Don’t Fear The Reaper

Fürchtest du den Wechsel der Jahreszeiten, dann fürchtest du den Wechsel im Allgemeinen. Dann fürchtest du den Tod, dann fürchtest du dich selbst. Das denke ich, als ich mit dem Fahrrad durch das Dunkle rase, ohne darauf zu achten, wohin es geht. Ohne darauf zu achten, worum es geht, wenn ich blind in die Dunkelheit schieße.

Ich denke an den einen, den tödlichen Sommer, den wir nur überlebten, weil wir die Stadt verließen. Ich denke an den Geruch von Tod, der den ganzen Sommer lang in der Luft hing. Dieser süßliche Verwesungsgeruch, an den wir uns fast gewöhnt hätten. Ich denke daran, wie sehr wir zusammenhielten und uns um den anderen sorgten. Wir zogen uns an den Haaren durch die glitzernden Wochen an den gefährlichen Ufern der Isar. Und als es kalt wurde, aber die Hitze nicht mehr aus den Steinen der alten Stadt wich, gingen wir weg, so heimlich wie wir gekommen waren.

An deinem letzten Abend warst du ganz ruhig. Ungewöhnlich besonnen. Man konnte sehen, dass dich deine Furcht verlassen hatte. Ich war krank am morgen meiner Abreise. Wir trafen uns wieder in diesem Koloss aus Staub und Stein und gingen gemeinsam getrennte Wege. Immerhin hatten wir uns das Leben gerettet, das reichte für einen Sommer. Diesen einen tödlichen Sommer, der sich in einen tödlichen Herbst verwandelte, in einer anderen, noch viel gefährlicheren Stadt. Und doch fürchte ich nicht den Wechsel der Jahreszeiten. Ich sehne ihn herbei. Ich fürchte weder Tod noch Teufel, wie man so schön sagt. Ich fürchte nur den Stillstand, er ist es, der mich wie ein Besessener durch die blinde Nacht rasen lässt, in der Hoffnung, endlich meiner Angst zu begegnen.

matala.jpg

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Texte

Jürgen

Es macht Spaß, die kurvenreichen Straßen des Berglands an der östlicheren Südküste Kretas zu befahren. Links neben uns liegt ein ausladendes und für Kreta ungewöhnlich grünes Tal und rechts türmen sich die Berge des Umlands von Pirgos, schroff, aber hochsommerlich gelassen. Ich singe Del Amitris „Always The Last To Know“ vor mich hin, einen belanglosen Poprocksong aus den Neunzigern. Entschlackt man die Musik von Produktion und Pathos und lässt nur Text und Melodie über, erhält man ein trauriges kleines Lied über eine entwischte Liebe und eine schwindende Informationspolitik.

We spent summers up beyond the bay
And you said these are such perfect days
That if the bomb drops baby, I want to be the last to know
But now youre living up behind the hill
And though we share the same city and feel the same sun
When your winter comes
Ill be the last to know

An dieser Textstelle bin ich angelangt, als ich aus dem Augenwinkel zu meiner Linken am Rande dieses grünen Tals ein Schild mit der Aufschrift „Safari Park“ wahrnehme. Ich fahre daran vorbei, aber im Rückspiegel sehe oder besser erahne ich einen verfallenen Vergnügungspark und einen hochragenden, ausgetrocknetem Springbrunnen, der selbst aus der Entfernung morbide in seinem Abglanz florierenderer Zeiten wirkt. Ich sage zu Tim: „Achtung, ich wende.“ und er fragt mich wieso und ich sage: „Du wirst Augen machen.“ Und ich spreche es eher als Floskel, denn als ernst gemeinten Appetitmacher auf den Safari Park aus, weil ich glaube nicht, dass der sanfte Tim meine Vorliebe für Verfall und das Leben danach uneingeschränkt teilen wird.

Verfolgungswahn

Wir suchen niemals die Dinge, sondern das Suchen nach ihnen.
Blaise Pascal

Wir verfolgen das Endspiel. Danach verfolge ich den Plan, in ein Leben nach der WM einzudringen. Ein paar Drinks mehr und wir verfolgen Mädchen, die uns mit Hilfe der Polizei abhängen und uns unabsichtlich in eine Feier locken, aus der heraus ich eine Halbgöttin in Weiß verfolge und sie zurück bringe. Ein alter Song von Mary J. Blige folgt uns nach Hause und Dr. D. tanzt, wie wir es nicht für möglich gehalten haben. Erinnerungen aus dem hohen Norden und dem tiefen Süden folgen uns in den wüsten Osten und am Ende verfolgen wir dieselben Ideale wie gestern, aber dazwischen erfolgt jede Menge Spaß. Ciao, WM-Zeit, du wirst uns noch lange in unseren Erinnerungen an dieses Jahr verfolgen.

nb_damm.jpg

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Fußball

Die Gewalt und das Verlangen

nb_lightning.jpg

Ich bin ein giftiges Gemisch aus Gewalt und Verlangen an diesen Tagen. Ein Brodeln. Die Hitze treibt die Wut und das Wollen aus den Poren. Die Haut tropft und ist zum Zerreissen gespannt. Die Gewalt und das Verlangen, die Hitze und die Wut, es zerreisst den Tag, es zerreisst die Nächte. Es kühlt nicht ab. Und es soll nicht mehr.

Es droht Gefahr an jeder Ecke, ich hab ein Gespür, eine Nase für Gefahr. Nur das Gespür nicht verlieren. Du gehst auf Zehenspitzen durch Straßenschlachten, du trinkst einen Kaffee auf den Schauplätzen der Brutalität, du zettelst sie an und mogelst dich an ihren Auswüchsen vorbei, während ich inmitten der Tumulte stehe. Ich will etwas wollen, was andere geben, ich will nichts spendieren, ich will nur noch einholen. Das Arschloch, das die Faust in die verregnete Dämmerung schlägt, damit ihr euch wundern könnt, euch abwenden, weil ich inmitten des Gewitters, statt mitten unter den Unterstand suchenden stehe.

Ich bin ein giftiges Gemisch aus Gewalt und Verlangen an diesen Tagen. Ein Brodeln. Die Hitze treibt mich an wie einen Motor und sie treibt mich zum Wahnsinn. Niemand beruhigt mich, nicht einmal Sufjan Stevens. Nicht einmal ich beruhige mich. Ich zerreisse den Tag, ich zerreisse die Nächte und der Regen kommt zu spät, es kühlt nicht ab. Und es soll nicht mehr.

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Texte

Da draußen

Schüler: Lehr mich den Weg der Befreiung.
Meister: Wer bindet dich?
Schüler: Niemand.
Meister: Warum dann Befreiung suchen?

(Buddhistische Weisheit)

Es gibt ein Leben da draußen. Manchmal nehme ich daran teil und manchmal nicht. Manchmal, wenn ich daran teilnehme, habe ich immer noch das Gefühl, dass ich kein Teil davon bin. Dann trinke ich, arbeite ich und ficke ich wie alle Anderen und habe immer noch das Gefühl, kein Teil der Menge zu sein. Wenn ich dann kein Teil der Menge bin und weder ficke, arbeite noch feiere, dann fühle ich mich wie ein Tourist in einem Land, dessen Gepflogenheiten ich kaum kenne und keineswegs beherrsche.

Es ist wie Urlaub in Lorette De Mar mit zwanzig. Man sagt mir, hier blüht der Exzess, hier kannst du Sex finden, hier regiert der Spaß. Und es ist wie verhext, aber ich kann nicht dabei sein. Es geht einfach nicht. Obwohl ich zuhause in Regensburg trinke wie ein Vieh und den Röcken erfolgreich hinterher jage, ich kann nicht einsteigen ins Lorette De Mar Gefühl. Ich stehe da und blicke aufs Meer und die Lautstärke der Anderen bedrängt mich nur.

Ich frage mich, ob ich jemals aufhören werde, mich fremd zu fühlen. Ob ich jemals Herr der Gesamtlage sein werde. Ob ich jemals nicht das Gefühl haben werde, dass etwas ganz Großes an mir vorbei zieht. Ob ich jemals sagen kann: Das bin ich und ihr seid kein Teil davon, ohne das geringste Verlangen, ein Teil von euch zu sein.

Es gibt ein Leben da draußen. Komm und hol es dir, sagt man mir. Sei ein Teil davon. Und während so viele denken, ich sei das Leben da draußen, so bleibe ich doch hier drinnen und denke, sie sind es und ich werde es nie sein. Nichts davon ist wahr, nichts davon ist falsch. Alles was passiert, passiert einfach und wir alle sind ein Teil davon.

wedd.jpg

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Texte

Hasch mich, ich bin dein Urlaub!

Liebe Leser,

gesetzt den Fall, Euer St. Burnster würde im Juli gerne in Urlaub fahren/fliegen und wäre einem günstigen Pauschalurlaub nicht abgeneigt, wo würdet Ihr ihn hinschicken, wenn Ihr nichts Böses mit ihm im Schilde führtet?

Ich bereise ja gerne Griechenland und da hat sich Rhodos in Punkto Preis und Leistung zumindest im Internet bisher anständig verhalten. Gleichzeitig schwärmen mir ja meine Erzeuger gerne von Mallorca abseits der Bierschädel vor. Zudem sagt man, dass auch Ägypten seinen Reiz habe und Kroatien das neue Venezien sei.

Das Meer sollte auf jeden Fall in dem Urlaub vorkommen, genauso wie ein Hotel mit Pool, ein paar Bars und ein paar Mädchen unter 65. Nur so zum Hallo sagen, versteht sich.

Jetzt seid Ihr dran, liebe Leser. Zeigt Euch endlich mal erkenntlich dafür, dass ich euch seit über einem Jahr so bärig und reisserisch unterhalte.

Ich zähle auf Euch. Hochachtungsvoll,

Euer St. Burnster

PS: Wo bucht man überhaupt? Bei Expedia? Bei Wikipedia? Pauschalreisenjungfrau bin ich.

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Unterwegs

Schwabing ist tot

schwabing.jpg

Außen. Vor der Haustür eines Altbau Mietshauses. Der Stadtteil Schwabing in München.

MAX holt Umzugskisten aus seinem Auto und schleppt sie mühsam zu Hauseingang. Sein Freund PHIL hilft ihm schweigend. Die HAUSMEISTERIN kommt hinzu.

HAUSMEISTERIN
Sie, Herr Sommer. Passen’s fei auf, dass Sie nichts heraussen stehen lassen, wenn Sie die Wohnung einräumen. Nichts unbeaufsichtigt lassen. Da treibn sich ganz finstere Gestalten rum mittlerweile in Schwabing.

MAX (mit Umzugskiste auf dem Arm)
Aha.

HAUSMEISTERIN
Ja, ja. Weil Sie müssen wissen, dass des alles nimmer so ist wie früher. Seit diese ganzen Ausländer sich’s an der Münchner Freiheit bequem gmacht haben, ist Schwabing fürchterlich runtergekommen.

MAX
Soso.

HAUSMEISTERIN
Ja, ja. Ich würd ja an Ihrer Stelle sofort des Schloss auswechseln. Wer weiß ob Ihr Vormieter ned noch an Schlüssel hat.

MAX (stellt die Umzugskiste ab)
Wer war denn mein Vormieter?

HAUSMEISTERIN
Der Herr Al Sahif. Ein ganz Gschlamperter. Der hod seine Pflanzen imma in der Badwann zücht. Wahrscheinlich war’s a Haschisch. Nehmen Sie Haschisch, Herr Sommer?

MAX
Iwo, Frau Bäumel.

HAUSMEISTERIN
Mei, in den Siebzigern, da hat man des alles halt mit so einer Leichtigkeit genossen, aber jetzt mit den ganzen ausländischen Drogendealern… des is alles ganz kriminell jetzt. (brüllt) Lanka, gehst jetzt endlich her du Miststück!

(Ein großer Mischlingshund kommt um die Ecke)

MAX (zu Phil)
Jetzt hau ma noch den Fernseher naus und dann sperr ma den Wagn erstmal zu.

PHIL
Jawohl, Chef.

HAUSMEISTERIN
Wissen’s, die Lanka hob ich in Sri Lanka kennengelernt. Eine ganz junge Hundedame war sie… und heimatlos. Ich habs damals net mit nach Deutschland nehmen können, weil’s der Hubert verboten hat. Aber dann hab ich die Frau Schlüter, Ihre Nachbarin, hingeschickt mit Geld für den Zoll. Und die hat die Lanka dann hergeholt. (brüllend zum Hund) Gehst jetzt her, du blede Kuh.

MAX
Sie, Frau Bäumel, ich muss jetzt wirklich wieder a bisserl was arbeiten. Verstehen’s schon, gell?

HAUSMEISTERIN
Ja, aber eines sag ich Ihnen. Wenn Sie recht laut sind, dann muss ich bei Ihnen klingeln. Des Haus ist sehr hellhörig und mein Balkon liegt genau gegenüber von Ihrer Wohnung. Ich hab mei Balkontür immer offen. Sie sind ja hoffentlich kein Musiker.
(geht zum Umzugsauto und guckt hinein. Sieht Gitarrenkoffer)
Spielen Sie ihre Gitarre lieber im Englischen Garten bei den anderen Studenten.

MAX
Freilich.

HAUSMEISTERIN
Also, dann viel Glück in Schwabing. Es is ja nimmer des was einmal war, brauchen’s nur die Clemens Strasse da nunter gehen, da werdn Sie sich wundern, was sich da für Leut rumtreiben. Des ist nicht mehr die Boheme, die ich kenne. Schwabing ist tot, Herr Sommer. Schwabing ist tot.

MAX
Aha.

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Texte

Tensfelder gibt Gelb

Mein guter alter Freund Fons Tensfelder hat euch was zu sagen und ich könnte mich in den Arsch beissen, dass ich ihn nicht als regelmäßigen WM Kolumnisten angestellt habe. Na ja, er ist ja auch ausgeschämt teuer. Pro Artikel einen Kasten Kneitinger. Das würde sich läppern.

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Fußball

She’s Got The Whole World..

Dein Blut gefror manchmal wie der Mond
in der unausschöpflichen Nacht breitete dein Blut
seine weißen Flügel aus über
die schwarzen Felsen, die Schatten von Bäumen und Häusern
mit einem schwachen Schein aus unserer Kinderzeit

(Giorgos Seferis)

Als du da warst, ging es mit dem Land bergab. Kein Mensch vertraute mehr auf die Regierung. Niemand baute mehr auf die einstige Stabilität unseres Systems. Unsere Leute wurden arbeitslos und eine große Depression machte sich breit. Das Ausland wunderte sich, warum wir als ehemaliger Motor plötzlich all unseren Antrieb einbüßten. Wir ermüdeten und erlahmten schließlich ganz. Matt und ausgebrannt, voller Mißtrauern und mit leeren Mägen lagen wir am Boden der neuen, schrecklichen Tatsachen und konnten keinen Schritt mehr gehen. Uns kamen die Ideen abhanden und gingen die Visionen verloren. Es waren Jahre, in denen Altbauten verfielen und Neubauten nicht mehr zuende geführt wurden. Die große Sicherheit, die wir kannten, war von uns gewichen. Niemand wusste warum und wie schnell das geschehen konnte. Ich habe es erst erkannt, als es zu spät war. Wir beide hatten die Geschicke dieses Landes in unserer Hand und die Geschichte nahm ihren Lauf, der uns alle in eine tiefe Rezession stürzte.

Jetzt wo du weg bist, erblühen langsam ein paar neue Gedanken. Wir haben wieder angefangen zu bauen, wir sprechen wieder von der Zukunft, ohne dabei in den Boden zu starren, wir gehen wieder aus dem Haus, ohne Angst zu haben. Das Land liegt noch darnieder, aber es ist gerade dabei sich zu erholen. Wir haben Federn gelassen und doch bildet sich im Lauf der kommenden Jahre wieder ein Paar Flügel. Jetzt wo du weg bist, spielen wir sogar wieder ordentlichen Fußball.

engel.jpg

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Texte

Die Liebe

Seine Weg führt ihn durch das halbhohe Gras, vorbei an den wie zufällig aufgestellten Grabstätten. Miniaturmausloeen, Grabsteine mit Gittern umgeben und brüchige Gedenktafeln säumen seinen Weg durch das halbhohe Gras. Der Flieder blüht und riecht und ein einzelner Mann mit verkniffenem Gesicht und Gieskanne kommt ihm entgegen. Es ist still, der Lärm des Biests dringt hier nicht herein. Sein Weg durch das halbhohe Gras führt ihn auf eine Gruppe von Bäumen zu. Sie sind so angeordnet wie eine Allee und trotzdem bezeichnet der Boden keinen Weg, nicht einmal einen Trampelpfad. Die hohen Bäume halten für ein paar Momente das Sonnenlicht fern von ihm und ihre Formation leitet ihn geradewegs auf ein großes steinernes Kreuz zu. Dort vorne, wo das Kreuz steht, ist Sonnenlicht.

Er war ziellos durch die Stadt gewandert, weil er an die Sonne musste. Er hatte sich selbst versprochen, öfter an die Sonne zu gehen. Er fand die Stadt schäbig und verstörend, er fand sich selbst schäbig und verstört. Er suchte nichts, er ließ sich treiben. Er wählte seine Straßen nach Intuition aus. Und so verschlug es ihn auf diesen Friedhof und er wusste nicht was er suchte.

Er vollendet den Weg durch die Baumreihen hindurch, er erreicht das lichtgetränkte Kreuz und liest die Inschrift, die auf dem Querbalken steht.

Die Liebe höret nimmer auf

Und er versteht genau, dass das kein leeres Versprechen sein kann. Er versucht, irgendetwas von diesem Versprechen auf seine Biografie anzuwenden, doch er findet nichts, was Gutes verheissen könnte. Trotzdem versteht er etwas und geht weg von dem Kreuz, den Bäumen und diesem gefährlichen Satz. Die Karten sind neu gemischt, denkt er als er sich auf den Heimweg macht.

liebe.jpg

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Texte