Susan

So ein huüsches und trauriges Kind auf dem Weg der Vernichtung. In einer Gesellschaft, die alles verspricht und alles hält bis auf die bleibenden Werte, die sie so sehr herbeisehnt. Nun wirft man sie den Wölfen und ihr anschliessend vor, dass sie sich nicht fressen lässt. Sexy Sadie, schoenes, tödliches Mädchen.

Wer verlassen wird, verlässt, weil er es so gelernt hat. Die Naechte in San Franciso sind voller Verlassener und solchen die verlassen werden wollten. Ganz langsam wird unser Mädchen zu einer Expertin auf dem Gebiet. Jeden abend tanzt sie den Tanz der einsamen Teufel und je länger sie im schwarzen Licht des Mondes bleibt, desto weisser wird ihre ebene Haut und desto mehr folgen ihr die Amateurdämonen der Stadt. Nach zahllosen Nächten im Zwielicht von Rausch ohne Rechenschaft ist sie bereit fuer Rache an den Räbern ihrer Kindheit. An den Hütern der Option. An denen, die sich am Erwachsenwerden schuldig gemacht haben.

Als sie ihn trifft, fühlt sich das erste Mal seit langen Monaten endlich wieder unterlegen. Jetzt kann sie ihm beweisen, dass er die Richtige ausgesucht hat. In keinem anderen Moment kommt sie sich verlorener und stolzer vor als unter seiner Obhut. Er gibt ihr das, was sie in den triefenden Nächten unter den schwitzenden Körpern ihrer Brüder und den explodierenden Stimmen ihrer Eltern nie erhalten hat: Freiheit und Fürsorge zugleich. Und für die Fesseln der Verantwortung einer jungen Mutter ist es zu früh und zu gleichzeitig zu spät. Das Morden zum Zwecke der endgültigen Loslösung von der verheerenden Multiopotionalität einer privilegierten Gesellschaft hat im Geiste längst begonnen.

Jetzt sind sie selbst das Wolfspack und ihr Rudel schwärmt aus, um die Domestizierten ans Messer zu liefern. Ihre Zähne sind scharf. Susan nimmt und gibt nun das Feuer, von dem sie ein Leben lang so abhängig gewesen war. Es sind nun alles ihre Optionen. Es geht längst nicht mehr um ihn. Und der Tod ist auch ihr Verdienst und ist ihr lebenslang nicht mehr zu nehmen. Sie entscheidet nun, wer verlässt und wer verlassen wird.

Dass man sie einsperrt und sie nicht einmal mehr dem Mondlicht aussetzt, bricht sie nicht. Sie hat ihren Platz in der Geschichte eingenommen.

Go run along my little nightmare.
Your job is done here.
You’ve scared them all to death.
If they revive them just sit there.
Just smile dear. Make them thankful for every breath.

(lyrics by Alkaline Trio: Sadie)

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Un dia muy lento

Die unerträgliche Langsamkeit des Seins hat mich fest im Griff an diesem hochsonnigen Samstag in Santiago de Chile. War ich gestern noch zuviel Bier trinken auf einer WG-Party mit überwiegend chilenischem Studentenanteil und Lungen vergiften mit diesen parfümierten Dreckszigaretten von Belmont, so habe ich mich heute sprichwörtlich zur Ruhe gesetzt.

Um 12 aufgestanden und Verschwörungstheorien zum 11. September von Andreas von Buelow in mich gepflanzt, dann eine halbe Stunde geduscht, um die anschliessenden drei Stunden in einem Strassencafe in Bellavista zu verbringen. Man servierte Congrio, das ist eine Art Seeaal, fritiert und mit Salat. Davor ein Cortado und quasi als Aperitifo einen chilenischen Weisswein, dessen Namen ich vergessen habe.

Aber zurueck zum chilenischen Tag, der sich genau so langsam verflüchtigt wie er vollzogen wurde. Die Schatten senken sich ueber die lebhaften Bürgersteige von Bellavista und die Cafes tauschen ihre Betriebsamkeit langsam mit dem lauteren und wohlmöglich auch unlauteren Treiben der Bars. Vielleicht treff ich noch eine gewiefte Mexikanerin, die mich darauf gebracht hat, eventuell nächste Woche nach Buenos Aires ueberzusetzen, aber sowohl das eine wie das andere wird noch nicht jetzt entschieden. Ich bin noch zu langsam fuer Entschlossenheit.

Chilenische Rhapsodien

Mein neuer Mitbewohner ist grosser Queen-Fan. Das kleine Schlitzohr, das jeden zweiten Tag seine Greatest Hits-DVD einer anderen Senora unterjubelt, hört am liebsten alle Hits kurz angespielt um ein Uhr nachts in einer Lautstärke, die man mit einem Orange-Amp nicht zustande bringt.

Immerhin sagt er mir, ich soll doch auch mal ein Mädchen mitbringen. Mach ich, weil man soll ja den Leuten hier nichts ausschlagen als Gast. Waehrend ich allerdings nicht ganz allein und mit Cien Punto Nueve FM die Akustikballaden der Neunziger aus dem letzten Loch pfeifen lasse, gibts drüben wieder dGreatest Hits, diesmal mit „Who wants to live forever“.

Am Morgen steht das 21-jaehrife Medizinerfrüchtchen eine Stunde früher auf als ich und jetzt ratet mal, welche Band als erstes aus seinem Zimmer bombt. Flash!!! Aaaaaaahaaaaaa! Thunderbolt and Lightning, very very frightening!

Mama, I just killed a man.

School’s On For Summer

Der Mond hängt dick aber unfertig über dem Smog und neben den Anden, waehrend ich vorsichtig auf den Lärm zugehe. Michelle Bachelet wird inthronisiert und die Polizei hat die Innenstadt mit Einsatzkräften überschwemmt. Ich verliere mich unfreiwillig ein wenig in den Massen und dem Geschrei, bevor sich die Situation lichtet. Doch ab jetzt wird es unangenehm.

Die marodierende Hundegang von gestern ist wieder unterwegs, um Leute zu erschrecken. Die meinen es ja bestimmt nicht böse, schliesslich können sie ja nicht wissen, dass sie ein grosse-bellende-Hunde-Trauma nähren, das seinen Ursprung in meinem 5. Lebensjahr fand, als der Hund meiner Tante mich zum Spielen (behauptete er zumindestens) vollständig unter sich begrub. Nach einer dreiminütigen Tollwut-Attacke bin ich auf jeden Fall fertig mit den Nerven und kann die Schwedin nur noch mit einem Stocken in der Stimme begrüßen. Dafuer referiert Benjamin, ein Mediziner aus Ostberlin über Raubüberfälle in Peru, tatsächlich tollwütige Hunde und Fische, die in Penise eindringen.

Gut, dass am nächsten Tag Schule ist. Die blendende Laune meiner Profesora muy attractiva unterstuetze ich mit holprigen, aber immerhin spanischsprachigen Anekdoten aus meiner Vergangenheit auf dem Bau, meiner Fussballkarriere beim SV Grafentraubach und meinem den Fussball ersetzenden Interesse an Chicas. Die deutschen Mädchen in meiner Gruppe gucken verstört, Profesora Isabella lacht und der schwitzdicke Stuart aus Leeds lacht auch und versteht gar nichts, wie schon den ganzen Vormittag. Es ist klar, wer hier der Star ist, zumindest auf Sprachlevel drei von zehn.

Auf der Suche nach einem neuen Appartement treffe ich einen chilenischen Mechaniker, der Joe-Satriani-Songs auf der Gitarre spielt und Tschibo Feine Milde säuft, als wäre es Wasser. „Ist gut fuer meinen Puls“, sagt er.

Notizen:
Meistgehoerte Band im Radio: Oasis
Spassbehaftetstes Fortbewegungsmittel: Seilbahn
Meistgetrunkenes Bier: Escudo
Meistgehörter Maedchenname: Pamela (x3)

Der Anfang

Wer haette gedacht, dass 12 Stunden Flug tatsächlich wie im Flug vergehen?

Bei strahlendem Wetter aber dem Berliner Winter immer noch in den morschen Knochen, mit ein paar Pfunden zuviel an Koerper- und Seelenfett, lande ich in Santiago De Chile. Zuhause habe ich in meinem Koffer noch Hemden von ihr gefunden. Zierlich geschnitten, elegant aber nicht gerade aussagekraeftig, ein Abbild ihrer Person. Egal, hab sie weggeworfen.

In dem Shuttle zu meinem Appartement lerne ich eine Schwedin kennen, die ich später wiedertreffen werde. Mein Appartement liegt in einer schäbigen Seitenstrasse in Schlagdistanz zum Zentrum und zur Universität. Es ist vollkommen disfunktional, nicht einmal alle Lampen brennen. Von meinem Balkon aus kann ich die Anden sehen und eine 24-Stunden-Großbaustelle. Wende ich meinen Blick nach rechts, blicke ich auf die Basilica de los Sacramentinos, eine prunkvoll und organisch gebaute Kirche inmitten traurigster Fassaden.

Ich gehe essen und es gibt Hahn mit Reis. Ich benutze mein altes Triband-Handy und finde im SMS Archiv zahlreiche Beweisstücke eines anderen Lebens. Keines Besseren. Löschen und weiteressen.

Es dauert noch Stunden bis ich die Schwedin treffen werde und wenn ich nicht gerade in Bildern von Drogenwahn und Blowjobs versinke, weil ich gerade die Moetley-Crue-Biographie lese, laufe ich wie ein eingesperrtes Tier in meinem Appartement auf und ab und verfluche meine aggressive Sentimentalität waehrend ich Kette rauche und Aspirin fresse wie Gummibärchen.

Dann gehe ich mit der Schwedin auf eine Party in ihrer WG. Die Schwedin, die sich die Haare schwarz gefaerbt hat, studiert etwas mit Kultur. Auf der Party sind Franzosen, Mexikaner und Spanier. Eine hübsche Chilenin ist da und heisst Pamela. Wir sitzen im Kreis, es gibt Bier und Sade (Smooth Operator). Ich betrinke mich rückhaltlos, damit ich schlafen kann. Ich übernachte bei der Schwedin in ihrem viel zu kleinen Bett, in ihrem viel zu kleinen Zimmer. Ich schlafe ein, ohne sie auch nur anzufassen, ich bin auch viel zu betrunken, um herauszufinden ob ich das will, ob sie das will. Aber ihre Wohnung hat eine tolle Lage und heute morgen verlasse ich das Haus neben dem Park bei strahlendem Sonnenschein und der Teenage Fanclub singt:

Drank the ocean
Moved my feet to a different sound
Tried to find what was left unfound
It’s funny how it lets you down

Ein Haufen streunender Hunde fällt mich an.

Anke

Anke putzt gerade die Theke, als ich aus der Kälte herein komme.
„Börni!“ strahlt sie mich an und eigentlich an mir vorbei. Doch von einer der Starbedienungen namentlich begrüßt zu werden, ist schon den Besuch hier wert, auch wenn sie das e wie ein ö spricht.
„Einen kleinen Galao noch, bevor ich die Stadt verlasse“, mache ich mich wichtig.
„Ach stimmt, du fliegst ja weg“, stellt sie fest und ich wette, sie hat sich nicht gemerkt wohin.
„Das wird dir bestimmt gut tun“, sagt sie. Würde ich jedes Mal Geld für diesen Satz bekommen, der Urlaub wäre refinanziert bevor er begonnen hat.
„Wie geht es dir, Anke?“, frage ich.
„Ach, es geht so. Ich denke viel nach.“
„Darüber wo dein Leben so lang gehen soll?“, formvollende ich.
„Ja, genau“, sendet sie ein melancholisches Halblächeln an mir vorbei durch die Fensterfront hinaus auf die winterliche Straße, wo es in den Trambahngleisen landet und von der M2 gevierteilt wird.

Anke kellnert seit vielen Jahren. Das hat sie schon in Hamburg gemacht. Sie hat auch schon in einem Musikvideo eines Insidern bekannten Indiekünstlers mitgespielt. Momentan überlegt sie, Kunst zu studieren. An einer Akademie, an der man sich auch auf Wortinstallationen spezialisieren kann, sagt sie. Noch in Hamburg, da war mein Kumpel N. ein paar Mal mit ihr aus. Einmal waren sie in seiner WG beim Abendessen. Niko hat Polaroids von allen gemacht. Als er später das Geschirr wegräumte, lagen die Polaroids noch da. Nur die von Anke waren verschwunden.

„Du kommst immer wenn wir gerade aufräumen“, beklagt sie sich nur scheinbar.
Ich sitze innerlich zufrieden am Fenster, zucke mit den Schultern und sehe ihr weiter beim Auffüllen der Getränkebestände zu.
„Das ist Zufall“, lüge ich. „Warst du beim Friseur?“
„Das ist ja irre. Ich habe nur so wenig abschneiden lassen und jeder spricht mich darauf an“, sagt sie nahezu aufgeregt.
„Das liegt nur daran, dass du deine Haare heute offen trägst“, nehme ich ihr ihre Illusionen und ihr Lächeln verschwindet kurz. Ich hole es zurück.
„..und natürlich daran, dass die Frisur so gut aussieht.“

Jetzt lacht sie mich das erste Mal an und nicht an mir vorbei. Aber nur kurz, dann räumt sie weiter ein und aus.
Als ich gehen will, fragt sie mich: „Wann spielt deine Band denn?“
„Am 12. April im Frannz Club“, antworte ich.
„Das kann ich mir nicht merken. Das ist noch so lange hin.“ Sie tut geschäftig.
„Ich sms dir das“, sage ich.
„Au ja, dann sehe ich dich… in Aktion?“, blinzelt sie müde.
„Dann siehst du mich, wie ich wirklich bin“, sage ich und schäme mich gleich ein wenig dafür.

Sie kommt hinter dem Tresen hervor, um mich zu umarmen. Sie hält mich auf Abstand mit ihren langen, schmalen Armen und ihr Kuss auf die Wange ist fachmännisch. Zugleich ist er doch herzlich, bei all ihrer Verlorenheit in sich selbst.

„Ciao, Böni“, ruft sie.
„Ciao, Anke“, sage ich und gehe wieder zurück in die Kälte, ganz zufrieden mit der Tatsache, dass der letzte Kuss dieses Winters von Anke kam.

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Winter

Die Stadt geht langsam aber sicher vor die Hunde. Dass man die Kadaver der Silvesterraketen immer noch nicht entfernt hat, ist nur ein erstes Indiz. Die Kälte will sich nicht mehr von den Dächern der Stadt erheben. Sie hat es sich so bequem gemacht, da hilft kein Schamane mehr, da muss ein Exorzist her. Die Gegend um den Nordstrand hat jeglichen Glanz verloren. Neulich hörte ich jemand sagen: „Ganz schön abgefuckt hier… sogar die Gegend.“

Ich ächze durch endlose Tage aus Schnee und Schmutz. Während die anderen sich im Süden verlieben und sich versprechen, zusammen in den Sommer zu gehen, gehe ich hier langsam aus dem Leim. Und auf den Leim bin ich dieser Stadt schon im Oktober gegangen, als sie mir ein sicheres Zuhause und einen geruhsamen Winterschlaf versprach durch einen ihrer seelenlosen Fürsprecher, der nur den schnellen Profit im Sinn hatte. Von wegen „Die Winter sind gar nicht so schlimm wie man sagt“. Ein Scheißdreck sind sie. Ein Hetzen von Alpha zu Omega ohne erkennbaren Sinn und ohne Resultat. Mein Immunsystem ist desertiert. Und als Nachtritt bekomme ich noch diese tollen Nachrichten: „Ich habe jemand kennengelernt.“ Hättest mich mal richtig kennenlernen sollen. Na warte, Berlin, du lernst mich schon noch kennen. Und dann ziehen wir andere Saiten auf. Neue, unverstimmte.

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Das Warten hat sich gelohnt

„Was machst du da?“, fragt sie.
„Ich warte“, entgegnet er.
„Worauf denn?“, will sie wissen.
„Darauf, dass sich endlich etwas ändert“, sagt er.
„Dann verlasse ich dich jetzt“ sagt sie und geht aus dem Zimmer.
„Immerhin“, sagt er.


The Waiting (Demo)

(mp3, 5MB, im Original von Tom Petty and The Heartbreakers)

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Miss München (Reprise)

Nachtrag ist ein Understatement. Vortrag ist in jedem Sinne die beste Vokabel dafür. Für vorbildliches Betragen erhält meine hochverehrte Leserin Vita die goldene Stimmgabel aus der Hölle 2006.

Wenn ich höre, wie sie „Jeder tut es mit Miss München“ vorträgt, geht mir der Arsch auf Grundeis und ich möchte mir selbst nicht im Dunklen begegnen. Geschweige denn nochmals einer Miss München. Betörend verstörend.

Stehende Ovationen für diese Darbietung, bitte!!

Vita liest „Jeder tut es mit Miss München“ (mp3, ca. 2MB)

Originaltext bei mindestens haltbar.

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Jeder tut es mit Miss München

Die Fortsetzung unserer kleinen süddeutschen Fastenzeitreihe finden Sie beim grandiosen Meinungsmagazin

mindestens haltbar

..mit tollen Bilder von der begnadeten Miss Gaga. Bitte kommentieren Sie dort.

Bitte, liebe Leser, beachten Sie auch den Audio Podcast dazu. Ihr alter Burnsdoom mit Austriaakzent interpretiert. Das ich das noch erleben darf.

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