Und dann war ich in Moabit, am Kriminalgericht. Endlich verspricht ein Gebäude mal nichts, was es nicht auch halten kann. Architektur der ewigen Schuld. Erdrückung durch Wilhelminismus ist das Urteil, das schon mal grundsätzlich an alle ergeht, die hineingehen. Die, die ihr eintreten wollt, lasset alle Hoffnung auf genug Tageslicht fahren. Das erste elektrisch beleuchtete Gebäude in ganz Berlin, sagt Wikipedia. Mir hat sie auf Anhieb gefallen, die andauernde Anwesenheit von Drakonie, der unsubtile Anklang von höherer Strafgewalt. Falls jemand fragt, ich selbst stand nicht zur Anklage und Zeitzeugen für Volksverdummung wurden an jenem schneeverhangenen Dienstag im Januar auch nicht aufgerufen. Die eigene Schwester inmitten eines juristischen Referendariats mit der ersten Verhandlung war der Grund für meinen Auftritt vor Gericht. Der Fall selbst, ein dichter Milieuplot mit überraschenden Twists. Eine sich selbst zerstückelnde Zeugin, ein ganz wiefer, harter Burschido und ein Staatsanwalt, der fast vergaß, dass man sich als Zeuge nicht selbst belasten muß. Macht ja nix, weil stehen ja nur Biografien auf dem Spiel so einer halbstündigen Verhandlung. Quasi Fertiggericht, weil’s schnell gehen muss. Und dennoch ist es Burschido und der Zeugin mit den Neonazipostern grade recht geschehen. Und schon auch traurig die meisten Listen mit den Namen der Vehandlungssache und der Uhrzeit. 10:20 ausländischer Name, 11:15 türkischer Name, 11:50 türkischer Name. Man fühlt sich ja schon schuldig, das überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, aber Melancholie, schlechtes Gewissen und Naivitäten sind hier unter Angestellten schwer verpönt, sagt man mir. Anderthalb Stunden später wieder im freien Tageslicht, lastet das Kriminalgericht noch ein wenig auf dem bis dato arglos bürgerlichen Gemüt. Der Cappuccino im Kaffee gegenüber kostet 2,80 und ist viel zu groß. Altmoabit ist am Leben. Das Kriminalgericht und die JVA sind gar nicht wirklich da, wenn man nicht hineingeht.
Unterwegs
Die ganze verdammte Show
Vielleicht hat es sich ja schon rumgesprochen, dass ich ein ausgesprochener Wrestling-Nerd bin. Ich rechtfertige das jetzt auch gar nicht, denn ich weide mich ja auch wie ein Schwertransporterunfallgaffer jeden Donnerstag an den faschistoiden Platitüden der Popstars-Jury. Ich bin kulturell quasi eh nicht mehr zu retten. Was ich aber berichten möchte ist, dass ich am Freitag einfach mal so von Berlin nach Regensburg gefahren bin, um mir eine Wrestling-Veranstaltung in der Donauarena anzusehen. Ich wollte so ein bisschen The-Wrestler-Ambiente, also nicht das teure und überzogene Produkt der WWE (World Wrestling Entertainment). Aber genug von Fachsprache.
Die Arena sieht so aus, als würden 5000 Leute reingehen, immerhin weiß ich aus meiner Studentenzeit, dass nach der Eröffnung mal Bryan Adams da gespielt hat. Selbstverständlich war ich nie in der Halle, weil man ja nicht gerne zu Andre Rieu oder Lord Of The Dance geht. Auch nicht zu Bryan Adams. Kamen mit dem Taxi aus dem Etap-Hotel, also frisch aus der Plastiknasskammer, kann man sagen. Statt 5000 Leuten sind nur knapp 300 da. Und von denen werden die unter 16-Jährigen einfach nach Hause geschickt, weil der Stadtrat am Vorabend beschlossen hat: Showcatchen ist nichts für Kinder, auch nicht mit Erziehungsberechtigung in Anwesenheit, weil Catchen und Gewalt und so, kann man sich ja denken. Also letztlich ein recht trauriges Bild: 300 Leute in der 5000er-Arena. Auf dem Weg zum Sitzplatz am Ring sitzt da Bret Hart an einer Bierbank und gibt Autogramme. Bret Hart, der Hitman, The Excellence Of Execution, Idol meiner Kindheit und ein paar zerquetschter Pubertätsjahre. Sitzt da und lässt die Autogrammstunde über sich ergehen. Sieht wahnsinnig müde aus, der Mensch. Und man glaubt ja immer, dass man bei Menschen nach einem Schlaganfall genau sehen kann, dass der Mensch einen Schlaganfall hatte. Weil komische Bewegungen und so. Bildet man sich vielleicht aber auch nur ein. Wir diskutieren eine halbe Ewigkeit, ob man sich in der Autogrammschlange einreiht, dann tun wir es und ein Baseballcap vor uns ist direkt Schluss mit Autogrammstunde, sagt die vollgasverlebte Tourmanagerin.
Ein paar Jägermeister später sitzen wir am Ring und alles leer, man hätte sich auch in die erste Reihe sitzen können, aber nicht dass man noch Blut ans Hemd bekommt, falls die Kollegen sich einen Bladejob gönnen. Schon wieder Fachjargon, aber heisst so, wenn sich die Wrestler mit einer versteckten Rasierklinge ins eigene Fleisch schneiden. Geht also los mit ein paar Spaßkämpfen mit eher weniger bekannten, aber auch unabgehalfterten Gesellen. Dann ein Frauenkampf mit einer Deutschen namens Alpha-Female oder so ähnlich. Prolletierte Tribal-Uschi mit Bierbauch gewinnt. Braucht kein Mensch, auch nicht mit drei Jägermeister und zwei Weißwein in der Hirse. Irgendwann dann Bret Hart mit Ansprache an die deutschen Fans, seine Lieblingsfans angeblich. Schon wieder die vermeintlichen Schlaganfall-Bewegungen beim Einstieg in den Ring. Dann eine Minute Ansprache, hallo, langer Flug, bin so müde und muss jetzt wieder gehen. Irgendwann dann auch noch Midget-Wrestling. Halbwüchsige hat mir David Lynch echt mies gemacht. Habe dauernd das Gefühl, beobachtet zu werden. In der Pause wird ja dann Bier geholt, um die Tristesse der Veranstaltung zu kompensieren. Wir stellen uns vor, wir sind beim Bierzelt-Catchen. Und plötzlich ist der Spaß da. Im sogenannten Main Event dann tatsächlich mit Rob Van Dam ein echter Star des Gewerbes, der sich überraschend viel Mühe gibt, gemessen an der Tatsache, dass der gerade vor weniger Publikum spielt als The Ram. Hardcore Match. Stühle. Tische. Schön.
Jetzt ist Zeit für die Altstadt. Alles Christkindlmarkt und Deko. Kein Ausweg aus der Vorweihnacht. Keine Ahnung wo man heutzutage in Regensburg hingeht, deshalb wie all die langen Jahre zuvor in die Nummer Sieben. Brechende Völle da und überhaupt die Weiber auf hundertachtzig so flirtmäßig. Der Christian arbeitet da immer noch, das beruhigt mich enorm. War mal mit einer Ex-Freundin von mir zusammen. Das hat uns immer so ein bisschen verbunden insgeheim. Bild ich mir wahrscheinlich nur ein. Der mitangereiste Kollege beordert mich mit strenger Hand um zwei Uhr nach Hause und gottseidank, weil ich grade mit Wodka und Bombay Sapphire schon wieder dabei bin, meine leichte Erkältung in einen schweren Rausch umzuleiten. Dann der rassistische Taxifahrer zum Etap-Hotel an der Autobahn. Zwei Ibuprofen und Wasser vor der Heia, weil Kopf am nächsten und halb 8 klingelt der Wecker, zurück nach Berlin und das restliche Wochenende tot.
Paris
Ich war diesen Sommer in Paris.
Man muss wissen, dass ich in meinem ganzen Leben noch nie in Paris gewesen bin, von Zwischenstops am Charles De Gaulle mal abgesehen. Und jedes Mal, wenn ich vorhatte, jemanden aus meinem Freundeskreis dahin zu lotsen, hieß es: kenn ich, war ich als Kind, ist stressig und gar nicht so überragend. Die Vorstellung, da alleine hin zu fahren, behagte mir aus sozialromantischen Gründen nicht, also blieb ich daheim oder flog zum 130. Mal nach Barcelona. Jetzt bin ich aber verheiratet und hatte zeitgleich dazu im Sommer Geburtstag und hab mir von meiner mir angetrauten Mitbewohnerin diese Kurzreise gewünscht. Und mir kann man ja eh nichts abschlagen.
Zu der Zeit hat mich mein Ischias noch dermaßen gepeinigt, dass an ausgiebige Stadtrundgänge eigentlich nicht zu denken war. Meine Neugier (und das Ibuprofen) setzten sich letztlich aber durch und wir rannten im Hürdenlauf über die Kuppeln von Montmartre, ließen uns bis runter an die Seine fallen, affenzahnten durch den Louvre und kletterten wieder zurück auf den Place De Clichy und das drei Tage hintereinander. Jetzt lach nicht, aber der Eiffelturm hat ziemlich beeindruckt und ich war schon froh, dass unser altes Staatsoberhaupt damals bei der Besichtigung der eroberten Denkmäler sinngemäß gesagt hat: „Ach, das brennen wir doch nicht nieder. Muss halt Berlin noch schöner werden.“ Wir wissen ja, was draus geworden ist.
Aber das sind alles nur Nebenschauplätze, weil nämlich zwei ganz wichtige Sachen in Paris passiert sind. Am ersten Tag nahm ich noch eine Schmerztablette für meinen Ischias, am zweiten eine halbe, am dritten keine mehr und danach bis heute nie wieder, zumindest nicht mehr für meinen Rücken. Und das ist jetzt ein paar Monate her. Paris war also ein bisschen mein Lourdes. Und dann hab ich am ersten schmerzfreien Tag seit anderthalb Jahren, dem Sonntag, mein schönstes Stadtfoto aller Zeiten geschossen. Subjektiv gesehen, ist eh klar. Was nicht meine Schuld war, sondern die vom Licht in Paris. Und dieses Licht ist mir wegen dem Foto und dem Ischias in Erinnerung geblieben und wird es vermutlich den Rest meines Lebens bleiben. Was ich vom Essen nicht hoffe, denn da hab ich mir schon wieder den Magen verdorben mit so einem Kartoffelsalat. Ähnlich wie in Rom mit dem Tintenfisch. Aber das gehört jetzt wirklich nicht hierher.
Zwischenstand
Ich war ja neulich wieder mal in München und da ist mir Folgendes aufgefallen:
Wenn man in München ausgeht, tut man das im Gegensatz zu Berlin immer eher mit einer positiven Grundeinstellung. Man geht also davon aus, dass man heute Abend noch Spaß haben wird. In Berlin geht man einfach nur aus. So wie man Lebensmittel einkaufen geht. Muss halt sein.
Die Münchner geben sich auch mehr Mühe mit ihren Kneipen und Clubs. Da gibt es Mottos und Dekos und die verrücktesten Cocktails, während in Berlin im Prinzip eine Theke und ein paar Becks ausreichen.
Die Münchner scheinen mir auch flirtwilliger, die Leute in Berlin flirten nicht, die ficken halt gern. Am besten ohne vorher nett sein zu müssen.
Die Münchner wissen zudem immer ganz genau, was in ihrer Stadt so alles los ist und können auch sehr genau benennen, warum sie ihre Stadt so lieb haben. Die Berliner kaufen sich bestenfalls die Zitty, wissen aber sonst nie wann grade was ist und oft ist es ihnen auch egal, weil sie einfach in die Bar gehen, die am nächsten an ihrer Wohnung liegt. Die Berliner sagen auch nicht, warum sie Berlin so schön finden, denn so viele Gründe würden ihnen ja auf Anhieb gar nicht einfallen.
Die Münchner erzählen gerne, wenn irgendwo in der Zeitung stand oder im Fernsehen kam, dass München zur Zeit die aufregendste Stadt Deutschlands ist, während die Leute in Berlin in ihrem partiellen Irrglauben, das wäre Berlin, nichts erschüttern kann.
Münchner machen einen andauernd auf das gute Wetter und die tolle Sicht auf die Alpen aufmerksam, während Berliner nur über den Winter und die Kälte schimpfen.
Sinai
Und dann eben auf dem Sinai gewesen. In Ägypten, dann aber doch wieder nicht in Ägypten. Irgendwie. Grauenvolle Anreise mit einem bis unters Dach vollgestopften Trombosebomber (Zitat Rod Gonzales) von Air Berlin, das sind die mit dem Kerosin im Blut. Angekommmen und sofort unter 200 Touristen vom Campchef erkannt worden, in einen Jeep umgetopft und zwei Stunden ab durch die Wüste, vorbei an Dahab und bei Nuwaiba ab ins Lager, das sinnigerweise RockSea hieß. Ich vermute mal, es handelt sich nicht um einen Zufall, dass die 18jährige, allen Beduinen den Kopf verdrehende Tochter des Hauses auch Roxy gerufen wird. Dufter Typ, unser Campchef namens Micha. Früher mit Atze Schröder unterwegs aber aus gottgegebener Duftigkeit die Komödiantenkarriere gegen ein Dasein am Roten Meer eingetauscht.
Wir also mitten drin in der Wüste und gleichzeitig am Korallenriff geparkt. Mit Blick aufs gegenüberliegende Ufer des Golfs von Akaba, 20km weiter nach Saudi-Arabien. Hier wird geschnorchelt sagte man uns und geschnorchelt wurde dann auch. Bereits am ersten Tag ohne Taucherbrille schlitzte ich mir an der Koralle das halbe rechte Bein auf und ging fortan nur noch sporadisch ins Wasser. Mit Taucherbrille. Das ist dann so, als taucht man im Berliner Zoo-Aquarium. Ziemlich freakige Fischshow. Oder fischige Freakshow. Wie auch immer, wenn einem dann wie meinem Kollegen Juri ein kindsgroßer weißer Fisch widerfährt, fragt man sich gelegentlich schon, ob es die Natur hier noch gut mit einem meint. Ähnliche Fragen warfen die am Eingang zum Riff lauernden Feuerfische auf und geradezu menschenverachtend gebärdeten sich die ortsansässigen Moskitos, die sich pünktlich zum Schlafantritt in einer gut organisierten Streit- und Stichmacht aufgestellt hatten, um unsere Blutarmeen bis auf den letzten Tropfenmann aufzureiben. 40 Stiche zählte ich mal eines Morgens auf dem Rücken des Kollegen.
Dabei haben wir weder denen noch sonstwem noch überhaupt irgendetwas getan, sondern lagen die gesamte Woche auf der zutiefst faulen Haut, alternierend lesend, wattend (für die Preußen: bayerisches Kartenspiel) und schlafend. Nachts dann, mit den Füßen fast in den Wellen, zu Abend gegessen: Sagenhafte Pizza vegetarisch von Beduinen interpretiert. Ägypter haben wir ohnehin nur an den zahllosen militärischen Checkpoints gesehen, sonst nur Beduinen. An besagten Checkpoints standen dafür jeweils ca. 8 schwerbewaffnete Menschen, von denen sich jeder autark für sich ganz genau überlegen durfte, ob er die Eintreffenden denn nun durchwinkt oder nicht. Und es waren nicht die einzigen Zeichen staatlicher Willkür, denen man in einer Woche begegnen konnte. Diverse Augenzeugen berichteten von mitunter blutigen Zusammenkünften zwischen ägyptischer Polizei und Beduinen. Ein Konflikt, zwischen dessen Fronten man nicht geraten möchte. Nicht zuletzt deswegen, weil vor ein paar Jahren (u.a. im Nachbarcamp) ein paar Bomben ein paar Leute zerlegt hatten.
Zerlegt hat uns allahseidank lediglich der mitgebrachte Ouzo und das ausgezeichnete linzenzgebraute ägyptische Stella. Meine Güte, was für ein super Bier, nicht wie das belgische Stella, sondern süßlich wie bayerisches Helles. Ein Lager zum vielmaligen Einlagern in die eigene Leber. An einem der Abende wo wir nicht den Vollmond aufgehen sahen und in den Wellen dinierten, fuhren wir mit dem Campchef in seinem Jeep auf eine neu fertiggestellte Burgruine mit Pool, Tanzfläche, Luxusapartement, Edelküche und Schatzkammer. Das Ding hoch auf einer Klippe über einem riesigen Sandstrand den der ägyptische Entrepreneur gleich mit gekauft hat. Man kann überhaupt sehr viel kaufen da unten, wenn man den Klingelbeutel aufmacht und die Augen davor verschließt, dass jede weitere Bombe den eh schon spärlichen Tourismus am Sinai weitere 15 Jahre in der Zeit zurückwirft. Wie der Beduine an sich, 500 Höhenmeter unter uns so eine Örtlichkeit empfindet, ich möchte es gar nicht wissen. Robert De Niro war wohl vor kurzem da gewesen und hatte sich noch geärgert, weil man ihn von Sharm El Sheikh aus 2 Std durch die Wüste verschleppt hatte, nur damit er in einer falschen Ruine sein Bier trinken darf. Überhaupt ist das ein seltsames Land, dieses Ägypten. Einerseits rasseln die Ketten des Tourismus so laut, dass man bald nichts anderes mehr hört, andererseits wird man als Tourist per se als Ungläubiger wahrgenommen und ohne den Ansatz eines schlechten Gewissens nach Strich und Faden verarscht. Wobei ich die Beduinen und freilich unsere Campfamilie explizit ausnehmen will.
Nach einer Woche wars dann aber auch genug mit mittelos im Mittlerem Osten, denn auch wenn ich mal dachte, dort wo es nie regnet, kann es nur super sein, hab ich mich tatsächlich über das schaurige Wetter in Berlin gefreut. Bevor wir das allerdings in Empfang nehmen konnten, wurden wir noch fast verschleppt. Zumindest war mir so, als unser an sich liebenswerter Raybantragender Taxifahrer Saad mitten in der Wüste angehalten hat und uns zwang in einen fremden Wagen einzusteigen. Gut, war sein zutiefst freundlicher Bruder, der den Rest der Strecke zum Flughafen weiterfuhr, aber hätte ja sein können. Als wir uns dann wenige Stunden später in der Air Berlin Schlange in Begleitung von Heerscharen ledergesichtiger und herummaulender hässlicher Deutscher widerfanden, tat uns jedes schlechte Wort leid, das wir über die Araber verloren hatte. Die Kulturen mögen grundverschieden sein und die meisten Länder dieser Welt unzivilisierte Wallachei, aber Arschlöcher sind sie überall zu gleichviel Prozent.
Runterkommen
Dann mal wieder in Barcelona gewesen. Abends in dieser Fischkneipe, die Italienern gehört. Die Eltern waren nicht mehr in der Lage, das Restaurant weiter zu führen und es war so gut wie geräumt, aber dann ist doch der Sohn und seine Frau eingesprungen. Es gibt da diesen fruchtigen Weißwein aus Galizien, der aber nur in dieser Fischkneipe so brutal mundet. Der Laden liegt fast am Hafen, gerade noch so im Gotico, eigentlich fast im Borne. Er ist mehr Zimmer als Restaurant und sieht mehr nach Imbiß als nach Ausgehen aus. Tellerweise Fisch bestellt. Tellerweise frittiertes Gemüse und immer wieder dieser fruchtige Wein und ein Kräuterschnaps hinterher. Zwei Zigaretten, ein Taxi und ein tiefer Schlaf. Ansonsten bei gleißendem Sonnenlicht über den Montjuic gewandert und die nächsten Abende schon wieder Glück mit Essen gehabt. Sonntag Abend das erste Mal in meinem Leben Julia Roberts gut gefunden. Bei Duplicity haben sie die Bilder und die Dialoge geschliffen, bis alles erstrahlt. Wie ein neuer Oceans’s 11. Herr Gilroy ist nicht von irgendwoher ein Soderbergh-Spezl und der Michael Clayton-Regisseur. Dialogwitz ist überhaupt neben Essen und Frauen eine der ganz schönen Sachen auf der Welt. Und Thomas McCarthy ist ein großartiger Schauspieler, das hat er schon in der Journalisten-Staffel von The Wire bewiesen. Und dann heute morgen nach Berlin. Orkanartige Wetterfolter, eiskalt und die Krupps im Fernsehen. Kann man doch nicht machen mit jemandem, der in strahlendem Sonnenschein in Barcelona im 7. Stock aufgestanden ist und die Welt noch glänzend gesehen hat.
Das Seebad. Eine Verärgerung.
Es ist genauso bizarr, sich dem Koloss zu nähern, wie sich von ihm zu entfernen. Am ersten Tag kommen wir mit dem Auto über die Straße nach Prora und dieses Urvieh von einer Urlaubskaserne gruselt uns mit seinen verfaulenden Betonarmen entgegen. Am zweiten Tag wandere ich zu Fuß aus Binz und nähere mich von der Meerseite. Das ist noch bedeutend gespenstischer. Man schlägt sich vom Strand ganz Lost-mäßig durch ein Waldstück, plötzlich steht man auf einer steinernen Lichtung mit verfallenen Treppen vor einer der längsten Fassaden Europas, übersät mit zerbrochenen Fensterscheiben wie mit Narben. Die Vegetation auf der Strandseite ist völlig verwildert.
Der eigentliche Spuk offenbart sich aber erst im Innern eines der Blöcke, die der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Wohlgemerkt meine ich nicht das Dokumentationszentrum, das scheint integer zu sein. KdF-Museum schimpft sich die Alternative dazu. Darin befinden sich dauerhaft schauderhafte Ausstellungen. Die eine widmet sich dem Gebäude an sich und dem KdF-Leitmotiv als solches, die andere stellt NVA-Devotionalien aus und dann stehen da noch ein paar Motorräder aus der DDR rum. An der Kasse frage ich nach einem Journalistenrabatt und der Mann hinter dem Counter faselt etwas von einer rücksichtlosen Presse, die ihn und seine Ausstellung schäbig behandelt hätten. Spiegel und Konsorten hätten ihm gar rechte Propaganda unterstellt. Da wird man natürlich hellhörig. Der Einführungsfilm tut wenig mehr als das Funktionalgebäude per Zeitzeugen zu loben und der Jugendliche in der Thor-Steiner-Jacke nickt andächtig dazu. Eine Menge Nazikram hängt rum. Organigramme der Hitlerjugend, ein Prospekt zu „Jud Süß“, alte Zeitungsmeldungen und diverse kontextlose Nazi-Devotionalien. Auf dem offenbar liebevoll bestückten, detailgetreuen Modell des Seebads an der Prorer Wiek stecken NSDAP-Käsehäppchen-Fähnchen ohne Hakenkreuz, aber das Kraft-durch
-Freude Logo wurde respektvoll nachempfunden. Von Reflektion keine Spur. Einen Gang weiter sind sie DDR Motorräder ausgestellt.
Wäre ich mir der Dubiosität dieser Veranstaltung noch nicht gewahr, spätestens im zweiten Stock spränge sie mir ins Gesicht. NVA galore mit Uniformen, Waffen, Broschüren, dazu ein bisschen Marschmusik und ein Film über Waffenmanöver mit einem martialischen Titel, den ich sofort wieder verdrängt habe. Ein Freund und meine Frau sind schon ein wenig eher mit der Besichtigung durch und fragen den Mann an der Kasse, warum man hier so unreflektiert und ohne den Hauch von Aufklärung Nazischmarrn und Militärpropaganda aufreiht.
„Wenn Sie das so sehen.“, raunzt der Mann an der Kasse sichtlich beleidigt. Man kann also wirklich nicht sagen, dass hier verantwortungsvoll mit deutscher Geschichte umgegangen wird, um so mehr erstaunt es mich, dass das zuständige Land – in diesem Fall Mecklenburg-Vorpommern – noch nicht interveniert hat. Wollen sie nicht oder können sie nicht? Die Ausstellungen sind privater Natur, das Gebäude ist es ganz sicher nicht, obwohl Teile davon mittlerweile unter anderem an unbekannte Investoren veräußert wurden. Mindestens ein Block soll ja unter Mitfinanzierung des Bundeslandes zur idyllischen Jugendherberge umgerüstet werden. Wie man hört, ist die Instandhaltung des Monsters der reinste Geldstaubsauger. Da vermietet man dann auch gerne an halbseidene Geschichtszündler. Ich will nicht wieder per se auf dem Ostdeutschen herumreiten, aber eine Sympathie für DDR- und Naziregime zugleich scheint mir ein deutliches Symptom der intellektuellen Verödung zu sein. Aber vielleicht liegt es ja auch am Inseldasein.
Wenn man von der Gebäuderückseite zurück zum Ostseestrand geht, durchquert man wieder das kleine Wäldchen und landet auf einem dermaßen idyllischen Streifen Sand und Meer, so als wäre nie was gewesen. Und das ist eigentlich bei all den Verdrängungsärgernissen das Schlimmste.
Los Angeles
And there’s a certain light in L.A.
(David Lynch)
Palm Springs dient als nervenberuhigendes Präludium für L.A. Ich sitze nachts am erleuchteten Motel Pool. Um mich herum, auf den Straßen in den Höfen und Gärten: Palmen und nochmals Palmen. Ein paar Felsen ragen im Hintergrund in die Szenerie hinein, doch nachts sieht man sie nicht. Alles um uns herum ist Wüste. Sternklarer Himmel, 27 Grad und zwei Sternschnuppen mit einem langen Feuerschweif und einem dramatischen Verglühen im kalifornischen Nachthimmel. Palm Springs. Mit Sicherheit einer der wärmsten, angenehmsten, großzügigsten und schönsten Orte in den USA. Fünfziger Jahre für immer. Eine einzige wundervolle Momentaufnahme.
Aber wie gesagt nur das Vorspiel zu L.A., dem amerikanischen Ruhrpott, wollte man eine ausschließlich straßenverkehrstechnische Parallele ziehen. Tatsächlich hat man das Gefühl, L.A. beginnt 100 Meilen bevor man seine Stadtgrenze passiert. Innerhalb derselben angekommen, bin ich erstmal einem Kanye-West-artigen Tobsuchtsanfall nahe, weil das Hotel, das ich gebucht habe, zusätzliche Parkgebühren von 24$ von uns haben will. Das ist übel, dafür, dass wir unmittelbar am internationalen Flughafen residieren. Dass die Parkplätze in West Hollywood nicht für Appel/Ei zu haben sind, ist mir eh klar, aber am Flughafen, ich bitte dich. Natürlich symptomatisch für L.A. Eine Stadt, die nur per Auto zu durchqueren ist, verdient eben an ihren Parkplätzen und mein Glaube an die Machbarkeit von unendlichen gratis Parkplätzen auf dieser immensen Stadtfläche erweist sich als sehr naiv. Tatsächlich ist es eine Ungeheuerlichkeit, dass bei teilweise 8-spurigen Freeways (in eine! Richtung) und Tonnen und Abertonnen von Autos die Car Pool-Spur meistens freie Fahrt gewährt. Und um die zu benutzen, muss man lediglich mehr als eine Person pro Auto sein. Die Quintessenz möge nun der Leser selbst ziehen.
Doch nicht alles am Verkehr dort ist beunruhigend. Es herrscht mitunter eine Rücksicht vor, von der man als gemeiner (und das meine ich wörtlich) Europäer nur träumen kann. Der US-Autofahrer ist zwar meist zu dumm zum Einfädeln, aber er gibt sich immerhin alle Mühe und nimmt jede erdenkliche Gelegenheit wahr, um es dir zu ermöglichen. Mal in der Spur geirrt und schnell nach rechts rüber? In L.A. kein Problem, in Berlin nur unter Drohungen machbar, in München lebensgefährlich und in Köln ist kein Platz dafür. Nicht zu vergessen, dass man auch bei roter Ampel rechts abbiegen darf, aber wenn ich jetzt von Berliner Ampelschaltungen anfange, sitzen wir bei der nächsten Emmy-Verleihung noch hier.
Eine Beschäftigung mit dem lokalen Verkehr ist leider auch bitternotwendig, will man nicht den ganzen Tag im Sheraton Gateway sitzen und den Fliegern beim Starten und Landen zusehen. Ein weiser Mann (vermutlich ich selbst) hat mal gesagt: „In L.A. braucht man mindestens 20 Minuten zum Ziel und maximal zwei Stunden.“ Die angesprochenen 20 Minuten brauchen wir schon mal bis zum ersten Stau wegen Unfall kurz vor’m Santa Monica Beach. Nach weiteren 20 Minuten sind wir dann da und schauen uns auf der Promenade um. Ein paar Skateboarder, ein paar Badetouristen aber überwiegend Normalos, Anwohner und Inner City Ausflügler auf einem Areal, das genauso nach Baywatch aussieht, wie man es befürchtet und er(hassel)hofft. Ein wenig später werden wir uns natürlich auch die Freakshow am Venice Beach gönnen, inklusive Bodybuilder in freier Natur und urbanem Herumgehopse einer öffentlichen Tanzveranstaltung am Strand.
Nach nur zwei Stunden L.A., müssen wir bereits ein wenig Abstand nehmen und unsere Stadtflucht improvisiert sich in einem Besuch des Getty Museums in den Santa Monica Hills. Der verrückte alte Ölmann mag kurz vor Ende seiner Lebzeiten noch eine Menge Leute vergrault haben, sein Rückzug hat sich aber architektonisch rentiert. Ein erstaunlich geschmackvolles und dennoch prunkvolles Reservoir für europäische Kunst vergangener Jahrhunderte steht da oben und wir oben drauf und blicken das erste Mal auf L.A. in seiner Gesamtheit. Man kann von hier aus kaum Downtown sehen, obwohl es nur ein paar Viertel entfernt liegt. Das liegt nicht ausschließlich an der Smogglocke, sondern einmal mehr an der grotesken Ausdehnung dieser Stadt. Hat mich bei meinem ersten New York-Besuch vor zehn Jahren noch die schiere Höhe verängstigt, so ist es hier die Breite.
Eine Zerfaserung von Stadtteilen kennen wir ja aus Berlin zur Genüge, aber wie diese Stadt zerfällt, um dennoch als homogenes Urbanereignis ohne Schuttgürtel zu bestehen, grenzt an ein Wunder. An ein Wunder grenzt auch, dass wir später inmitten des Trubel um den Walk of Fame am Hollywood Boulevard einen Parkplatz für umsonst finden. Nicht natürlich, ohne vorher ehrfürchtig den etwas verranzten Sunset Strip entlang vorbei am Rainbow und Whiskey A Go Go’s per Stop’n’Go zu kriechen und uns zu erinnern, dass mal so etwas wie eine musikalische Revolution von L.A. ausgegangen ist. Sleaze- und Glamrock, mit Guns N Roses als populärste Vertreter. Leider wurde die Revolution von ihren eigenen hirnamputierten Kindern nach wenigen Jahren aufgefressen. Und wer überlebte, hat entweder keinen Erfolg (Mötley Crüe), keinen Drive (Aerosmith), keine Freundin (Brett Michaels) oder überhaupt keine Band mehr (W. Axl Rose). Und eigentlich auch keine Daseinsberechtigung.
Aber zurück zum Hollywood Boulevard. Die wenigen erhaltenen Theater der goldenen Zeit sind trotz unabgeschlossener Renovierungsarbeiten noch ansehnlich und sehr atmosphärisch. Das Kodak und das Chinese Theater lassen tatsächlich den Glamour vergangener Dekaden und Dekadenzen aufblitzen. Ich filme mit Vergnügen einen Mann im Batman-Kostüm und freue mich über eine dramatische Geste samt Umhang, bis mir meine Frau erklärt, dass der Mann nur deshalb seine Maske mit dem Umhang verdeckt, um nicht gagenfrei gefilmt zu werden. Ich wähle alternativ einen Gene-Simmons-Wiedergänger (in voller Montur), der in einer Pause seine lange Zunge um einen Bagel mit Frischkäse wickelt.
Es ist schon Nacht geworden und ich halte es für eine gute Idee noch ein bisschen in den Hollywood Hills herumzukurven bis man eine gute Stelle mit Blick auf das Hollywood-Zeichen erwischt. Ich muss zwei Dinge feststellen. Man sieht das Scheißding eigentlich nur von sehr wenigen Stellen aus, selbst in den Hills steht nach jeder Kurve eine kleine Villa oder eine Felswand und versperrt die Sicht. Zudem ist das Scheißding nachts offenbar nicht beleuchtet, was ich gar nicht glauben kann, schließlich beleuchten sie bei uns zuhause in Bayern doch jede Kleinstdorf-Sakristei rund um die Uhr. Na gut, dann eben über die Hills und far away zum Mulholland Drive. Doch auch der ziert sich. Obwohl der Mulholland gesamt Beverly Hills und West Hollywood in luftiger Höhe umzirkelt, ist er nur von wenigen Querstraßen der „Innenstadt“ aus zufahrbar. Am Ende unserer Serpentinen-Odyssee durch die Hills stehen wir vor einer vergitterten Privatstraße, aber immerhin erhaschen wir zwischen den Villen einen Blick auf die Lichter der Großstadt, wie man so schön sagt und in unserem Fall auch ziemlich schön sieht. Ich muss an die Nachtaufnahmen aus Lynchs Mulholland Drive denken.
Den folgenden Tag verbringen wir erneut zu einem großen Teil im Auto. Wir fahren raus nach Malibu und plötzlich sind wir wieder auf dem Highway 1, wo unsere Rundfahrt vor 1,5 Wochen begonnen hat. Man muss nicht viel zu Malibu sagen. Die Strände sind traumhaft und in den Hügeln stehen die passenden Villen dazu. Ich kann es keinem Klinsmann, Bob Dylan oder Thomas Gottschalk verübeln, sich hier ein Domizil zu gönnen. Leider ist die Getty Villa schon geschlossen als wir ankommen, aber selbst vom Boden der Tatsachen sieht das cäsarische Anwesen surreal aus. Ein hervorragendes, wenn auch beiläufiges thailändisches Abendessen in Chinatown und ein paar sonntäglich gemächliche Schritte durch ein gespenstisch leeres Downtown samt seiner Wolkenkratzer beschließen den Tag. Den Abend werde ich hauptsächlich am Hotelpool und vor der Glotze zubringen. Los Angeles überfordert mich und meine kaputte Hüfte auf Dauer.
Am letzten aktiven Tag unserer USA-Reise halten wir uns überwiegend in den Universal Studios auf. Überteuert, ein wenig albern, aber nostalgisch genug, um sich zu amüsieren. Ein neuer „Thrill Ride“ kombiniert die Hydraulik eines Wagons mit einer komplett animierten 3D-Umgebung. Besagte Umgebung ist das Springfield der Simpsons und das Krustyland ist wohl die halsbrecherischste Gauklerei der Welt. Und das obgleich unsere Gondel keinen Millimeter an Strecke zurückgelegt hat. Irgendwann (spätestens nach der grotesken Waterworld-Show) ist dann aber auch wieder gut mit Jubeltrubel und an diesem späten Hollywood-Nachmittag entkommt mir der Mulholland Drive kein zweites Mal, nehme ich mir vor.
Wir spazieren noch ein bisschen am Melrose Place herum und fahren den Rodeo Drive entlang, weil meine Frau sagt, da kauft man ein, wenn man wirklich nichts mit H&M und Zarah anfangen kann, aber dann ist das Licht gut genug, um über den Coldwater Canyon Drive auf den Mulholland zu stoßen und sich die Definition eines „scenic drive“ in aller Gemütsruhe anzuschauen. Und das ist tatsächlich sein Benzingeld wert. Auf der einen Seite der schmalen, sich um die Hügel schmiegenden Straße blickt man ins San Fernando Valley in seiner konträren Friedlichkeit, auf der anderen liegt einem gesamt L.A. und vordergründig Hollywood zu Füßen. In der Ferne ist die ehemalige Immobilienwerbung, die wir als Hollywood-Sign kennen, angebracht. Ein Erdrutsch hat einst den Zusatz (Hollywood)Land abstürzen lassen. Weit weg sind die Kapitalen, scheinbar unerreichbar, sogar schwer in die Kamera zu bekommen und wie ich vorher schon angedeutet habe, keineswegs omnipräsent. Wir fahren in der Dämmerung zurück zum Flughafenhotel, aber das Licht dieses letzten Tages in L.A. wird mir noch lange in Erinnerung bleiben. Am nächsten Tag um vier Uhr früh beginnt eine Rückreise, die ich gerne vergessen möchte.
Las Vegas
Es wird ganz langsam Nacht über der Wüste. Auf dem Weg nach Vegas sehen wir ein Gewitter, Blitze und Tonnen von Wasser über den fernen Rocky Mountains niedergehen. Dann einen Regenbogen kurz bevor die Sonne sich hinter die Felsen verzieht. Als der Verkehr auf dem Freeway dichter wird und wir den Stratosphere-Turm sehen können, ist es bereits Nacht. Ein paar Minuten später fahren wir den Strip in seiner ausgewachsenen Länge bis zum anderen Ende, fast bis zum Flughafen. Dort thront das Mandalay Bay und eins daneben wohnen wir: im Luxor, im 20. Stock. Ein Hotel, bei dem die geringste Besonderheit ist, dass es aussieht wie eine Pyramide und eine originalgroße Sphinx den Eingang bewacht. Ein Hotel, das seinen Gästen zumutet, eine halbe Stunde an der Rezeption in einer 50m langen Warteschlange zu stehen und dann aber noch 15 Minuten von der Lobby bis zum Zimmer zu benötigen. Ein Hotel ohne Facilities, aber dafür mit Platz für eine Latte an Shops und Restaurants, wie sie sonst nur in einem Einkaufszentrum Platz finden. Dabei ist das Luxor noch ein harmloser Witz gegen die Gigantomanie eines Caesar’s Palace, das einzige Hotel bei dem ich mich in der Lobby verlaufen habe und erst nach einer halben Stunde wieder den Ausgang gefunden habe.
Die Hotels sind eh eine Stadt für sich. Viele sind über Gänge, Rolltreppen oder Trambahnen verbunden. Man geht manchmal kilometerlang durch die Lobbys der Hotels ohne Tageslicht zu sehen. Die in erster Instanz alle gleich aussehen, weil man vor lauter Spieltischen und einarmigen Banditen kein Inteurier mehr erkennen kann. Die in zweiter Instanz die bizarrsten Malls darstellen, die ich kenne (Behold, Alexa!). Eins ist Venedig, das andere Paris, das dritte das antike Rom, im vierten wuchert die Karibik, unseres ist eine Pharaonenstadt und das sechste ist ein Nachbau von Manhattan. Egal, welches man besucht, es sind Shopwälle, die sich vor einem auftürmen. Und ich frage mich anfangs: wie soll ich gleichzeitig nachmittags am Pool der kolossalen Badelandschaften entspannen, shoppen gehen, Shows besuchen und nebenbei noch mein Geld verspielen? Ich glaube, das nennt man Überangebot.
Schnell stellt sich heraus, dass einen im Verlaufe eines Vegas-Tags und vorausgesetzt man ist kein Spieler nur noch wenige Dinge interessieren. Rumlaufen, den Kopf schütteln und sich dann schnell wieder vor den Fernseher legen. Na gut, den Banditen ein bisschen die Hand schütteln, geht. Und dann bekomme ich für meinen 2 Dollar Einsatz 10 wieder und ärgere mich, dass ich nicht 100 eingeworfen hab. In einem Satz das gesamte Businessmodell für Glücksspiele erfasst. Und weil man es nicht den ganzen Tag aushält in der Stadt und schon allein die Musik die überall her zu kommen scheint, muss man raus in die Wüste.
Und zum Hoover Dam. Eine Art Deco Wucht von einem Staudamm, der den unbezwingbaren Urzeitfluss namens Colorado River zwingt, 7 Staaten mit Wasser zu versorgen und Gebiete, die so unfruchtbar sind wie Mondlandschaften in Prachtgrundstücke zu verwandeln. Der Hoover Dam teilt nicht nur Nevada und Arizona, er unterteilt auch in zwei verschiedene Zeitzonen. Ein paar Meter links ist es also später als hier wo ich grade stehe. Die bauen da zudem gerade eine Brücke über den Canyon, die Staaten, die Zeitzonen. Ich muss an Bob Mould denken, der mal gesungen hat:
standing on the edge of the Hoover Dam
I’m on the centerline/right between two states of mind
Vegas hat mich zu kaputt gemacht um noch 5 Stunden bis zum Grand Canyon South Rim draufzupacken und der Hubschrauberflug dahin ist zu teuer, Dollarkurs hin, Weltwirtschaftskrise her. Somit noch eine Nacht in Vegas, die Füße und der Schädel tun mir weh, aber ich kann nicht aufhören zu gehen und vor Ungläubigkeit den Kopf zu schütteln. Der Wahn ist ein schöner, aber wirklich schön ist nur das Bellagio. Die Wasserspiele kannte ich bisher nur aus Ocean’s 11, aber in Wahrheit hat das eine sehr echte und anschauliche Erhabenheit.
Vorbei ist bald die Zeit der Themenhotels, Pyramiden und Eiffeltürme. Das Stardust und das Boardwalks sind schon seit 2006 Geschichte und es wird nicht der letzte Traditionskomplex sein, der fällt. Die Baustellen für die neuen Luxushotels (Citycenter und Echelon Place) überflügeln schon jetzt auf halber Höhe ihre Vorgänger in Ausmaß, Luxus und Kühle.
Kalifornien
The sea was red and the sky was grey
I wondered how tomorrow could ever follow today
The mountains and the canyons
Started to tremble and shake
As the children of the sun began to awake.
(Led Zeppelin – Going To California)
Ich warte noch bis ich aus San Francisco raus bin. Und dann noch ein bisschen länger, bis ich meinen Navigationsfehler berichtigt habe. Als ich dann endlich auf dem Highway One einfädle und das erste Mal die Küste sehe, setze ich meine Aviator auf und mach das Radio laut. Ich glaube, es ist George Clinton. Aus dem Staunen kommst du ja nicht mehr heraus in diesem Staat. Wär ich Küsten-DJ, ich würde Südfrankreich spielen, dann ein bisschen Amalfi, einen Hit aus Kreta und natürlich die irische Westküste. Dann würde mir jemand die kalifornische Küste leihen, ich würde sie auflegen und sie klänge wie eine Greatest Hits aus allen Küstenstrichen die ich kenne. Wahnwitz, ist das ein Idyll. Zu Tausenden winden wir uns an Adriaküsten oder auf Mallorca und hier ist alle 2 km ein nahezu gottverlassener Strand mit der vierfachen Kapazität und dem rauen Charme, den wir an öffentlichen Badestränden immer vermissen. Dass da keiner ist, liegt auch am arschkalten Pazifik, aber wer muss schon ins Wasser, wenn er in den Himmeln baden kann?
In Santa Cruz stoppen wir und gehen ins Kino. Eins aus den dreissiger Jahren. Sieht aus wie im alten Ägypten und das sollte nicht die letzte Ägypten-Reminiszenz in diesem Urlaub sein. Aber am nächsten Tag dann wieder weiter, die Küste entlang, ab jetzt statt Motown Vinyl Rock Classics im Satelliten-Radio. Allman Brothers, Alice Cooper, Hendrix, Jethro Tull, vor allem Led Zeppelin (Going To California), ein einziges niemals endendes Gitarrensolo. Dazwischen Steve Miller Greatest Hits 74-78, allein der Name war den Kauf wert. Zudem ein Album aus den Salattagen meiner musikalischen Prägung. Wir halten in Carmel By The Sea, wo keine Neonreklame angebracht darf und der Strand wohl in etwa noch so aussieht wie bei der Erstbesiedlung. Wo Clint Eastwood Bürgermeister war und Ernest Hemingway und Jack London die Seelen durchhängen ließen. Wo ich die besten Donuts meines gesamten Lebens in der Bäckerei gekauft habe.
Der Abschied von der Küste kommt bald, denn im Landesinneren gibt’s ja auch das ein oder andere zu sehen. Den Abschluss unserer Küstentour bildet die Big Sur Region und fuck, das ist mir fast zu pittoresk. Meine alteuropäischen Sinne funktionieren nicht in solchen Größenordnungen. So wie ich New York als Stadt kaum begreife, erfasse ich auch diese Natur in ihrer vollständigen Schönheit nicht.
Auf der Fahrt ins Landesinnere streifen wir noch ein wenig Wine Country, das man spätestens seit Sideways nicht nur vom Hörensagen kennt und legen uns an den Pool in Fresno, bevor Yosemite am Morgen des nächsten Tages in seiner surrealen Pracht wie aus einem kitschig gemalten Hollywood-Backdrop erstrahlen darf. Und wenns vorher Best Of Küste war, dann sind wir jetzt bei Best Of Berge. Wir mit unseren Alpen und Pyränen. Und wenn New York aussieht wie von einem Könner bei Sim City, dann waren auch hier höhere Strippenzieher am Werk und mir ist schon klar, warum der Kalifornier gerne von God’s own Country spricht, auch wenn ich persönlich keine spirituellen Chefs neben Kid37 und Elvis akzeptieren möchte.
Ach, Eastern Sierra, ach Lake Isabella, ach Death Valley. Ach überhaupt. Und dann die ältliche deutsche Aussteigerin am Lake Isabella, die sich vor den vielen blitzenden Lichtern der Ballungsgebiete ängstigt und der die Tatsache stinkt, dass ein paar verblendete Jungspunde wie wir tatächlich nach Vegas wollen. Wollen wir aber und dafür fahren wir mit 6 Gallonen Wasser bewaffnet auch durchs Death Valley, wo man sich tatsächlich einen Storch braten könnte, setzte man ihn auf die Motorhaube eines schwarzen Dodge ohne Klimaanlage.
Das sind Landschaften, über die ich nicht berichten kann. Wüsten. Das Beste. Mehr fällt mir nicht ein, ausser dass das Cover der ersten Sealevel auch aus Death Valley kommt. Mein Gott (huch jetzt fang ich auch schon an), ist das ein Land. Aber bevor wir mit Palm Springs und L.A. einen würdigen Kalifornien-Abschluss zustande bringen, müssen wir einen Umweg über Nevada machen. Denn da liegt Vegas. Und auf dem Weg dahin werden wir noch ein bisschen Auto fahren. Mit meiner Aviator, dem Vinylsender und einem weiteren, der nur 90er Jahre Grunge spielt. Immer schön easy riden.