und das Wetter sich nicht gerade Mühe gibt, einen Schönheitspreis zu gewinnen, bin ich sicher, dass auch jetzt etwas auf mich und alle im Gebüsch der Liebe wartet. Etwas, das uns zerfetzt und wahnsinnig freut.

Kurzkritiken zu The Green Room, A Bigger Splash, Der Drache Elliot, The Jungle Book, Lights Out

THE GREEN ROOM
Captain Picard als väterlicher Nazi-Hool und Chekov als

*spoiler*

Punk-Final-Boy (im echten Leben hat das bei Anton Yelchin mit dem Überleben ja leider nicht geklappt),

*/spoiler*

das ist zu viel Star Trek-Referenz für dieses glatte Gegenteil von Föderations-Ästhetik. Der Film ist so dermaßen räudig und gemein, dass man sofort freiwillig Urlaub auf Cardassia Prime machen möchte – unter Reiseleitung der Jem’Hadar, wenn’s sein muss. Urst harter Rechtsrock-Survival-Horror, aber auch super gespielt und spannend. Live long and prosper für’n Arsch.

A BIGGER SPLASH
Dieser lasch an „La Piscine“ (mit Delon & Romy Schneider) angelehnte Thriller bringt’s irgendwie nicht. Ralph Fiennes‘ Figur ist zwar ein einziger großer Wumms, aber Tilda Swinton als weiblicher David Bowie und Dakota Johnson als Femme Fatalchen sind dermaßen artifiziell, das sich zu keiner Zeit sowas wie Befürchtung eines kommenden Unglücks einstellt. Man beobachtet mehr oder weniger gleichgültig. Ich schätze beide Schauspielerinnen sehr, ich fürchte nur, die Vorlage lässt nicht genug Platz für nuancierte Darstellung. Ganz fad war Matthias Schoenaerts als Paul. Irgendwann hab ich verstanden, warum Ralph Fiennes‘ Figur nicht fassen konnte, dass Tilda Bowie sich den als Lebensgefährten aussucht. Amüstant ist der Film trotz der unerträglichen Rockstar- und Italienklischees, weil a) Fiennes so einen Spaß vermittelt und b) der Film im Gegensatz zu seiner PR kein Erotik-Thriller ist, sondern ein Foodporn-Thriller.

DER DRACHE ELLIOT
Wieder mal ein Film, den ich auf Deutsch mit dem Junior gesehen habe. „Elliot das Schmunzelmonster“ war immer eine positive Kindheitserinnerung für mich, auch wenn das Original eigentlich nie jemanden vom Hocker gerissen hat. Und auch jetzt rührt mich das riesige Plüschvieh und wirkt trotz Frottee-Textur auch nicht weniger realistisch als das, worauf Daenerys Targaryen in ihrer Freizeit so rumreitet. Liebenswerter Film, streckenweise ein bisschen Disney-ish fad und altklug, aber das Herz auf dem richtigen Fleck.

THE JUNGLE BOOK
Irrsinnsbilder, überzeugende Sound-Effekte, gute Sprecher, tolle erste Hälfte, dann versackt es ein bisschen in gehäuften Action-Szenen, aber immerhin nicht den üblichen Disney-Sentimentalitäten. In fact sogar ein recht düsterer Kinderfilm, was v.a. am grotesken King Louie liegt, dessen Lied man nie mehr mit der gleichen Sorglosigkeit singen wird. Noch vor BFG und Elliot die sauberste und spannendeste Verzahnung von Live Action und Animation.

LIGHTS OUT
Simple, aber gute Idee, so ein Dämönchen immer nur im Dunkeln sehen zu können. Dadurch müssen sich die Drehbuchschreiber hauptsächlich mit 1001 kreativen Wegen beschäftigen, das Licht ausgehen zu lassen – und schon ist der Weg frei für mindestens fünf Sequels. Aber schlecht ist der auf einem Kurzfilm basierende Lichtschalter-Verwalter trotzdem nicht. Gut besetzt und gespielt, und mit Kindern kriegt man mich ja immer zum Zittern. Allerdings will ich solche Filme auch aus diesem Grund immer weniger sehen.

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