Fraktale IV: Tod

Der Tod selbst hat keine Definition, wir haben kein Wissen von ihm, er hat weder Raum, noch Zeit. Das gesellschaftliche Wesen Mensch wird im Augenblick des Todes zum Einzelnen. Der Tod provoziert den intimsten Moment des Selbst. (aus Fraktale-Berlin.de)

Die Fraktale IV ist eine im Palast der Republik untergebrachte Ausstellung die das Thema Tod im weiteren und engen Sinne zugleich zum Thema hat. Bisweilen driftet die Auslegung des Motivs ins angenehm Surreale, zuweilen auch ins unangebracht Absurde ab. Der beste Beitrag gehört allerdings gar nicht zur eigentlichen Ausstellung: Der Balkon, welcher der Lounge der Ausstellung als Außenbestuhlung dient.

Ein laues Lüftchen an einem viel zu warmen Oktoberabend, ein herrschaftliches Panorama, die glitzernden Lichtern von Unter-den-Linden im Zentrum des Blicks, lässt einen thronen und mental machthaben und ist ein exzellenter Denkzettel an die Vergänglichkeit der Dinge. Der herrschaftliche Blick mag derselbe wie einst aus der Fensterfront des Palastes sein, das Gebäude im Rücken ist jedoch ein verwestes Gerippe, das kurz vor der eigenen Beerdigung steht. Wie ironisch, wie passend, wie schön.

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Schädelhöhe

Sein Glück hängt an einem seidenen Faden, als er die Königinstraße in Richtung Odeonsplatz entlang läuft. Die alten Villen zu seiner Rechten und der Englische Garten zu seiner Linken beschützen ihn, geben ihm Deckung, solange bis er in die schutzlose Weite des Odeonsplatzes hinaustritt. Vor die Flanken der unbarmherzigen Feldherrnhalle, die ihn zum Rückzug an den Rand des Hofgartens drängen, wo der Eingang zur Unterwelt darauf wartet, das Mädchen wieder in seine Biografie zu spucken. Es ist eisig an diesem Novembertag und er hat sie das letzte Mal an derselben Stelle im August gesehen.

Sie hatte ihn bei der Hand genommen und ihn an eine bestimmte Stelle des Hofgartens geführt, von wo aus man die Kirche angeblich besonders gut sehen konnte. Sie hatte ihm stets die Augen für die Schönheiten dieser Stadt geöffnet, sie hatte ihr eine Identität verschafft und sie unabspaltbar mit sich selbst verbunden und jetzt hatte er zwar die Stadt und den Salat, nicht aber sie.

An diesem grausam kalten Novemberabend erinnern die Türme ihn an Totenköpfe und die um die Türme kreisenden Fledermäuse, die er im August noch als possierlich empfunden hatte, erscheinen ihm nun wie stumme Wächter eines ganz hässlichen Geheimnisses: Dass die Türme dieses ach so verehrten baulichen Glanzstücks in Wahrheit Schädel darstellten und alle jene verhöhnten, die nie hinter ihr Geheimnis gekommen waren.

Er versteckt sich in dem umnachteten Eingang zum Hofgarten und bewacht den Ausgang der Unterwelt. Wenn sie an die Oberfläche kam, brachte sie stets diesen Glanz mit sich, dem er sich nie entziehen können würde. Sie brachte dieses Strahlen, das unmöglich ihrer schwarzen Seele entspringen konnte, nur ihren hellen, wässrigen Augen und ihrem blonden Haar. Er raucht eine Zigarette in dieser fürchterlichen Kälte. Seine behandschuhte Hand zermalmt fast den Filter vor Nervosität. Sie soll ihn rauchend sehen. Sie soll ihn fauchend sehen. Ihn kämpfend, nicht resignierend, ihn rasend, ihn wütend, ihn wollend, ihn fordernd, ihn unnachgiebig, ihn tapfer, nicht ihn wartend. Nicht ihn wie er auf sie wartet

Natürlich kommt sie zu spät. Sie war immer zu spät und er hat das Warten so satt. Sie hatte ihn vor Jahren das erste Mal hierher beordert, es war genauso bösartig kalt gewesen, es war diesselbe schutzlose Weite und diesselbe Zuflucht an den Toren zum Hofgarten, wo er gelauert hatte. Und sie war zu spät gekommen. Sie waren stundenlang durch die Stadt gelaufen, gejagt von einer übelmeinenden Kälte. Sie hatte sich beklagt, dass er zu unverbindlich sei und er hatte sich nicht getraut, ihre Hand zu nehmen. Sie hatte von einem Leben erzählt, an das er sich nicht mehr erinnern konnte und wollte und hätte er geahnt, dass er es nochmals leben müssen würde, dass er wiedergeboren im Feuer jugendlicher Todesnähe würde, er hätte sich glatt von der Schädelkirche gestürzt. Doch er hatte auf eine wärmende Umarmung in dieser allesverneinenden Novemberkälte gehofft. Eine Umarmung, die er in keinem Sommer und in keiner Jahreszeit je von ihr bekommen würde. Doch nie hätte er klein beigegeben. Nie sich der Kälte gebeugt, nie sich die Blöße gegeben, die Augen zu verschließen vor diesem bitterkalten Strahlen ihrer Augen.

Als sie endlich auftaucht, geht er langsam auf sie zu und umarmt sie. Sie spricht ganz leise und es klingt wie eine geheime Botschaft, die er nicht entschlüsseln kann. Er hat sie seit August nicht mehr gesehen und er will endlich die Kälte vertreiben, die Veränderung in Gang stoßen. Die Schädel schauen stumm dabei zu wie er mit ihr langsam über den Odeonsplatz in Richtung Ludwigsstraße schreitet.

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Das Gespür fließt

Die Seelenraketen werden auf den Weg geschickt und erwecken dabei die alte Traurigkeit. Unten stehen wundersam blaue Straßenlaternen und erleuchten mit ihrem weichen Licht den Weg. Egal ob das grelle Weiß die sanften Schatten beiseite schaumschlägt, das Gespür fließt. Ein glitzernd weißer Fluß aus Schatten. Das Gespür bewegt sich. Ein glitzernd schwarzer Fluß aus Schatten.

Unbegrenzt umblätterbare Notizblöcke nehmen das ganze alte Leid auf und sind bereit für göttliche Einträge. Es brennt nicht mehr so auf der Haut. Egal, ob die Zeugen in meinem Kopf bereitwillig aussagen oder meine Hoffnung mein Erinnerungsvermögen vollends verwässert. Egal, ob dieser erstaunliche Wille mir immer noch beisteht, das Gespür fließt. Ein glitzernd weißer Fluß aus Schatten. Das Gespür bewegt sich. Ein glitzernd schwarzer Fluß aus Schatten.

Das alles umspannende Geflecht aus Ruhe wird artgerecht zusammen mit allen fünf Sinnen verpackt. Oben drauf legen wir diese rastlos komponierenden Ideen, welche Zäune niederreissen können. Es spielt keine Rolle ob dieses vollmundig versprochene Leben vorbei geht, egal ob dieser seltsam stattliche Wille an meiner Seite ausharrt, egal ob das grelle Weiß die sanften Schatten beiseite schaumschlägt, das Gespür fließt. Ein glitzernd weißer Fluß aus Schatten. Das Gespür bewegt sich. Ein glitzernd schwarzer Fluß aus Schatten. Das Gefühl wächst.

(frei übersetzt nach „Feel Flows“ von den Beach Boys. Erschienen auf dem Album „Surf’s Up“. )

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Bilder einer Ausstellung

Ich beim Bierholen in langer Schlange. Ich beim Whiskey-Cola trinken. H. sagt: „Der Typ auf dem Bild sieht aus wie der Zombie aus Gothic 2“. Ich beim Bierholen in langer Schlange. Ivar auf der Suche nach der Toilette. Ivars Freund Magnus auf der Suche nach der Toilette. Ich beim Bierholen in langer Schlange. Ich und H. auf der Suche nach neuen Cover-Motiven. Ivar auf der Suche nach Magnus. Magnus auf der Suche nach Ivar. Ich, H. und Ivar beim Konsum von starkem isländischem Schnapps. Ich im zwanglosen Thekengespräch mit dem Berliner Umland. Lärmiger Ausstellungsraum voller betrunkener Isländer mit einem Haufen Spagetti auf dem Boden. Ich und H. im Strandbilder-Expertengespräch mit attraktiver Galeristin. H. im Fachgespräch mit Sicherheitspersonal: „Gehört der schlafende Hund zur Installation?“ Ich auf der Suche nach der Toilette. Ich beim Bierholen in langer Schlange. Ivar beim Umarmen von jedem neuen Gesprächspartner. Ich im Fachgespräch über die Möglichkeiten von fertigen Architekten auf dem Produktdesignerstellenmarkt. Ivar beim Vergessen sämtlicher Namen sämtlicher neuer Bekannter. Ich in langer Schlange vor dem Klo. H. auf der Suche nach Blättchen. Wankender Ivar inmitten einer betrunkenen Bande lauter Isländer. Ivar auf der Suche nach Zigaretten. Ivar an alle Zigaretten ausgebend. H. beim Bierholen in langer Schlange. Ich endlich betrunken.

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Teenage Dirtbäck

(Nach dem infamosen Erfolg der Backwarenserie, jetzt der große Heimatbäckerroman)

Sehen sie sich das Foto unter dem Artikel an. Wenn sie sich jetzt nach links wenden und die Hauptstraße bis zur großen Kreuzung hinauflaufen, dann stehen sie nicht nur vor dem Maibaum (falls er nicht gestohlen wurde), sondern zu ihrer Rechten befindet sich auch die Bäckerei Pfifferling. Stellen Sie sich nun vor, Sie wären wieder vierzehn und folgendes spielte sich ab:

Sie kommen mit ihrem roten Klapprad, das Sie Knight Biker getauft haben und dem Sie schwarze Punkte aufgesprüht haben, so dass es aussieht wie ein Marienkäfer, also Sie kommen mit diesem Fahrrad mehr angesprungen als angefahren, mehr angepfiffen als angerauscht. Den Bordstein vor der Bäckerei springen Sie mit Knight Biker und Bravour locker hinauf, hauen oben noch eine Vollbremsung und den anwesenden Kollegen einen Servus hin. Dann betreten Sie die Bäckerei Pfifferling, wo Sie der Bäcker Sepp betreten ansieht, weil schon wieder die grünen Frösche, welche Sie so unbändig gerne verzehren, ausständig sind. Als Surrogat muss Esspapier, die Brauseuhr und eine Speckschlange herhalten. Der Bäcker Sepp beugt sich über die Vitrine und sein unwahr wirkendes, ellenlang pomadiges Rockabillyvorderhaar trieft sanft über die Backwaren, während er nach ihn molestierenden Fliegen schlägt. Es ist Sommer in Grafentraubach.

In der Bravo trägt die Sängerin Sandra einen Minirock, darunter eine schwarze Nylonstrumpfhose mit weißen Ringelsöckchen darüber und sie selbst tragen weiße Tennissocken über der hautenganliegenden Stretchjeans. Draussen sitzen schon die Compadres und begrüßen Sie mit wenig virilen Spitznamen wie Wum oder Wende. Um 13 Uhr kommen die Mädchen aus der Schule aber Sie nennen sie nur unterkühlt „Die Weiber“. Ihre Freundin hat Nachmittagsunterricht und so berichten Ihnen deren Freundinnen, dass Sie von ihr in der Hauptschule Laberweinting mal wieder als „der Depp“ tituliert wurden. Das verweisen Sie freilich ins Reich der Legende und kaufen sich noch ein Calippo, reden mit „den Weibern“ über die neue Destruction-Platte und zeigen bei der Gelegenheit ihr bestes Stück, haha, die „Creeping Death“ Maxi von Metallica in grünem Vinyl, her. Alsbald stößt Ihre Freundin, die man landläufig Frieda Frosch nennt, zu der Gruppe, doch sie tut so, als kenne sie Sie nicht. Sie lassen sich Ihre Bestürzung nicht anmerken, kaufen noch einen Bazooka Joe (Kaugummi) und überlegen, ob sie Frieda nicht demnächst mit Schimpf und Schande vom Hof jagen sollten.

Zunächst aber sollen „die Weiber“ hingehen, wo der Pfeffer wächst, den Sie neulich statt Salz zum Tequila probiert haben. Jetzt wird erstmal mit den Compadres über Fußball gesimpelt, doch als die Rede darauf fällt, warum Sie am Mittwoch nicht im Training waren und dass der Pommern Franz, der Ex-Dorfpolizist von Mallersdorf und jetziger A-Jugend Trainer sich darüber mokiert hat, lenken Sie das Thema geschickt auf die Dorfbandenrivalität, die entstanden ist, weil der Hunze was mit der Rebecca angefangen hat, obwohl er doch noch mit der Leitner Michi beinander war und deren Bruder jetzt deswegen sauer ist.

So streicht der träge Sommernachmittag ins niederbayerische Flachland kurz vor der Oberpfalz und bevor Sie sich wieder auf den Weg zu dem auf dem Foto abgebildeten Ausgangspunkt machen, verabreden sie sich mit den Compadres und „den Weibern“ auch für den nächsten Tag wieder „beim Bäck“.

Stellen Sie sich das nur einmal vor.

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Besuch aus der Provinz

„I take my rage to town, I’ve come to tear you down.“

Seit Monaten habe ich darauf gewartet. Jetzt gehe ich in die Stadt hinunter. Vielmehr steige ich hinunter. Zu dem Pöbel, zu den ungerecht Thronenden und den ungerechterweise Enthronisierten. Euer Schnapps und eure Weiber, alles gehört jetzt mir. In bestechender Rücksichtslosigkeit werde ich euch schamanisieren und keinerlei Betreuung spenden, wenn jemand mein Lebensmodell gefällt. Ich scheiß auf jeden feuchten Händedruck, ich will euer Blut an meinen Händen sehen. Ich will, dass ihr euch fürchtet, ihr dort unten in eurer weiß angepinselten und abgewinselten Stadt, wenn der Mann mit dem schwarzen Herz aus den Bergen kommt. Schließt all eure Kneipen und Läden, stellt die Steinigungen ein, denn ab morgen trage ich das Feuer unter euch, und ihr Hundesöhne und Töchter werdet in Flammen aufgehen, wenn ich komme. Die Krüge hoch.

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Ein weißes Tanzkleid kommt

Mein umher lichternder Blick folgte solange den Lichtern die von der Decke auf den Boden stürzten, bis mir schwindlig wurde. Ich war ohnehin bereits angeschlagen von einem windumrauschten Freiluftkonzert, einer Erwärmung für Gin & Tonic und einer hartnäckigen Erkältung. Jedem Tag seine Ultima Ratio und so hatte es mich in das atomare Café verschlagen, um mich endgültig verstrahlen zu lassen und weil ich hoffte, dass das Mädchen mit dem Tanzlächeln mich nochmal heimsuchen würde.

Sie kam und schritt alsgleich zu Werke auf dem sprichwörtlichen Tanzboden der Tatsachen. Lächelnd, leise und von einer ästhetischen Logik, wie sie nur Frauen an einem windigen Tag wie diesem an die Nacht legen konnten. Ich drehte mich mit ihr, aber außer Sichtweite, ich verbarg mich unter den irren Lichtern und den ballonartigen Gesichtern ihrer Bewunderer. Erst in allerletzter Instanz kämpfte ich mich durch die Schlangen von servilen Hohlköpfen und sagte ihr etwas ins Ohr, an das ich mich bereits Stunden später nicht mehr erinnern konnte. Sie antwortete mit etwas, das ich nicht verstand und dann blies sie der halbwarme Münchner Fön hinfort in die Sendlinger Mordsnacht. Monate später sah ich sie wieder, da waren ihr Tanzlächeln und ihre Telefonnummer bereits vergeben.

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Friday Night’s Alright For Fighting

Eine eher larmoyante Woche verabschiedet sich in einen saftlosen Freitag. Eigentlich sollte ich ausgeruht sein, doch eine rauschhafte, nihile Müdigkeit hat sich meiner unlängst bemächtigt und passe ich einmal nicht auf, nimmt mich Morpheus in seine wiegenden Arme und taucht mit mir unter den Teich meines Bewusstseins, in dem es keine Inhalte, nur dumpfen Schlaf gibt. Lediglich beim Auftauchen streifen wir gelegentlich verfaulendes Algengewächs auf dem Weg in die Sickergrube meiner Erinnerung.

Als der Bürotag geht, kommt der Regen. Und er ist im wörtlichen Sinne nassforsch. Er watscht mir das Gesicht ab, er löchert mein Hemd und er treibt mich zurück in meine Residenz über dem Nordstrand, der auch schon mal illustrer aussah. Morpheus klingelt, aber ich mache nicht auf, soll er seine Broschüren anderen Insomnösen andrehen. Ich klettere in mein Cockpit aus Spuren, Samples und VST Plugins und streiche den Freitag abend dunkelblau mit Songtexten wie diesem:

She says: hang on in there. I know she don’t. I thought she would. And I wish I could.

In Verleumdung jegliches Lebens ausserhalb dieser Wohnung verstricke ich mich immer tiefer in dem einzigen was ich gerade mal einigermaßen kann. Als ich fertig bin, fehlt mir die Stimme und die Lust den Tag so enden zu lassen. Ist es doch meine hehrste Aufgabe, sich allzeit der Gezeiten zu erwehren und das unmögliche möglich zu machen. Was in diesem Falle heisst, nochmal Berliner Nachtluft inhalieren, bis einem schwindlig wird.

Gegen eins schwimme ich in einem Thymianvollbad, gegen halb zwei treibe ich schon durch den von Regen entweihten Prenzlauer Berg. Ich bin halbseiden mit einer alten, viel zu jungen Liebschaft verabredet und als sie nicht in dem Klub auftaucht, bin ich luxuriös erleichtert. Eine sympathisch toxidierte Menge Engländer, Iren und Deutsche bewegen sich sehr unpeinlich zu großartiger Musik. Modest Mouse. Art Brut. Maximo Park. Und überhaupt: Alright, don’t worry we’ll all float on. Die Mädchen sind überwiegend hübsch und überwiegender verstört, prächtig anzusehen, so wie die Jungs die sie ausführen.

Die chemische Reaktion zwischen Wodka und dem Energiegetränk beginnt und das Blut fängt an, leise zu rauschen. Über der Tanzfläche thront ein Teufel ohne Kokain. Nur er, sein Drink und seine Lust am Überleben. Ich forme ein großes Herz mit den Gedanken und zersteche es mit meiner Biestigkeit. Ich gefalle mir in der Rolle des Ausschwärmenden. Aber auch in der Rolle des Heimkehrers. Und in der Rolle des stetig Fallenden und ewig Steigenden. Kurzum, ich bin betrunken. Auf dem Nachhauseweg sehe ich nach, ob meine Band noch im Café um die Ecke lebt und trinke noch einmal auf den Triumph der Nacht über den Tag. Als ich am Nordstrand ankomme, steht Morpheus schon frierend vor der Tür. Ich schließe ihm auf und lasse ihn seine Arbeit verrichten.

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Hellwach

Nie weile ich im Wachen. Mein ganzer Weg ist ein Traum. Das Wetter und ich selbst, wir sind uns viel zu viel. Ich rufe in den kalten Wind, wo ein Flüstern meinen besten Freund mimt und mich entlang dieses lilienbestückten entrückten Pfads führt.

Wohin wir gehen, weiß immer erst der Morgen. Wir beschreiten einfach weiter diese weiten, leeren Alleen. Wir kriechen über Straßen wie auf Wolken. Wir fließen mit Millionen von anderen Füßen, tasten uns im Dunklen voran und finden doch nur den düsteren Tag.

Ewig windet sich der Weg, müde, schlaflos weiter.

(frei übersetzt nach Saves The Day – In My Waking Life)

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Der erste Reiter

Mein ätzzüngiger Komilitone C. und ich spotteten uns gerade fröhlich durch die Regensburger Studentenlandschaft, beneideten die BWLer um ihre fatalen Hühner, erlebten linguistische Bummer von ehemals im Irrenhaus einsitzenden Anglistikdozenten, ritualisierten jeden Tag die Next Generation von Star Trek mit einer kräftigen Bong, hörten und machten und stritten vor allem über die Definition von Punkrock, schimpften alle Studenten Wixer und benahmen uns auch sonst überwiegend peinlich.

Just zu dieser Zeit begann die unheimliche Siegesserie des österreichischen Tennisspielers Thomas Muster. Bereits 1989 befand sich Muster auf dem Vormarsch an die Spitze der Weltrangliste, doch bevor er seinen ersten Grand Slam gegen Ivan Lendl gewinnen konnte, wurde er rechtzeitig genug von einem Auto angefahren. Bereits 1990 holte er sich jedoch Turniersieg nach Turniersieg und über den ATP geprüften Rasen dieser Welt braute sich noch weit schlimmeres Unheil zusammen.

1995 erlitt Muster im Halbfinale eines Turniers in Monaco einen Zusammenbruch, gewann das Match aber und besiegte am nächsten Tag Boris Becker im Finale. Ab da gab es für den blonden Racketlackl kein Halten mehr. Muster gewinnt als erster und einziger Österreicher die French Open gegen (Michael Chang) und übernimmt im Februar 1996 das Ruder über die Weltspitze im internationalen Tennis. Die Nummer eins der ATP Weltrangliste.

Mit vor Entsetzen triefenden Mündern wurden C. und ich unfreiwillige Zeitzeugen der Siegermaschine Muster, der personifizierten österreichischen Unsportlichkeit. Auch wenn ich Boris Becker heutzutage für einen ausgemachten Schwachkopf halte, am Centercourt war er eine Persönlichkeit, leider eine, die der Dampfwalze Muster nicht nur einmal unter die Räder kam. Für uns war der Triumphzug dieses Fleisch gewordenen Schmetterballs ein deutliches Zeichen für das Verludern und Verlodern der bestehenden Weltordnung und wie seiner Zeit Johannes erkannten wir nun deutlich die Zeichen.

Und ich sah, dass das Lamm das erste der sieben Siegel auftat, und ich hörte eine der vier Gestalten sagen wie mit einer Donnerstimme: Spiel Satz Sieg, Muster. Und ich sah, und siehe, ein weißes Leiberl. Und der darin saß, hatte ein Racket, und ihm wurde eine Schale gegeben, und er zog aus sieghaft und um zu siegen.

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