Tage der langen Messer

But it’s gone to the dogs in my mind.
I always hear them when the dead of night
comes calling to save me from this fight.
But they can never wrong this right.

(The Killers – Bones)

Es ist Samstagnachmittag, die Sonne bricht in diese Wohnung, ich presse Blutorangen aus und die Long Blondes laufen. Es ist 15:00 Uhr, ich bin gerade erst aufgestanden und der Zahn, aus dem mir die Plombe gebrochen ist, pocht und quält mich. Gestern nacht war ich so erschöpft, ich war der Ohnmacht nahe. Ich hatte kein gutes Blatt bis zu dem Flush am Ende. Die Schulden halten sich somit in Grenzen. Später hat sie mir erzählt, dass sie sich wiedererkannt hat in diesem Buch. Sie sei verrückt. Cholerisch und verrückt. Die Andere ist einen Kopf größer als ich und etwas derbe, aber sehr hübsch, auf eine erwachsen mädchenhafte Art. Die Dritte ist nachts alleine, sagt sie. Sie sitzt da oben und lügt auf mich herab und sagt, das ist ihr gutes Recht. Schließlich sind wir ja hier nun wirklich zuletzt der Wahrheit verpflichtet. Die SMS kommen rein und gehen wieder raus. „So toll von dir zu hören.“ und so weiter und so weit fort. Noch ein Gin Tonic, dann durch den Regen. Noch ein Gespräch, noch ein Augenaufschlag, dann zurücksteigen in die Matratzengruft. Heute abend spielen die Killers und es gibt Leute, die denken bei den Killers an mich und es gibt Leute, an die denke ich bei den Killers. Wir sind alle Killer, wir sind alles Serienkiller. Wir töten und töten und können nicht aufhören, bis uns selbst jemand die Gurgel durchschneidet. Wir sind den ganzen Tag im Blutrausch, wir töten, um zu überleben.

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Während ich die Blutorangen schneide und im Kopf die nächsten Opfer durchgehe, telefoniert in diesem Moment sicher jemand und schaufelt mir mein nächstes Grab. Kate Jackson singt: „What’s eating you is a mystery but go home with her one more time and you know you’ll be history.“, der NME mit der widerlichen Beth Ditto liegt auf dem Küchentisch und ich rauche eine Zigarette, fühle mich augenblicklich wieder kaputt und hilfsbedürftig. Da ist wieder dieses Verlangen, das einen so verwundbar macht. Einfach nur zu liegen und jemand zu berühren. Wenn du das willst und nicht mehr, bist du die Beute für den Wolf. Dann beisst er dir die Kehle durch und verspeist dich die restliche Nacht. Also lieber selbst der Killerwolf sein. Berlin, Berlin du bist mein Jagdgrund. Berlin, Berlin, du bist das beste Pflaster für den Straßenkampf. Die letzte Sonne des Tags bricht herein und wir wetzen langsam die Messer für die Samstagnacht.

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Die Unterwerfung der Zeit

Don’t underestimate underdogs
They can beat the world and come back for more
They can dance and romance
And drink the night into coma
And you can have me if you want
Is what I say that important
You can build me up to knock me down
And we’ll just keep getting off the ground
(Leatherface – Do The Right Thing)

Das ist der Tag, an dem alles beginnen könnte und alles enden. Wenn wir ein paar Stunden nach vorne springen, sehen wir diesen Blick, der wissen will, wie weit er gehen kann, bis er anfängt zu durchdringen. Springen wir wieder ein paar Stunden zurück und sehen andere Blicke, voller Neugier und Erwartung, am Beginn einer langen Berliner Nacht. Springen wir zwischen den Stunden hin und her. Zwischen den Litern an Kaffee, den vielen selbstgefälligen Worten, den eiligen Sekunden am Bankautomaten, der geselligen Sicherheit, den Spukgeschichten von früher, den vielen Zigaretten, dem Pastis und den zahllosen Becksflaschen. Bleiben wir kurz in dem finsteren Loch von einer Kneipe, wo das Mädchen dich beobachtet und du es im Spiegel siehst, wie sie genauso dringlich am Beginn eines vielversprechenden Abends stehen will wie du. Du weißt, dass Unheil wie Heil in der Luft dieser Samstagnacht liegt. Heute musst du nur reagieren. Die Aktion kommt von Berlin.

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Wenige Minuten vor dem Morgengrauen, nikotinvergiftet und humpelnd, die Faust geballt. Die Manipulierten haben unser Spiel nicht durchschaut und wir nicht ihres. Zurück zum Anfang und der Unschuld eines Samstagnachmittags. Das Gleiten in den Abend beschleunigt sich schnell zum Rasen und die Zeit gerät außer Kontrolle. Die Polizei ist hier und sieht nur zu, du siehst nur zu und bist kaum hier. Das Vergessen ergreift gegen zwei Uhr morgens von dir Besitz und gegen vier nimmt sie dich bei der Hand. Ein Blick, der meint was er sagt, und man hätte im Prinzip schon Stunden vorher sagen können, was er meint. Noch eine Zigarette aus der Vergangenheit hinüberretten, noch ein Bier auf die Zukunft, noch einen Pastis in der Gegenwart. Hin und her, wir springen hin und her. Das Adrenalin spritzt auf die noch leeren Seiten der Biografie der jüngsten Tage und es reicht dennoch nicht, die Nacht bis hin zum Morgen zu überstehen.

Gehen wir nochmal zurück zum Anfang dieses Tages. Das ist noch die Hand im Spiel, die man uns gestern reichte und heute Abend schütteln wir sie nicht nur, wir ergreifen sie. Die letzen Wochen haben ihre Schmauchspuren hinterlassen und das steht dir gut. Es macht dich schön vor der Kulisse ergriffener Seelen dieser schwarzkalten Berliner Nacht mit dem dezenten Frühlingsaroma. Heute Nacht springst du zwischen den Stunden und du kontrollierst die Zeit. Und es war auch an derselben, dich auf die älteste Art der Welt neu zu erfinden. Die Spree zieht an. Die Spree wird schneller, die Türme bewegen sich doch. Du kannst zwischen den Tagen springen und die Wochen, die vor dir liegen, bekommst du auch noch in den Griff. Kalifornien und der bayerische Wald, Berlin und Barcelona, alles verwächst und bricht der Chronologie den Unterkiefer, bis er lose heraushängt und es nichts mehr über das richtige Timing zu sagen gibt. Es ist an der Zeit, die Zeit selbst in die Hand zu nehmen. Wenn das Blut rückwärts fließt, wenn die Uhr ihre Zeiger von sich streckt, wenn die Nacht zurück zu ihrem ursprünglichen Nachmittag findet, dann stehst du im Zentrum eines Strudels, den du endlich wieder selbst entfacht hast. Und als nächstes knöpfen wir uns die Jahreszeit vor. Du bist Geschichte, Winter.

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Berlin und der Sex

Ich drehe langsam durch hier in dieser Stadt. Ich erinnere mich an ein Lächeln von ihr, als sie sich schnell und geräuschlos auszog, um mir ihre Loyalität zu beweisen. Dieses Lächeln kann ich nicht vergessen, solange der Fernsehturm geräuschlos und rot durch die Nacht funkt und ich im Hinterhof liege, ebenso geräuschlos und in Quarantäne, isoliert von den Kalamitäten der Straße und die Straße bewahrt von meinen gräßlichen Gedanken. Ich drehe langsam durch und alles, an was ich denken kann, ist dieses Lächeln. Und an die Turnhalle, in der wir uns noch mit einem Lachen bekriegten und die Siegermacht am Ende geküsst wurde. Ich drehe langsam durch mit diesem Lächeln, das sich so eingefressen hat in mein Bewusstsein, dass ich vermutlich nachts schlaflächle, während ich im Traum über ihren Busen und ihren Bauch wandle. Ich drehe langsam durch, wenn mir nicht bald jemand verrät, wer mich im Sommer ans Meer begleiten wird, wenn mir nicht bald jemand sagt, dass ich aufhören kann, im Fieber alles niederzuschreiben, wenn mir nicht bald jemand garantiert, dass ich nicht durchdrehen werde.

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Dieses Um-die-Wette-Verlassen muss endlich aufhören. Ich werde alt und langsam, so schnell kann ich gar nicht mehr Ciao sagen, so schnell haben sich die guten Ideen schon wieder verabschiedet. Es ist ein Hochgeschwindigkeitsrennen, ein gnadenloser Wettlauf mit der Zeit und wer gewinnt, darf sich einen Moment setzen. Aber was red ich und vor allem, was schreib ich? Ich drehe langsam durch in dieser Stadt. Wer als erster Heimatstadt sagen kann, ohne rot zu werden, darf hier bleiben. Wer als erster eine Familie hat, darf mit den fürchterlichen Drogen aufhören. Wer mir als erster die Uhrzeit sagen kann, darf an meine Brust. Ich drehe langsam durch in dieser Stadt und ich fürchte, es liegt nur an diesem Lächeln, das mir nicht mehr aus dem Kopf geht. Vielleicht liegt es auch an dem Sex. Es liegt immer irgendwie an dem Sex.

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Der Scharfrichter und ein flüchtiger Gedanke an Zuhause

Kreuze mit Gehenkten säumen den Weg, den wir bergauf schreiten. Wir haben sie selbst dahin genagelt, wir haben sie selbst verurteilt, wir sind die Legislative und die Exekutive in Personalunion. Wir sind das Hochamt, wir sind der Scharfrichter. Wir sind die Jury, wir sind die Mehrheit. Unsere Stiefel sind voller Dreck und Staub, unsere Stiefel sind voll dem Blut, mit dem wir die Kiefer unserer Wiedersacher eingestampft haben. Wir haben dich aufgeweckt und dir deinen selbstgefällige Hals durchgeschnitten. Unsere Arroganz ist lebensgefährlich und unsere Ignoranz tödlich. Wir marschieren weiter dem Himmel entgegen, und lassen die Hölle auf die Ungläubigen los. Wir sind eine Ein-Mann-Armee, wir sind die Waffe, der Säbel und wir statuieren die Exempel wie sie kommen. Wir spielen das Fallbeilspiel bis zum Ende durch und wenn wir genug haben, lassen wir die Schädel der Gefallenen unter unseren Stiefeln knacken. Wir sind die Heiligen des Berges und die Luft brennt, wenn wir hinunter in die Stadt kommen. Wir sind die Schlächter des schlechten Geschmacks. Wir mähen die Verfaulenden aus dem Weg und regieren die Stadt mit eiserner Hand.

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Ich will nach Hause. Es ist ein Gefühl, das mich seit Tagen peinigt. Seit ich dieses Bild auf dem Flohmarkt gekauft habe, in das man eintauchen möchte, in diesen endlosen Feldweg, zur Linken die Birken und die Buchen, zur Rechten das Feld und in der Mitte der ruppige Weg hinunter in das Tal, das keinen Horizont kennt, kein Ende, keinen Stahl und keinen Beton, seitdem will ich weg. Ich muss dringend nach Hause. Ich muss dringend deine Hand nehmen und dich hinter mir her zerren, weg aus dem Koloss, raus aus dem Staub, der uns das Atmen hier so schwer macht, weg aus der Stadt. Weg von den Rachephantasien, raus aus der Brutalität meiner Launen, raus aus der Selbstjustiz, weg von der Front, raus aus dem tobenden Krieg zwischen mir und der Stadt. Zurück in die lange Weile der Wildnis, in die langen Tage, die zu nichts nutz sind ausser zum Selbstzweck. Und am Abend sitzen wir dann am Fluß an der steinernen Brücke und hängen unsere Biografien über die Strudel der Donau, die blau und selbstzufrieden vor sich hin gluckert. Dann sind die Rachephantasien verstummt und es gibt keinen Scharfrichter mehr.

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Gestatten Sie, mein Name ist Saint Burnster

Und um endlich mal bei der Wahrheit zu bleiben, bin ich nicht der für den ich mich ausgebe und genau der, für den Sie mich halten. Natürlich denken Sie jetzt: „Was spinnt er sich denn da jetzt wieder zusammen?“ und Recht haben Sie. Ich spinne mir was zusammen, wenn ich hier schreibe. Das meiste ist aus Versatzstücken der Wahrheit komponiert, das Wenigste frei erfunden. Was am meisten dem Alpdruck der Selbstbestätigung ausgesetzt ist, ist das transportierte Image. Das Image des arroganten Snobs, des larmoyanten Trinkers, semi-talentierten Musikers und passionierten Frauenheldens. Ich habe lange genug beim Bund für Selbstschutz gedient, um mir eben dieses durchaus passable Image anzudienen. Aber irgendwann fängt man an, unter der Ewartungshaltung seines Fremdbildes zu leiden. Das passiert dieser Tage und deshalb ist es Zeit für einen Exkurs in Sachen Demut, der mich am Ende – fürchte ich – noch cooler als zuvor aussehen lässt. Aber warten wir ab, während die Selbstkritik ihr hässliches Haupt gen Berliner Himmel erhebt.

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Gestatten Sie, mein Name ist Saint Burnster und ich bin 32 Jahre alt. Ich stamme aus der finstersten niederbayerischen Provinz, lebe seit einigen Jahren in Berlin und kann immer noch nicht akzentfrei Hochdeutsch sprechen. Ich bin mit 1,76 nicht der Größte, aber vermutlich auch nicht der Kleinste, meine Haltung ist tendenziell bucklig und ich neige zu faltiger Haut und Schweissausbrüchen. Meine Haare sind noch überwiegend schwarz, werden aber rapide grau und immer weniger und meine Zähne sind ein Minenfeld aus Amalgan. Ich ernähre mich falsch und ohne Vitamine, ich nehme in der Regel keine Drogen, aber ich rauche schon seit viel zu langer Zeit, trinke Unmengen an Alkohol seit ich 14 bin und bin deshalb meistens kränklich. Abends trifft man mich überwiegend in Kneipen oder auf Konzerten und ich habe noch nie ein Fitnessstudio von innen gesehen. Tagsüber gehe ich einem Bürojob nach und sehe zu, dass ich immer pünktlich bin. Ich bin single und die letzten Jahre gab es auch keine Indizien für eine Änderung dieses Status. Ich verliebe mich manchmal in viel zu junge Mädchen, ich werde hin und wieder abserviert, manchmal serviere ich ab und ganz oft bleibe ich monatelang ungeküsst und vom Sex wollen wir gar nicht reden. Ich weine oft, bin unglaublich sentimental und pathetisch bis zur Armutszeugnisgrenze. Ich bin ein arroganter Klugscheisser, ungeduldig, aggressiv und grobschlächtig. Ich habe kein Feingefühl und kein Faible für Details. Ich bin im falschen Moment albern und im noch falscheren ernsthaft. Ich bin eitel und selbstverliebt, aber tödlich unsicher und beständig auf Applaus angewiesen. Ich bin alles andere als ein Gewinnertyp, aber ich hasse Verlierer und bin dazu noch ein missgünstiger Neidhammel. Ich bin pedantisch, herrisch und streitsüchtig. Wenn jemand nicht nach meiner Pfeife tanzt, kann ich ihm ein schlechtes Gewissen zaubern, das ihn wochenlang plagt. Ich bin ein Opportunist und ein feiger Lügner, wenn es darum, geht meine Interessen zu verwirklichen und selbstverständlich bin ich käuflich. Mein falscher Stolz ist die tonangebende Komponente in meinem Leben und er paart sich nur allzugerne mit meinem verbissenen Selbstgerechtigkeitssinn.

Das bin ich, ein durchaus widerlicher Zeitgenosse, wenn Sie so wollen. Sie wollen mir weder im Dunkeln, noch kurz nach dem Aufstehen begegnen. Und doch wollen sie mich. Sie alle. Und wenn sie mich fragen wer ich bin, wissen Sie ja jetzt, was ich ihnen antworten werde.

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Die Rückkehr der Königin

And I hope, your majesty, that you like your position.
I’ll do everything I can to keep you by my side
And I’ll stare off through the darkness to find us a kingdom.
Just kiss me before I go.

(Saves The Day – Nightingale)

Heute morgen bin ich aufgewacht und habe Blut gespuckt. Es gab keinen Zweifel, das war Blut, das war mein Blut, das waren meine inneren Verletzungen, die das Blut über Nacht in meinen Mund gespült haben. Das letzte was ich weiß, bevor ich eingeschlafen bin, ist, dass du in meinen Armen lagst. Ich habe dich mit zu mir genommen, oder hast du mich mit zu mir genommen? Wir haben zusammen gesessen und den Tod beobachtet. Dabei fuhr mir der Schreck dermaßen in die Glieder, dass mir das Wasser aus den Augen schoss und ich geriet unter Verdacht, schwach zu sein. Ich klammerte mich an dir fest, ich zerrte dich an den Haaren, ich küsste dich durch dein dichtes braunes Haar auf die Schläfen. Ich umklammerte deine Fesseln und du entzogst dich mir mit jeder Bewegung, die du mir widmetest. Und dann sprangst du auf und gingst weg. Ohne daß sich unsere Zungen auch nur ein bisschen berührt hätten. Deine Gesichtsmuskeln blieben starr, als ich sie küsste. Du tatest so, als würde dich mein Parfüm verrückt machen und warst verschwunden, entglittst in die Dunkelheit des Bötzowviertels. Ich blieb zurück und muss wohl irgendwann eingeschlafen sein. Als ich aufwachte, spürte ich wie das Blut in meinem Mund schwamm und nach draussen wollte. So muss es sein, wenn man innerlich verblutet.

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Es war ein langes Wochenende gewesen und wir hatten viel gefeiert. Dass es mit ihrer Rückkehr am Sonntag enden würde, konnte ich am Freitag Abend noch nicht wissen. Und wie so oft, war ich so außer mir, dass ich nach außen ganz ich selbst wirkte und das mögen die Leute, das mag auch die Königin, weil sie mich dann für einen Mann hält, obwohl ich nur ein kleines Kind bin. Sie hat mich bewundert, als ich meinen Vortrag hielt und und sie hat mich bewundert, als ich zunächst ihrem Werben widerstand. Doch mein Widerstand hielt nur wenige Drinks lang. Dann nahm sie mich bei der Hand und entführte mich in die verregnete Nacht hinaus in ein Wirtshaus. Mir war schlecht, ich bekam fast keinen Bissen hinunter, während sie wie immer diesen gesunden Appetit an den Tag legte, der ihr auch des Nachts nicht abhanden kam. Danach zog sie für eine kurze Weile bei mir ein und wir wurden eins, während wir den Tod dabei beobachteten, wie er langsam und bedächtig einen nach dem anderen auffraß. Der bekam noch einen Bissen hinunter, dachte ich mir und wenn ich heute Nacht der Bissen wäre, bin ich nicht undankbar. Dann muss ich wenigstens nicht ohne dich aufwachen. Dummerweise war er vollgefressen ins Bett gewankt und hatte mich außer Acht gelassen. So musste ich nun diesen Tag antreten mit Blut im Mund und mich fragen, ob sie das Blut an ihren Händen schon abgewaschen hatte, oder ob sie es wieder all ihren Untertanen zeigte, damit sie sehen, was passiert, wenn man ihr zu nahe kommt.

Nun ist sie also zurück, die Königin, und hin und wieder nimmt sie mich mit in ihre Gemächer, lässt mich unter ihre Roben kriechen und vertreibt sich die Zeit mit meiner grenzenlosen Loyalität. Doch je mehr sie mich in ihren Dienst stellt, desto funkelnder erscheinen mir die Intrigen des Hofs und desto mehr drohe ich an dem morgendlichen Blut im Mund zu ersticken. Es gibt noch etwas zu tun, bevor meine doppelte Zunge mich verrät und ich dem Fallbeil ihrer Launen unterkomme. Ich muss noch ein Lied schreiben, muss die Minne noch einmal bemühen, denn wenn sie mich dieses Mal sterben lässt, will ich ein Lied auf den Lippen tragen und mir auf die Zunge beissen, bis das Blut aus meinem Mund auf ihr schwarzes Kleid spritzt und es bleicht, es bleicht, es bleicht.

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Jürgen Revisited

Diesen Sommer auf Kreta begegnete mir und meinem Kollegen T. ein Mensch, der uns seine Lebensgeschichte in Zusammenhang mit einem sehr merkwürdigen Ort erzählte. Der Mann heißt Jürgen und ist der Besitzer eines ehemals florierenden und jetzt zugrunde gekommenen Vergnügungsparks im Südosten der Insel. Aus verschiedenen Gründen ging mir die Geschichte nicht aus dem Kopf und so schrieb ich sie auf und bebilderte sie, sobald ich wieder in Deutschland war.

Nun ist das Kommentarwesen bei Weblogs oft ein Quell unerwarteter Informationen und spinnt manche meiner Texte in Richtungen fort, die ich so nicht geplant hatte. Das geschah bei diesem Beitrag gleich zweimal. Zum einen meldete sich jemand, der den Vergnügungspark tatsächlich in funktionalem Zustand gesehen hatte, zum anderen kommentierte vorgestern Jürgens leibliche Tochter und bedankte sich bei mir für diesen Artikel. Wie sie darauf gestoßen ist, weiß ich nicht, aber ihr Kommentar steht da und verleiht der Geschichte von Jürgen mehr Authentizität, als ich es gekonnt hätte, so der Kommentar denn authentisch ist. Wer sich nicht erinnern kann, möge nochmal kurz Nachlese beitreiben und sich dann Sandras Kommentar zu Gemüte führen.

Sandra sagt an:
Januar 28th, 2007 at 6:12 pm

Also, laßt es Euch gesagt sein, der Kreta-Jürgen hat noch eine Tochter in Deutschland, die ihn sehr vermisst und ihm alles Glück dieser Erde wünscht.
Er ging nach Griechenland als ich 6 Jahre alt war; der Kontakt riss ab – die Gründe sind zu privat, um sie an dieser Stelle zu erläutern – und mit 37 habe ich ihn erst wiedergesehen. Im August 2006 habe ich ihn dann mit meiner Familie auf Kreta besucht und mir hat es beim Anblick des verfallenen Parks fast den Atem verschlagen (ich habe Flyer von den „Glanzzeiten?? – und da schaut alles ein wenig anders aus). Ihr habt in Eurem Reisebericht sehr direkte Worte gefunden und da waren durchaus Parallelen zu meinen Empfindungen. Schön, dass ihr Euch die Zeit genommen habt, meinem Papa zuzuhören. Ich glaube er ist jetzt sehr einsam – aber er hat es sich so selbst ausgewählt – sein Leben …

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Die Reise endet hier

Die Reise endet hier. So kommt es einem vor, wenn er im Prinzip jahrelang immer nur um Haaresbreite sesshaft geworden wäre und jetzt vor lauter Müdigkeit nicht mehr aus den Augen schauen und nicht mehr auf der Straße bleiben kann. Nicht, dass er sich hier und dort nicht auch einmal heimisch gefühlt hätte, aber ein konstanter Vorwärtssog zog ihn durch die steinernen Städte und wieder hinaus, vereinzelt auch an die Küste und wieder zurück in die Wildnis, doch am Ende immer dorthin, wo er den Ursprung des Windes vermutete, ihn aber letztlich nie zu fassen bekam.

Ein neues Kapitel aufschlagen, bedeutet aber auch nur weiterlesen und irgendwann am Ende des Romans anzukommen, sich dann einen neuen zu kaufen und wieder von vorne anfangen, eine neue Geschichte zu beginnen und zu hoffen, dass man diesmal bis zum Ende durchhält. Somit weiß er weder jetzt noch morgen, ob das Wandern als solches auch nicht weiterhin des Mühsamen Lust bleibt, aber man kann gerne mal zwischen zwei Reisen eine kleine Pause der Sesshaftigkeit einlegen. So ist es gedacht, so wird es getan.

Als sie ihm den Schlüssel für sein neues Zuhause in die Hand drückt, fühlt er sich ihr ganz nahe. Sie kennen sich eigentlich nicht, aber sie drückt ihn, küsst umsichtig auf beide Wangen und redet wie immer viel zu viel. Sie geht gleich ins Theater und deshalb trägt sie einen Rock und Stiefel. Ihre Beine sehen toll aus heute abend und sie riecht gut. Er fragt sich, ob er sie gerade jetzt so schön findet, weil sie ihm ein Zuhause gibt, oder ob er sie auf der langen Lychenerstraße als Passantin heimlich bewundern würde.

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Sie selbst ist ganz zerrissen und trägt eine Mütze, damit der regenbestückte Ostwind ihr nicht die Frisur ruiniert. Sie geht auf eine Premiere, sie hat noch keine Karte, aber ihre Freunde sind da. Ihre Freunde und ihr Mann. Der hat sie erst heute wieder hängen lassen und sie musste ihre gesamte ehemalige Wohnung alleine säubern. Er hat sie hängen lassen, wie so oft, weil er verrückt ist. Verrückt, aber so begabt. Dieser Fremde mit dem seltsamen Akzent hat ein gutes Herz, denkt sie. So etwas darf man nicht verachten. Er fühlt sich gut an, wenn man ihn drückt und seine Lippen haben etwas Leidenschaftliches, was sie im Tagesgeschäft nicht bemerkt hat. Sie steigt auf ihr Fahrrad und fährt durch den Ostberliner Regen. Ganz zerrissen fühlt sie sich, sie hat ihr Schloss und ihren Schlosshund aufgegeben und jetzt ist sie ganz zerrissen, unterwegs ohne Geld und Papiere. Ohne Ahnung, wo sie hin soll. Hier beginnt also die Reise, denkt sie, und sie ist mit Strapazen und endlosen Wartezeiten verbunden.

Er dagegen geht zu dem ägyptischen Imbiss, bestellt sich etwas zu essen und Orangenlimonade und liest Zeitung. Er erinnert sich, wie ihn die dunklen Kinosaäle Europas Zuflucht gewährt hatten, wenn er mal nicht gewusst hatte, wo er bleiben sollte. Er hatte sich in den sanften Samt gelehnt und die Augen geschlossen. Es wurde dunkel, der Film begann und linderte alle Qualen eines Heimatlosen. Jetzt ist er zurück und jetzt wohnt er auf Kosten der Frau. Sie ist zerrissen, er hat ihr Zuhause übernommen und ist endlich zur Ruhe gekommen, während sie ohne Rast und Gesundheit durch die feuchtkalte Nacht radelt. Was für ein Tausch. Eine Seele für eine Seele. Eine Reise für eine Reise. Ein Zuhause für ein Zuhause.

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Das ewige Wochenende

See the lonely boy, out on the weekend
Trying to make it pay.
Can’t relate to joy, he tries to speak and
Can’t begin to say.

(Neil Young – Out On The Weekend)

Es beginnt an einem Freitagabend nach der Arbeit in Berlin, Prenzlauer Berg und wird nicht mehr aufhören. Es beginnt mit ein paar Ouzo, aufgehellt mit Eiswasser, ein bisschen Musik von den Red House Painters, ein paar Zigaretten über der Christinenstraße. Es setzt sich in einer dieser Kneipen fort, die eng und unrenoviert sind, in denen laute Musik aus schlechten Anlagen läuft, in denen Joy Division läuft. Du sitzt ganz eng am Tresen, weil kein Platz ist, du sitzt ganz eng an den Mädchen. Du trinkst Bier und weißt irgendwann gar nicht mehr was du noch trinken sollst. Du wechselst zum Schnaps, bevor dich die Vampire anfallen. Die Mädchen neben dir beginnen zu reden und du redest zurück. Es wird voll in der Bar, dann wieder leer, dann wieder voll, dann burlesk, dann wieder leer.

Irgendwann liegen Hände in meinen, irgendwann bezahle ich Taxis und irgendwo tanze ich und fühle mich alt und schwer. Irgendwo wache ich auf und irgendwann sitze ich in einem Cafe und schweige und rede. Irgendwo wartet jemand auf meinen Anruf und irgendwann trinke ich wieder mein erstes Bier. Irgendwer sitzt mir gegenüber. Irgendwer ruft an. Irgendwer bricht mir das Herz. Irgendwem breche ich den Stolz. Irgendwer vermisst mich. Irgendwen vermisse ich. Irgendetwas habe ich vergessen, irgendetwas muss ich trinken.

Es hört nicht auf, es wird niemals aufhören, wenn ich nicht damit aufhöre. Von selbst hört es nicht auf. Da bin ich, da vorne bin ich. Könnt ihr mich sehen, wie ich den Fremden zuproste, wie ich an der Häuserwand lehne, wie ich mitten auf der Lottumstraße am Boden liege, wie ich mitten zwischen den Beinen dieses Mädchens liege und sie lecke und sie sich windet? Könnt ihr mich sehen, wie ich in einer Badewanne aus Blut liege und eine Zigarette rauche und weine? Ich weine Blut, ich schwitze Wasser, ich trinke und trinke bis der ganze Alkhol aus mir hinausläuft und kleine Rinnsale auf der Christinenstraße bildet. Es hört nicht auf. Ich gehe raus, ich gehe aus, es geht sich nicht aus, es wird knapp, aber ich schaffe es nicht, ich gehe weiter und bleibe doch für die nächsten acht Monate stehen. Es hört nicht auf.

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Es beginnt an einem verregneten Tag im Januar, irgendwo in einer kleineren Stadt im Süden des Landes. Es beginnt in der Küche mit einem Kasten Starkbier, billigen Zigaretten und schlechtem Dope. Irgendwann sitzt du am Tresen dieser Kellerbar und würdest du vom Barhocker aufstehen, dir würde auffallen, dass du viel zu betrunken bist, um nochmals aufzustehen. Du gehst mit der Frau von der gegenüberliegenden Seite der Bar nach Hause und lässt dir einen blasen, während ihr Kind und die eigene Freundin nichtsahnend schlafen und die Essensreste von dem nächtlichen Currygericht noch in den Zähnen der Frau hängen. Zuhause wirfst du mit Gläsern nach der Freundin und lange wirst du sie nicht mehr haben, aber lange wirst du noch hinaus gehen in die Nebellandschaft großer Städte. Es hört nicht auf. Es hat gerade erst angefangen.

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Tag eins

Days and days, days and days, an un-English state
Days and days and days and days of sour grapes
Of sour grapes and a thousand miles of old headlines

(Leatherface – Sour Grapes)

Am ersten Tag, als ich geschunden und alleine war, tarnten wir uns als Verabredete. Ich wollte dir zeigen, wie großartig ich bin und du zeigtest dich von deiner schlechtesten Seite. Ich weiß nicht, ob du nervös warst, aber du redetest nur Unsinn und du warst kein bisschen hübsch. Dass ich trotzdem das Gefühl hatte, dass unsere Hände ineinander passen, war die erste Überraschung der Nacht von Tag 1. Die zweite war, wie schön ich dich von Anfang an fand.

Der zweite Tag ereignete sich viele Wochen später. Du warst wieder verschwunden, aber entwickeltest ein Faible dafür, in den unpassendsten Momenten aufzutauchen. Eine gewisse Aufdringlichkeit in deinem Tun und Treiben liess mich weich werden und ich war erstaunt, wie gut deine Hand tatsächlich in meine passte.

An Tag 3 holtest du mich nach Hause, ich war enttäuscht vom Leben und berauscht von meinen Alternativen, ich war mir selbst ein einziges großes Abschiedsfest und so fiel es mir gar nicht auf, dass mich jemand zwischendurch ins Schlafzimmer entführte. Am nächsten Morgen erwachte ich neben einem Geruch, der mir nicht wieder aus dem Sinn gehen sollte. Neben Haut, die manufakturiert wirkte, so perfekt und fließend in ihren vielen Auf und Abs. Als du mich noch ein Stück begleitetest und die Herbstsonne uns milde die blitzsauberen Zähne zeigte, dachte ich das erste Mal ans Dableiben.

Tag 4 fegte alle Langeweile aus der gesamten Stadt. Die Blätter rasten um die Häuserecken, das Lachen von Kleinkindern hielt nicht mehr an den Feuermauern, sondern hallte von Platz zu Platz und wir hatten keinen Sex, aber wir hatten etwas viel Intimeres: Wir hatten Ideen, was wir mit unserer Zeit anfangen wollten. Insgeheim arbeitetest du an einem ganz anderen Plan, der geheim war. Natürlich hatte ich ihn einmal gesehen, als du in der Dusche warst und ihn abfotografiert. Aber ich ignorierte ihn und hatte die Kopien an einem ebenfalls geheimen Ort verschwinden lassen.

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An Tag 5 feierten wir die Feste wie sie fielen und ich war einem völligen körperlichen Zusammenbruch nah. Und als ich bemerkte, dass ich dir in angeschlagener Kondition nicht von Nutzen war, hielt ich mich an jemand fest, dem meine Kondition egal war. In deinem Plan hattest du ja ohnehin keine Verwendung für mich. Warum sollte ich da bleiben? Meine Verabschiedung war eine Ohrfeige für dich und du begegnetest mir das erste Mal mit dieser faszinierenden Boshaftigkeit, die ich in der Folge immer mit Liebe verwechseln sollte.

An Tag 6 kam ich zurückgekrochen, weil ich längst entschieden hatte, zu bleiben. Mein kurzzeitiger Abgang war lediglich eine Pflichtübung in Sachen Stolz gewesen. Du empfingst mich in einem dunklen Kinosaal mit offenen Händen und wir begannen zu spielen und zu baden und ich war reinsten Herzens gücklich, ein Zustand den ich vor langer Zeit ins Reich der Fabel verwiesen hatte.

An Tag 7 eröffnetest du mir einen gravierenden Irrtum. Was ich für Knospen der Liebe gehalten hatte, war in Wirklichkeit nur ein Konstrukt meiner blühenden Fantasie. Und so stellte ich dich nochmals allen meinen Freunden vor, du durftest deinen guten Eindruck machen und dann verließ ich die Stadt ohne dich und zum Teil leider auch ohne mich.

Tag 8 verbrachte ich in einem fremden Land, während du zuhause endlich schön und einsam wurdest. Die Arbeit an deinem Geheimplan ging nicht so recht voran und so hing ich mit meiner Nummer noch als gelbe, zerknitterte Notiz an deinem Kühlschrank. Als man mich nach Hause schicken wollte, wehrte ich mich zunächst, aber dann dachte ich daran, wie wundervoll sich unsere Knochen gerieben hatten und so genug Wärme erzeugen konnten, um der deutschen Kälte zu trotzen. Ich entschied mich noch einmal für dich und du dich zum hundertsten Mal dagegen.

Als ich an Tag 9 wieder nach Hause zurückkehrte, fand ich menschenleere Flughäfen und Bahnhöfe vor. Du warst weit und breit nirgendwo in Sicht und die Bahn nach Hause war genauso leer wie deine Versprechungen. Ich kaufte mir die Zeitung und las deine impertinent überschätzten Artikel über die Situation in Berlin, aber ich wurde nicht schlau daraus und beschloss dich und das Wissen darüber, dass es dich gibt, in den Giftschrank zu sperren.

An Tag 10 zückten wir dann doch die Feuerwaffen, weil es in uns brodelte. Der Giftschrank wurde weit aufgerissen und ich brach dir den Unterkiefer und du mir den Arm. Lädiert verzogen wir uns wieder in unsere Verstecke und ließen uns pflegen. Deine Genesung schritt schneller voran als meine und du bestelltest mich zu dir. Noch angeschlagen und ausheilend schleppte ich mich zu einem Treffen, um mir anzuhören, was du zu sagen hattest. Und du sagtest gar nichts, knöpftest mir das Hemd zu und trankst meinen Earl Grey. Das reichte, um mich wieder zu verlieben.

An Tag 11 wusste ich, dass ich weg muss. Ich spürte, wir du dir deine Daseinsberechtigung aus meinen Lungen saugtest und mir meine Schritt für Schritt entzogst. Dass du jemand brauchtest, der dich über die ganzen anderen Hübscheren und Schnelleren stellte. Jemand, der dich adoptierte, aber dessen Zuneigung an dir abprallen konnte, das war eine aufregende Art zu leben. Da wollte man so schnell nicht zurück in die Unterschicht. Nie mehr dahin zurück. Und sentimental genug warst du ja, um die Tränen per method acting kommen zu lassen. Ich bin nicht schlauer als du, das war ich nie. Doch ich weiß, wann es genug ist. Wenn du mich magst, lässt du mich ziehen, sagte ich. Und dass ich jetzt gehen kann, ist so perfide wie genial. Denn es beweist, dass du mich magst und nicht magst zugleich. Es ist wie an Tag 1, ich bin geschunden und alleine, aber dem nächsten Wahsinn steht bereits Tür und Tor offen.

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