All Things Go

I fell in love again
all things go, all things go
drove to Chicago
all things know, all things know
we sold our clothes to the state
I don’t mind, I don’t mind
I made a lot of mistakes
in my mind, in my mind

(Sufjan Stevens – Chicago)

Samuel wacht auf und denkt, dass heute noch etwas passieren wird. Er weiß nicht was, vielleicht ist es auch etwas Unangenehmes, aber irgendetwas wird wohl passieren. Er steht auf und sieht aus dem Fenster. Wenn man nicht genau hinschaut, kann man meinen, der morgendliche Himmel über der Stadt sehe aus wie immer. Doch da ist ein kleiner Unterschied. Die Luft ist dicker, man kann sie anfassen und die Sonne strahlt in diesen Haufen Luft hinein, so dass ein schwerer explosiver Ball aus Sonne und Luft im Himmel hängt. Es ist sehr heiß, aber Samuel weiß, dass es das immer an den Tagen ist, an denen endlich etwas passiert.

Als er auf die Straße geht, erscheint sie ihm wie ausgestorben. Er muss schon ein paar Meter laufen, bevor er jemanden trifft. Sein Bäcker hat geöffnet, da ist auch jemand drin. Im Büro läuft ihm der Schweiß aus den Poren und tropft auf seine Tastatur, während die Sonne durch die dicke Luft schießt und am Asphalt ankommt und ihn glitzern lässt. In seinem Postfach steckt ein Brief von Martha, in dem sie schreibt, dass sie heiraten wird. Er ignoriert die Information, denn es muss ja noch etwas passieren. Das kann es nicht gewesen sein. Der Tag war ja noch nicht einmal bei der Hälfte angekommen.

In der Mittagspause setzt sich Samuel ans Flussufer und trinkt Limonade aus einer Dose. Sein Mobiltelefon steckt halb in seiner linken Hosentasche und als er aufsteht, rutscht es ihm aus der Tasche und fällt in den Fluss. Samuel ist verärgert, doch er versucht die Begebenheit als Bagatelle einzustufen. Schließlich wird heute noch etwas viel Größeres und vielleicht sogar etwas Positives passieren.

In den folgenden Arbeitsstunden kann er sich schlecht konzentrieren, weil er daran denken muss, wie Martha, seine Martha, in einem weißen Hochzeitskleid aussieht. Er würde gerne Niko davon erzählen, aber er hat ja seine Nummer nicht mehr. Nach der Arbeit beschließt er, nicht nach Hause zu gehen. Er kann sich sowieso mit niemand verabreden, deshalb lässt er sich jetzt in die Stadt und in die Nacht hineintreiben. Anstatt die U-Bahn zu nehmen, geht er zu Fuß und durchquert drei, vier Viertel und passiert ihre zahllosen überlaufenen Straßencafes. In der Nähe seiner Wohnung ist ein Straßenfest. Er lehnt sich an einen Stand mit mexikanischem Bier und beginnt, zu trinken.

Nach einer Weile kommt er mit dem Mädchen, das an dem Stand ausschenkt, ins Gespräch. Er fühlt sich müde und ein wenig unsicher, weil er seit heute Morgen einen unangenehmen Pickel am Hals hat. Er hofft, sie sieht ihn nicht. Sein Gesprächsfluss ist träge und er will eigentlich nicht reden, eigentlich will er nur ficken. Sie hat schwarz gefärbtes Haar, das in einem kleinen Pferdeschwanz zusammengebunden ist. Sie trägt einen Jeansrock mit einer dümmlichen Bestickung am Hintern, aber ihre Beine sind weiß und lang genug. Samuel entschuldigt sich kurz aufs Klo und als er zurückkommt, ist das Mädchen in ein Gespräch verwickelt, das nicht mehr aufzuhören scheint. Sie wirft ihm auch keinen Blick zu, der ihn vertrösten könnte. Also geht Samuel.

Er hat Hunger und bestellt sich in einem Imbiss ein Gericht mit Zwiebel und trinkt dazu Bier und Jägermeister. Am Ende muss er dauernd aufstoßen, hat klebrige Finger und ist ziemlich betrunken. Er würde jetzt gerne Martha in New York anrufen und mit ihr über diese verschissene Hochzeit sprechen. Doch er hat ja kein Telefon und keine Nummern mehr. Samuel geht nach Hause und auf dem Weg dorthin, lässt er an einer Häuserecke die Hose runter und pisst auf die Straße. Es sind ein paar Passanten unterwegs, aber niemand nimmt wirklich Notiz. Mit heruntergelassener Hose stolpert Samuel die letzten paar Meter bis zu seinem Haus, wo er noch seine Emails abrufen will, doch niemand hat geschrieben. Er geht zu Bett und hofft, dass morgen endlich etwas passiert.

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The Town And The City

Ein allegorisch arg eklektisches Potpourri zum ewigen Thema Land & Großstadt. Lässt nicht nur stilistisch zu wünschen übrig. Zitate aus Kerouacs gleichnamigen Erstlingswerk erspare ich den Lesern. Stattdessen Musik in Worten:

Feels good to be here again
In the cool air and the driving rain
In the first light that morning brings
High five to future things
(Teenage Fanclub – The Town And The City)

Für ein paar Tage in Deckung gehen, Rückzug, die ganze Seelenkompanie Halt und umkehren. Zurück in den Schoß der bayerischen Heimat oder das was davon übrig blieb. Diese Stadt hier ist doch eh verflucht. Wer hat denn die Mädchen hier so kaputt gemacht? Waren wir das? Oder wars der Kommunismus? Zuhause ist die Welt noch in Ordinalzustand. Eine grundkatholische Taufe lässt mich vielleicht eine Regelhaftigkeit spüren, die ich vermisst haben könnte. Vorbei die ständig rasenden Sekunden der Multioptionalität. Dieser Zustand, der uns hier in der Stadt langsam aber sicher alle um den Verstand bringt.

Jetzt spreche ich es an, so sehr hinkt mein Verstand schon: Grafentraubach, wie ich ich dich einst verspottet und liegen gelassen habe. Dann habe ich dich benutzt, um schmutzige Wäsche zu waschen und um mein Image aufzupolieren. Jetzt bin ich dir dankbar, dass du mich überhaupt noch kennst, so blöd wie ich mich aufgeführt habe. Wie es wohl wäre, bei dir zu bleiben? Überhaupt nicht mehr in den Bauch des Biests zurückzukehren? Der Nordstrand steht bei diesem unsteten Wetter ohnehin kurz vor dem Konkurs.

Wie wäre es also, einfach zu Hause zu bleiben? Jeden Morgen aus dem Dachfenster auf den großen Garten und das Haus meiner Großeltern zu blicken. Nach Jahrhunderten wieder von jemand zum Frühstück gerufen zu werden. Mit dem Auto zum Einkaufen zu fahren und vielleicht einen neuen Hund zu kaufen. Vielleicht wieder Fußball im Verein zu spielen, morgens in den Wald zu laufen und abends ins Wirtshaus. An manchen Tagen in die Stadt zu fahren?

Ich werde es schon noch herausfinden eines Tages, aber soweit sind wir noch lange nicht. Die Köpfe zurück in die Schusslinien. Die Schützen aus den Gräben. Die ganze Kompanie Halt. Es geht zurück nach Berlin.

haus.jpg

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Die Dynastie

Die Dynastie Hans Papesch stand kurz vor dem Untergang. Sie wusste es schon länger als er, vielleicht wusste er es überhaupt nicht. Man hatte sie jung verheiratet und sie nie ineinander verliebt, deshalb konnte sie auf Distanz bleiben und beobachten, wie alles in die Brüche ging.

Er bestand auf den Fortbestand der alten Werte, obwohl die Neuen ihn noch im Leben überlebten. Er war höflich und galant und doch irreparabel starr, wenn es um die Auflösung seiner Prinzipien ging. Wenn sie ihn überhaupt liebte, dann dafür, dass er blieb wie die Jahrhunderte. Doch er hatte längst die falschen Fäden von den falschen Freunden spinnen lassen, ein Netz aus Intrigen hielt ihn in der Mitte, während sich die Welt um ihn herum auflöste.

Sie hatte mit anderen geschlafen und sich nie illoyal gefühlt. Sie war nie weggegangen, sie verharrte in seiner bröckelnden Konstanz bis zum Schluss. Als sie nachts durch den kalten Park wanderte, sah sie ihn am Fenster stehen und überlegen. Er überlegte, er schrieb und er komponierte. Doch seine Symphonien stammten aus einer Zeit, die das Zeitliche bereits vor Urzeiten gesegnet hatte. Und mochte er noch so ritterlich ausgestattet sein mit einer Rüstung aus aufrichtigem Stoizismus, so trug er doch den Zeitgeist wie einen Bandwurm in sich, der alles verschlang was ihm einst die Verdauung des stetigen Wandels ermöglich hatte.

Er tat ihr leid, doch gleichzeitig wollte sie, dass er unterging. Nur Veränderung und Niedergang konnten ihn davor retten, der Ewigkeit zum Opfer zu fallen. Das Geld würde versiegen, die Ehre und das Ansehen versickern. Und dann, vielleicht nur für einen Abend könnte sie sich ihm rasch hingeben, dem alten Mann mit seinen unerschütterlichen Prinzipien. Die Zeit fing an zu rasen, sie rannte durch den Park nach Hause und das Ende fing an, zu beginnen. Endlich und Gottseidank stand die Dynastie Hans Papesch kurz vor dem Untergang.

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Merry Christmas Mr. Burnster

Es ist so kalt, wenn ich morgens aufwache. Es ist so kalt in der Stadt der Verrückten.

In meinem Traum war ich zuhause und es erschien mir fremd. Es war ein großer orientalischer Markt. Ich fuhr Fahrrad und ein wildfremder neuer Freund zeigte mir seine Kopfhaut. Da sah ich dich.

Du trägst die Haare jetzt länger und siehst mehr wie eine Frau im Gesicht eines Mädchens aus. Das erste Mal sehe ich dich auf Absätzen. Ich fahre langsam auf dich zu, doch du entfernst dich. Ich halte an und sehe, wie du einen Mann, der dein Freund ist, wegwinkst. Dann bleibst du stehen und wartest bis ich komme. So wie du es immer gemacht hast. Ich stehe vor dir und wir sehen uns an. Sekunden lang passiert nichts und es fühlt sich leer an. Dann umarmen wir uns kurz und ich sage: „Tja, dann Frohe Weihnachten.“ „Dir auch.“ entgegnest du und ich wache langsam auf.

In der Kälte der Stadt der Verrückten.

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Wie es ist wenn man die Wahrheit kennt

Nun, es ist, wie wenn man weiß, wie das Wetter wird
Und es dann oft doch ganz entgegen aller Prognosen wütet
Es muss in mir ein Gespenst sein, ich kenn das schon
Aber es hat seine Eigenheiten, verspätet sich, verschläft
Oder ist oft schon Stunden vorher da.

Es ist die Wahrheit, ärgerlich, wunderlich und hammerhart.
Aber die Wahrheit, das Gespenst, lügt mir oft so frech ins Gesicht
Und meint dann lapidar: du kennst mich doch, ich bin nun mal so.
Ja, natürlich kenne ich sie. Rheuma hat sie manchmal.
Dann geht sie gebückt und ich erkenne sie kaum wieder.

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Und hinter uns feurige Abendsonne

It was a foggy day in London, and the fog was heavy and dark. Animate London, with smarting eyes and irritated lungs, was blinking, wheezing, and choking; inanimate London was a sooty spectre, divided in purpose between being visible and invisible, and so being wholly neither. (Charles Dickens)

Victoria Station, Donnerstag Mitternacht. Der Mond steht doppelt am Firmament und das litauische Suicide Blonde mit einem höllischen Ausschnitt nimmt mich mit nach West Kensington. Dort herrscht todschicke Friedhofstille zwischen den Häusern mit den Vorgärten. Fünf litauische Blondinen und ein Mann auf zwei Miniappartements verteilt, sieht auf dem Papier nicht schlecht aus. In Echt kann einem schlecht werden bei der Überdosis Rosa und Parfüm. Ieva ist liebenswert und wirkt ein bisschen verloren neben den Profilneurosen ihrer Mitbewohnerin Yolanda, die mit Arsenals Aliaksandr Hleb (Ex-VfB Stuttgart) ausgeht. Der Rotwein betäubt meine überreizten Sinne und ich schlafe auf einer Couch, die nur die Hälfte meiner Körperlänge abdeckt.

Am nächsten Morgen beginne ich meinen Todesmarsch durch London im vor lauter Grün ächzenden Holland Park, erkunde das schneeweiße Notting Hill und setze per Tube über in die Oxford Street, wo ich dem Sitz meines ehemaligen Arbeitgebers einen Kurzbesuch abstatte und einer Exkollegin einen dreifachen Cappucino abtrotze. Bei Hamley’s kaufe ich nichts, weil ich mich nicht zwischen einem WWE Championship Belt Imitat, einer Batman Figur und meinem sechsten Wolverine entscheiden kann. Dann nach Süden zum Leiceister Square und Covent Garden und endlich runter an die Themse. Bis zur Tower Bridge und dann nach Whitechapel und Shoreditch und auf der Brick Lane durch ihre Augen zwei Jahre in die Vergangenheit blicken und meinen Frieden finden, während Sufjan Stevens die Losung „All Things Go“ in meinem Ohr ausgibt.

Abends hole ich Miss Litauen von ihrem Arbeitsplatz Toni & Guy bei der St. Pauls Cathedral ab und wir sitzen auf der Brick Lane in einer Art Biergarten. Das Lager schmeckt, die Marlboro verbotenerweise auch und der 24/7 Bagelshop ersetzt das Barbecue, bei dem mir entschieden zu viele Blokes & Birds anstehen. Später in einem Hybriden aus Bar und Club, der die Sekunden bis zur Last Order digital herunterzählt nochmal ein paar Orders begangen. Dann lässt mich der Club der verrückten Litauerinnen am Boden schlafen und ich begieße die freudige Nachricht mit Rotwein und falle vor lauter Erschöpfung in einen Schlaf, der einer Ohnmacht gleicht. Acht Stunden bin ich heute zu Fuß unterwegs gewesen.

Am nächsten Morgen, High Heels, Lippenstift und ich. Sobald die CEOs der litauischen Plüsch Tyrannei das Gebäude verlassen haben, mache ich mich aus dem Staub und flüchte in die Vorstadt. In Ladywell verbringe ich meine Zeit in einem Star-Wars-affinen Haushalt mit einem Hund namens Jerk und einer gastfreundlichen Komödiantin. Nach einem Spaziergang durch einen Park, der an einen stillgelegten Hunderennplatz grenzt, brechen wir in die Stadt auf, um uns in einer schwedischen Knoblauch Bar mit Tapas der ausdünstenden Art zu vergiften. Das „Garlic & Shots“ heißt nicht zuletzt auch wegen seiner reichhaltigen Auswahl an skurrilen Kurzen so und nach einem Black Melon und genug Knoblauch für ein Altherren Fußballteam mit zu hohem Blutzucker, suchen wir das grandiose Sheperds Bush Empire auf, um uns gutgelaunte, aber weniger grandiose The Rakes einzuverleiben. Auf der Aftershow Party trinke ich Unmengen von Spritzers (Weißweinschorlen) und plaudere ein paar Worte mit Naughty James, der mir stolz von seiner neuen Freundin Akiko und ihrer Band Comanechi erzählt. Craig, wie er wirklich heißt, ist noch ein Kind und verhältnismäßig nüchtern an dem Abend. Seine Hand ist klebrig von Jägermeister, aber er gibt sie mir trotzdem. Angesichts unseres zufälligen Treffens attestiert er dieser Welt fast sprachlos eine Überschaubarkeit, die ihn ängstigt. Er ist noch ein halbes Kind mit seiner engen schwarzen Röhrenjeans und seinem viel zu weiten Kapuzensweater, auf dem in Rosa New York geschrieben steht. Die Komödiantin und ich gehen. Ein Taxi auf Kosten meines ehemaligen Arbeitgebers fährt uns durch den nächtigenden königlichen Koloss zurück in die Vorstadt. Besoffen hängen wir auf der Couch und schauen die gesamte zweite Staffel von „The Office“.

Den nächsten Tag verbringe ich zur Hälfte vorm Fernseher (u.a. Office X-Mas Special), bevor ich wieder in die Stadt zurückgehe, nicht ohne eine 20 Pfundnote vom Overground-Ticket-Automaten einsaugen zu lassen. Im gottverlassenen Bank District bin ich der Einzige, der sich herumtreibt. Eine einzige Menschenseele in einer leeren Millionenstadt. Wie heimelig unheimlich ist es hier. Erst der Leicester Square nimmt mich wieder im Kreis der Existierenden auf und ich kehre bald zurück in die Arme der Vorstadt Ladywell, wo schon eine mit „Star Wars Lego“ präparierte Playstation auf mich wartet. Ich gehe früh zu Bett und träume von meiner großen London Liebe. Als ich erwache, sage ich leise zu ihr: „Ciao, ich muss jetzt nach Berlin zurück“ und nehme ein Taxi zur Victoria Station. Der Fahrer und ich philosophieren über José Mário Santos Mourinho und bald sitze ich im Bus nach Luton und bald im zwei Stunden verspäteten Flugzeug nach Berlin und hier bin ich wieder, getroffen von einer Magie wie ich sie nach all den Jahren London Absenz zwar erhofft, aber nicht mehr erwartet hätte.

Soundtrack:
Sufjan Stevens – Chicago
Ben Lee – We’re All In This Together
Kanye West – Crack Music
Olli Schulz und der Hund Marie – Goodbye My Spooky Girlfriend
Jenny Wilson – Let My Shoes Lead Me Forward
Savoy Grande – Reason To Leave
Bloc Party – Plans
Sufjan Stevens – That Dress Looks Nice On You

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Soma in the City

I have longed to move away but am afraid;
Some life, yet unspent, might explode
Out of the old lie burning on the ground,
And, crackling into the air, leave me half-blind.

(Dylan Thomas – I Have Longed To Move Away)

Bring it on, Berlin!
Trag dein Makeup auf, du gepeinigte alte Drecksschlampe. Komm, verarsch uns nochmals einen Sommer lang. Wir warten doch nur darauf. Zieh dir dieses nuttige Kleid an und lass dir in den Schritt schauen. Wir können es doch kaum erwarten, dich noch mal einen Sommer lang so richtig durchzuvögeln. Ein paar falsche Versprechungen im Frühling und schon stehen wir den ganzen Sommer vor deiner Haustür. Und in der tiefen Sommernacht, wenn der Rauch des Vortags durch die Straßen abzieht, lecken wir dich im Schritt, obwohl du dich sonst so gerne am Arsch lecken lässt.

Und am nächsten Tag werden wir ungestraft auf dir herumtrampeln und du wirst uns zu Füßen liegen, weil wir dir drohen. Weil wir dir androhen, dich zu verlassen, wenn du dich nicht benimmst, du dumme Schnalle. Zudem haben wir uns mit dem Wetter verbündet und damit bist du numerisch unterlegen. Da schaust du. Wir haben dich an deinen Dornfortsätzen gepackt und schleifen dich hinter uns her, während wir durch die Straßen räubern.

Und bevor du dich dann wieder in deine Winterlumpen hüllst, könntest du uns doch noch eine deiner Töchter vorstellen. Jemand der noch nicht so hergefickt ist wie du, jemand der noch an einen Anfang statt an das Ende glaubt. Eine mit glatter Haut und angenehmen Atem, eine ohne Raucherlunge und Neurodermitis. Eine Ungefickte, bitte. Eine, mit der wir abens auf dem Balkon Campari Soda statt Absinth trinken und Neil Young statt DJ Hell hören. Aber in diesem Sommer kannst du deine Schätze gar nicht so gewieft verstecken, dass wir sie nicht heben. Ausräuchern und plündern werden wir dich und deine Brut und bevor wir hier verschwinden, stecken wir dich in Brand. Am Ende dieses Sommers.
Bring it on, Berlin.

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Autopilot

Eines ist mir auf der Lesung in Hamburg aufgefallen. Im Vergleich zu vielen meiner Mitblogger vermag ich nicht, den Alltag präzise zu beschreiben, ihn unbekümmert in Humoresken zu tunken und ihn dann zum Besten zu geben. Das gelingt mir weder inhaltlich noch stilistisch. Auf den Beschreibungen der Welt, in der ich und meine Charaktere sich bewegen, liegt ein Schleier, der den Blick für Details und gleichzeitig das Wesentliche trübt. Melodien, Lieder sind sie, mehr als Erzählungen. Und wenn ich mich auch noch so anstrenge, so liege ich doch stets ein wenig neben dem, was sich in einer guten Geschichte gehört.

In der Schule war ich nicht schlecht im Deutschunterricht und gerade in Aufsatzlehre wusste ich in frühem Alter zu glänzen. Doch je älter ich wurde desto öfter häuften sich Rotstiftanmerkungen wie „Ausdrucksweise“, „Stil“, „Kontext“, „merkwürdig“ oder einfach nur „unleserlich.“ Selbst bei meinen Essays in Englisch verstörte ich trotz profunder Wortschatz- und Grammatikkenntnisse so manche Lehrkraft mit Abschweifungen an irrelevanten Stellen und Sinnverkürzungen an gravierenden.

Was ist also mit mir los? Kann ich am Ende vielleicht gar nicht wirklich schreiben? Bin ich ein wirrer Komponist, der Wörter wie Noten zusammenstellt, die nur das Trommelfell schinden, wenn man sie spielt? Bin ich ein Hochstapler, der sich das über der Jahre selbst zugesprochene Talent eigentlich wieder absprechen sollte? Ich glaube nicht.

Vielmehr hat es etwas mit meinem Wahrnehmungsvermögen zu tun. Manierismen, Details und Gepflogenheiten missachte ich, weil ich ein fauler Schlamper bin, was sich immer gut als Unkonventionalität und Nonkonformismus tarnen lässt. Das ist aber nur der formale Aspekt. In Inhalt und in meiner Semantik bin ich verschroben, pathetisch, eigensinnig und ein wenig düster und was protzig klänge, stellte man es nur so zum Selbstzweck heraus, ist in Wirklichkeit nichts anderes als das Resultat dessen was ich sehe und tue, wenn ich nicht schreibe. In anderen Worten: What I See Is What You Get.

Und wenn mich diese Bloggerei eins gelehrt hat, dann ist es, zu erkennen, dass ich schreibe wie ich lebe und dass ich es auch gar nicht anders kann. Dann am Ende des Tages noch ein wenig damit zufrieden zu sein, gleicht dem Einsinken in die Ruhephase einer vormals stressigen Beziehung. Ich blogge gerne.

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Der Empfänger

A darkness in the weather of the eye
Is half its light; the fathomed sea
Breaks on unangled land.
The seed that makes a forest of the loin
Forks half its fruit; and half drops down,
Slow in a sleeping wind.

(aus Dylan Thomas „A process in the weather of the heart“)

„Weißt du noch, als du damals diesen Monolog gehalten hast?“
Sie sieht ihm fordernd in seine müden Augen.

„Du hast gesagt, du seist diese Antenne, dieser Radar, diese hyperpermeable Oberfläche für Emotionen und Gefühlslagen Dritter. Du seist der Empfänger für ihre Geheimnisse, für die Dinge, die sie verbergen wollen. Du meintest, das sei wie ein Fluch manchmal. Du seist den ganzen Tag nur Schwingungen ausgesetzt und obwohl du selbst so einen positiven Plan vom Leben hättest, beeinträchtige dich das und verleihe dir diese Blutschwere, die das Zusammenleben mit dir so schwer macht. Weißt du noch? Du hast es mir damals erzählt als wir einen Parkplatz in der Nähe deiner Wohnung gesucht haben. Es regnete in Strömen und du wolltest dich entschuldigen für deine schlechtgelaunten letzten Wochen. Und weißt du was? Du warst mir unheimlich, als du mir das alles erzählt hast. Ich wusste, ich könnte es begreifen, ich wusste, dass es wahr ist, aber ich ignorierte es, weil es mir eine Spur zu seltsam erschien. Zu seltsam für das normale Leben, das ich mit dir führen wollte. Hörst du?

Aber jetzt, jetzt begreife ich, dass es wahr ist. Jetzt sehe ich dich an und ich verstehe ein bisschen besser, was es bedeutet, du zu sein. Die letzten Jahre haben mich verändert, ich habe mich geöffnet, weil ich sonst nicht überlebt hätte in der Fremde, so ganz ohne dich. Und am Ende meiner Reise habe ich begriffen, exakt begriffen, wie du es damals gemeint hast. Aber jetzt sehe ich dich an und ich sehe, dass du dich nicht mehr erinnerst, mir das alles erzählt zu haben. Schlimmer noch, ich sehe, dass du dich nicht mehr erinnerst, so empfunden zu haben. Überhaupt und in diesem lichten Moment an dem dunklen Regentag in deinem Auto auf der Suche nach dem Parkplatz.

Wenn ich dich jetzt so ansehe, glaube ich, dass du aufgehört hast, dich als etwas Besonderes zu empfinden. Du hast begonnen, dir alles auf herkömmliche Weise zu erklären. Du hast dein unglaubliches Gespür, deine Empfänglichkeit für alles, was zwischen den Worten steht, alles das hast du verleugnet und dir naturwissenschaftlich zurecht gerückt. Du bist lethargisch geworden, du hast resigniert. Du lethargischer schwarzer Kater. Du hast aufgehört, dich zu wehren. Ich mag dich so gern, auch wenn du so kaputt bist. Aber versuch, dich zu wehren! Lass die Dinge nicht mit dir geschehen.

Erinnere dich an deinen Monolog. Es hat so stark geregnet und wir konnten einfach keinen Parkplatz finden. Und du hast es gewusst. Du warst der Empfänger. Und mit deinen Fähigkeiten wolltest du dich wehren, auch wenn es dir oft schwer fiel. Du kanntest die Wahrheit über die Dinge viel eher als ich sie wahrhaben wollte. Und du wolltest sie verändern. Jetzt akzeptierst du sie nur noch. Los, komm, wehr dich. Ich mag dich so sehr. Erinnere dich an deinen Monolog.“ sagt sie und zieht an ihrer Zigarette, die fast verglüht ist.

Draussen regnet es in Strömen und er weiß nicht, was er sagen soll. Er sieht aus dem Fenster, dann sieht er wieder sie an. Eine unerträgliche Stille breitet sich aus und er weiss nicht, was er dagegen tun kann. Er sieht wie ihre Empathie langsam aus ihren Augen weicht und einer Verachtung für seine Sprachlosigkeit Platz macht. Und er weiss immer noch nicht, was er sagen soll.

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And Death Shall Have No Dominion

Ein kostbarer Kuss von deinen köstlichen Lippen. Kein Mann hält soviel Süßes aus. Ein kurzer Blick unter deinen silbernen Rock gleicht einer Heilserscheinung. Der Geruch deiner Elfenbeinhaut bricht ganze Kriege vom Zaun, bei denen der Sieger dir ein wenig nahe sein darf.

Aber ich, ich warte auf den einen Tag, an dem du nicht mehr Nein sagen kannst. Jeder weitere Tag ist so lang wie ein ganzes Leben, in dem ich alles unternehmen werde, um dir mit Gewalt die Flügel von deinem sanften Rücken zu reissen. Und ich, ich warte auf den einen Tag an dem du nicht mehr Nein sagen kannst. Denn dann wird alles gut sein.

(frei übersetzt nach Tiger Lou „You Can’t Say No To Me)“

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