Das Spukhaus zu Hofkirchen

oder Die unheiligen drei Könige

An einem spätsommerlichen Tag Ende September war ich bei meinem Schulfreund Christoph zuhause eingeladen. Ich war gerade in die vierte Klasse gekommen und die Vorladung zu Christoph nach Hause glich einer Adelung, denn Christoph war einer der Coolen in der Klasse, was man von eurem geschätzten Erzähler frühestens ab der Neunten hätte behaupten können. Bis dahin war er unsicher, leichtgläubig und in allem untalentiert, was die anderen längst aus dem FF beherrschten. Dazu gehörte auch Spukgeschichten erzählen.

Das Haus wo Christoph wohnte, gehörte seiner alleinstehenden Mutter und war ein altes, dürftig renoviertes Bauernhaus mit geräumiger Wohnstube, die komplett mit Holz verkleidet war. Dort servierte die Mutter Orangenlimonade und Nutellabrote und wir Jungs plauderten ein wenig über die Schule, bis das Gespräch auf Gespenstercomics und unsere generelle Vorliebe für das Übernatürliche kam. Wobei meine Vorliebe eher einer masochistischen Heidenangst gleich kam, aus der sich erst Jahre später ein Faible entwickeln sollte. Aber man will ja nicht als Hosenscheisser dastehen. Irgendwann steiß ein etwas grobschlächtigerer Kumpan von Christoph hinzu und fortan hatte ich das Gefühl, nicht mehr der neue Spezl von Christoph zu sein, sondern ein eher lästiges Anhängsel für ihn und seinen Kumpan.

Irgendwann gingen wir nach draussen und spielten Fußball und als wir wieder nach drinnen wollten, erstarrte Christoph plötzlich vor dem Hauseingang. Sein Blick hing voller Entsetzen an der Haustür aus massiver Eiche und einer weißen Beschriftung darauf. Es handelte sich um das Kreidezeichen der heiligen drei Könige. Nun muss man wissen, dass der katholische Brauch des Sternsingens jedes Jahr um den 6. Januar herum es vorschreibt, dass die Ministranten der Pfarrgemeinde als Caspar, Melchior und Balthasar verkleidet von Haus zu Haus marschieren und ihr Kreidezeichen auf den Rahmen der Haustüren hinterlassen. Das sieht dann in der Regel so aus: 20 C + M + B 05, die Zahlen variierten je nach Jahrhundert und Jahreszahl. Das bedeutet nicht etwa „Caspar and his gang of Melchman and Balty were in da motherfuckin house this year, brother“, sondern „Christus mansionem benedicat“ (Christus segne dieses Haus im Jahr 2005).

Was nun den guten Christoph so entsetzte war wohl die Tatsache, dass da nicht mehr wie erwartet „19 C + M + B 83“ stand, sondern etwas völlig anderes, vertauschte Buchstaben, falsche Jahrezahlen und jede Menge frische Kreidespuren. Mir war es zuächst gar nicht aufgefallen, doch Christoph klärte mich mit zitternder Stimme darüber auf, dass die Entweihung der heiligen Aufschrift der Sternsinger großes Unheil bedeutete. Von allzu skeptischer Natur war ich damals noch nicht, deshalb lautete meine nächste Frage nicht einmal, wer die Beschriftung verändert haben konnte, sondern ich ging gleich zum „Warum“ über. Auch darauf wussten der scheinbar spukversierte Christoph und sein bulliger Freund ein Antwort. Es wäre wohl meine Anwesenheit, die den bösen Hausgeist hier aufweckte und ihn übellaunig das Haus entweihen ließ. Christoph meinte, der Geist suche das Haus schon seit vielen Jahren heim, wäre aber seit langem nicht mehr aufgetaucht, bis ich ihn durch meine blasphemische Anwesenheit auf diesem Grundstück provoziert hätte. Die beiden Junge gaben mir zu verstehen, dass ich in der Bauernstube zu warten hatte, weil sie den Geist quasi inflagranti erwischen wollten und es für sie ungefährlicher als für mich sei. Schlotternd aber dankbar zog ich mich zurück

Bangend harrte ich in der Stube und konnte ein paar Angsttränen nicht unterdrücken bis ein ernst dreinblickender Christoph zurück ins Haus kam, mich wortlos bei der Hand nahm und mich vor’s Haus führte, wo sich mir ein Anblick des Grauens bot. Die Insignien der heiligen drei Könige hatten sich komplett in chaotische Schriftzeichen und dämonisches Geschmier verwandelt und plötzlich kam es mir vor als würde sich die bestehende Weltordnung samt meiner unbedarften Kindheit in einem gewaltigen Säuresturm auflösen und als sei die Hölle bereits angeschürt, um dem kleinen Burny in den nächsten Minuten einen feurigen Empfang zu bescheren.

Ich rannte in die Bauernstube zurück, ließ mir von der perplexen Mutter von Christoph das Telefon zeigen und rief meine Mutter an. Ich goss alles ins Telefon: „Mama, ich weiß du denkst ich spinne, aber ich glaube hier spukt es! Du musst mich sofort abholen.“ Und so kam meine Mamutsch eine klamme Viertelstunde später an und holte ihren aufgelösten Hypersensibling ab, nicht ohne sich noch bei Christophs Mutter und ihm selbst für deren Gastfreundschaft zu bedanken. Weitere Fragen stellte sie nicht. Christoph winkte mir mir verkniffenem Blick hinterher, so als wolle er sagen: So einfach kommst du nicht davon.

Zuhause wurde ich erstmal meinem Vater vorgeführt, der sich mit meiner Mutter als Gasthörerin den Vorfall nochmal im Detail schildern ließ. Nach Ende meines beschämenden Erlebnisberichts über das Spukhaus in Weichs bei Hofkirchen, lachte er kurz auf hieb mir seine Hand auf die Schulter, meinte „Die ham dich sauber verarscht, Junior“ und ging gutgelaunt zurück in sein Büro.

Stunden später erschien selbst mir verängstigtem Geistergejagten das die plausibelste Erklärung zu sein und so schlich ich am nächsten Tag in die Schule und sagte völlig dilettantisch gespielt souverän: „Pah, Christoph. Ihr habt mich aber sauber reingelegt, oder?“ Bei dem „oder“ muss meine Stimme aber schon wieder leicht panisch nach oben gegangen sein, denn Christoph lächelte mitleidig und sagte: „Na klar, du warst ja auch so ein leichtes Opfer.“

Und nächstes Mal erzähl ich euch die Geschichte wie ich mich auf Anraten meiner Kumpels selbst auf die Party des unattraktivsten Mädchens der Schule einlud, die sie nie gehalten hat und auch nie halten wollte.

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The Soilevel and the Funclub


Wieder in Berlin. Zurück von der Mikrotour mit der höflichsten Band der Welt. Wir haben zwar unendlich viele Kilometer und Nerven verbrannt, aber das war es wert. Teenage Fanclub sind die Verkörperung von aufrichtigem Gitarrenpop ohne jeglichem Hipnessaufhänger, dafür aber mit jeder Menge Seele und Anstand. Aber von vorne.

Die Anreise nach Stuttgart war wie erwartet der nackte Horror. Obwohl uns der Sonntagströdler- und Baustellengott günstig gesonnen war, ist es einfach alles andere als eine Freude von einem Zipfel der Republik zum nächsten bei sinnentleert sinflutartigem Regen zu gondeln. In Stuttgart selbst staunten wir nicht schlecht über das elefantöse Verkehrsaufkommen an einem späten Sonntag Nachmittag im Oktober. In der Röhre, dem Veranstaltungsort, kam es dann zum ersten Aufeinandertreffen mit den Herren Blake, Love, McGinley, Macdonald und dem großväterlichen Ehrenroadie George, der jede erdenkliche Pause nutzte, um seinen Kneipenfolk unters Volk zu jubeln. Geholfen hat er uns wo er nur konnte und das nicht nur manuell sondern auch phrasuell. „Music is no competition. It’s from the soul“. Aha.

Unser Auftritt verlief zufriedenstellend, das Teenage Fanclub devote Publikum staunte zwar ein wenig, warum wir so viel auf der Bühne herumhektikten, aber man mochte uns wohl und nahm uns selbst unser deutliches Epigonentum nicht krumm. Ein weiteres Highlight des Abends war freilich das von Opa Ede angeordnete Treffen mit dem schwäbischen Max Goldt unter den Bloggern, dem mächtigen Herrn Poodle. Ein paar Bier später hielt der auch eine mit „Satan liebt Dich“ signierte CD in den ehrwürdigen Händen. Teenage Fanclub legten ein grandioses Konzert hin und versuchten sich an einem Sonntag an Stuttgarts Nachtleben, während wir, wohlwissend der Sinnlosigkeit dieses Unterfangens, den direkten Weg in die Jugendherberge antraten.

Am nächsten Morgen ging’s zurück auf die Autobahn ins verkehrsverseuchte Köln, wo wir im Prime Club auf äusserst freundliche und gut gelaunte Haustechniker trafen, die im Gegensatz zu ihren schwäbischen Pendants ihren Frust über ihre deprivilegierte Stellung als Aushilfsmischer nicht an der Vorband austobten, bzw. gar keinen solchen hatten. Die scheinbar tatsächlich ernstgemeinte Freundlichkeit des Fanclubs und ihrer Crew wurde uns langsam unheimlich. Als die Jungs im engen Backstageraum – den wir uns freundlicherweise teilten – ein Interview gaben, entschuldigten sie sich der Reihe nach bei uns für die Unannehmlichkeit. Natürlich waren wir es, denen es peinlich war, Bier aus dem Kühlschrank zu mopsen während das Interview geführt wurde. Nein, ist gelogen. Peinlich war uns das nicht. Aber es illustriert die Nettigkeit der Schottigkeit.

Unser folgender Auftritt war wohl einer der stimmigsten unserer kurzen Bandgeschichte und das Kölner Publikum fühlte sich eine halbe Stunde gut unterhalten von unseren Bababas, Oooohs und Da-do-run-runs. Nach dem Konzert siedelten wir um ins nachbarschaftliche Blue Shell auf diverse Tischfußballpartien, bei denen sich Norman Blake als ziemliche Pfeife am Kickertisch rausstellte. Auch der restliche Fanclub wurde eher weggeputzt statt zu glänzen. Dennoch: Herr Blake als aufmerksamer Zeitgenosse fragte mich ganz fürsorglich, was ich von Anglo American halte. Ich verstand die Frage nicht und ließ sie mir so lange wiederholen, bis ich darauf kam, dass er eigentlich Angela Merkel meinte. Ich wollte niemand den Abend versauen, also fiel meine Antwort moderat aus: „No one wants her to be Chancellor.“ Die Schotten sollten schließlich nicht auf die Idee kommen, jemand hätte die alte Bergziege gewählt.

Ein kurzer Schulterschluss noch zwischen Bayern und Schottland und dann konnten wir uns schwer angezählt ins Taxi schwingen und zur Nächtigungsstätte kutschiert werden, während der Fanclub unter der Führung eines stets um den alkoholischen Fortschritt des Abends bemühten Francis MacDonald noch weiter zockte. Hart im Nehmen, die alten Herren. Härter als die Meerespiegeleier, aber der TFC hatte ja auch frei, während wir heute schon wieder die Bahn nach Berlin hinauf staubten. Summa Summarum: Da Fanclub and de Soilevel were at de scoin in da ren and da sun. And in da mystical half-loight.

    Original Soundtrack:
    High Llamas – Birdies Sing
    Pearlfishers – Across The Milky Way
    Teenage Fanclub – Near You
    Weakerthans – Pamphleteer
    Neil Young – Ohio
    High Llamas – Travel
    Teenage Fanclub – Headstand
    The Sealevel – North Beach
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Kurzkritik zu Wächter der Nacht

And now it’s time for a breakdown. So sehr ich die Meinung der geschätzten Modeste für bare Münze nehme und so sehr ich ihr Geschmack in Sachen Blut und Sinsistres bescheinige, bei ihrer „Wächter der Nacht“ Rezension kommen wir nicht zusammen. Ich war gestern im Kino und ich war sehr wohl rezeptionsfreudig. Schließlich kam ich gerade aus der Zahnklinik und so sollte der Tag nicht enden.

Auch mit viel Blut drin, kann ein Film blutleer sein und auch mit vielen Vampiren bleibt er einem von der Halsschlagader. Die Handlung um den Kampf zwischen But und Göse hat nicht nur einen Bart, so lang wie der Landeanflug des im Film fast abstürzenden Flugzeugs, ihr fehlt eine logische Linie , so wie den Hauptdarstellern jeder Funke von Ansehnlichkeit. Und Entschuldigung, wenn ich verschlissene Menschen sehen will, dann hab ich in Berlin ungefähr 34 Stadtviertel zur Auswahl, da muss ich nicht ins Kino.

Über schlechte Special FX kann man mit schnellen Schnitten ein Leichentuch legen, soviel habe ich begriffen. Aber nur weil’s die ganze Zeit dunkel ist, entsteht kein düsterer Film und nur weil am Ende ausnahmsweise das Böse das Gute einsackt, will ich noch lange keine Fortsetzung sehen. Das Burns Imperium schlägt nämlich sonst gleich mit dem nächsten Verriss zurück.

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Die Dämonen der Straßen

Der Bus gelangte auf eine holprige Landstraße und begann seine instabile Lage in unruhigen Aufundabstößen zu demonstrieren. Sie war müde und lehnte halbschlafend an seiner Schulter. Er war hellwach und wünschte sich weg von ihr. Zusammengekettet waren sie, durch ihre kriminelle Partnerschaft in einem fremden Land.

Als die Stöße heftiger wurden, legte sie ihren Arm um ihn, um durch ihn an ihrem Halbschlaf festzuhalten. Von den fetten, irischen Wiesen war nun nichts mehr zu erkennen. Dunkelheit hatte das Land ringsum aufgefressen. Selten hatte er eine solche Finsternis beobachtet. Weit und breit kein Licht. Kein Haus. Keine Straßenschilder. Die Schmerztabletten fingen an, ihre Wirkung zu verlieren und sein Mund begann erneut zu pochen. Er seufzte leise, aber sie schien ihn nicht zu hören.

Bald sah er durch die Windschutzscheibe des Busfahrers – ein Mann mit Mütze im künstlich purpurfarbenen Licht des Busses – die Scheinwerfer eines Autos auf sich zukommen. Die Straße war eng, jemand würde ausweichen müssen, der Bus wurde langsamer. Die Scheinwerfer kamen näher und das purpurne Licht im Bus verlosch, verglühte langsam, bis er vollkommen im Dunkeln saß. Er schien plötzlich allein in diesem Bus zu sein. Er konnte selbst sie weder sehen, noch riechen. Ihr sonst so lautes Parfüm war verstummt.

Die Scheinwerfer des Autos erfassten den Bus, dessen Inneres, erfassten ihn und mit einem Mal kam ihm der Gedanke, dass der Fahrer dieses anderen Wagens der Teufel war. Und obwohl er niemanden erkennen konnte, geschweige denn das Auto selbst sehen, glaubte er zu wissen, dass der Teufel ihn anlächelte. Und er ahnte, dass er nie jemand davon erzählen können würde aber er war sich sicher, dass der Teufel ihn gesehen hatte. Er wusste nun wer er war.

Nachdem die Scheinwerfer den ganzen Bus für den Bruchteil einer Sekunde vollständig erleuchtet hatten, war der Bus zum Stillstand gekommen. Dann war der fremde Wagen vorüber und der Bus fuhr wieder. Sie küsste ihn auf die Wange und das purpurne Licht war wieder da. Er vergrub eine Hand in ihrem Haar.

Später als sie den Küstenort Connemara erreicht hatten, lagen sie wach und regungslos in ihrem Pensionsbett. Niemand sprach. Von draußen hörten sie das kränkliche Jammern einer Möwe und das monotone Pfeifen einer Autoalarmanlage. Vierzig Minuten später waren beide eingeschlafen. Sie träumten vom Tod ihrer Angehörigen und vom Ausgestoßensein.

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Fraktale IV: Tod

Der Tod selbst hat keine Definition, wir haben kein Wissen von ihm, er hat weder Raum, noch Zeit. Das gesellschaftliche Wesen Mensch wird im Augenblick des Todes zum Einzelnen. Der Tod provoziert den intimsten Moment des Selbst. (aus Fraktale-Berlin.de)

Die Fraktale IV ist eine im Palast der Republik untergebrachte Ausstellung die das Thema Tod im weiteren und engen Sinne zugleich zum Thema hat. Bisweilen driftet die Auslegung des Motivs ins angenehm Surreale, zuweilen auch ins unangebracht Absurde ab. Der beste Beitrag gehört allerdings gar nicht zur eigentlichen Ausstellung: Der Balkon, welcher der Lounge der Ausstellung als Außenbestuhlung dient.

Ein laues Lüftchen an einem viel zu warmen Oktoberabend, ein herrschaftliches Panorama, die glitzernden Lichtern von Unter-den-Linden im Zentrum des Blicks, lässt einen thronen und mental machthaben und ist ein exzellenter Denkzettel an die Vergänglichkeit der Dinge. Der herrschaftliche Blick mag derselbe wie einst aus der Fensterfront des Palastes sein, das Gebäude im Rücken ist jedoch ein verwestes Gerippe, das kurz vor der eigenen Beerdigung steht. Wie ironisch, wie passend, wie schön.

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Schädelhöhe

Sein Glück hängt an einem seidenen Faden, als er die Königinstraße in Richtung Odeonsplatz entlang läuft. Die alten Villen zu seiner Rechten und der Englische Garten zu seiner Linken beschützen ihn, geben ihm Deckung, solange bis er in die schutzlose Weite des Odeonsplatzes hinaustritt. Vor die Flanken der unbarmherzigen Feldherrnhalle, die ihn zum Rückzug an den Rand des Hofgartens drängen, wo der Eingang zur Unterwelt darauf wartet, das Mädchen wieder in seine Biografie zu spucken. Es ist eisig an diesem Novembertag und er hat sie das letzte Mal an derselben Stelle im August gesehen.

Sie hatte ihn bei der Hand genommen und ihn an eine bestimmte Stelle des Hofgartens geführt, von wo aus man die Kirche angeblich besonders gut sehen konnte. Sie hatte ihm stets die Augen für die Schönheiten dieser Stadt geöffnet, sie hatte ihr eine Identität verschafft und sie unabspaltbar mit sich selbst verbunden und jetzt hatte er zwar die Stadt und den Salat, nicht aber sie.

An diesem grausam kalten Novemberabend erinnern die Türme ihn an Totenköpfe und die um die Türme kreisenden Fledermäuse, die er im August noch als possierlich empfunden hatte, erscheinen ihm nun wie stumme Wächter eines ganz hässlichen Geheimnisses: Dass die Türme dieses ach so verehrten baulichen Glanzstücks in Wahrheit Schädel darstellten und alle jene verhöhnten, die nie hinter ihr Geheimnis gekommen waren.

Er versteckt sich in dem umnachteten Eingang zum Hofgarten und bewacht den Ausgang der Unterwelt. Wenn sie an die Oberfläche kam, brachte sie stets diesen Glanz mit sich, dem er sich nie entziehen können würde. Sie brachte dieses Strahlen, das unmöglich ihrer schwarzen Seele entspringen konnte, nur ihren hellen, wässrigen Augen und ihrem blonden Haar. Er raucht eine Zigarette in dieser fürchterlichen Kälte. Seine behandschuhte Hand zermalmt fast den Filter vor Nervosität. Sie soll ihn rauchend sehen. Sie soll ihn fauchend sehen. Ihn kämpfend, nicht resignierend, ihn rasend, ihn wütend, ihn wollend, ihn fordernd, ihn unnachgiebig, ihn tapfer, nicht ihn wartend. Nicht ihn wie er auf sie wartet

Natürlich kommt sie zu spät. Sie war immer zu spät und er hat das Warten so satt. Sie hatte ihn vor Jahren das erste Mal hierher beordert, es war genauso bösartig kalt gewesen, es war diesselbe schutzlose Weite und diesselbe Zuflucht an den Toren zum Hofgarten, wo er gelauert hatte. Und sie war zu spät gekommen. Sie waren stundenlang durch die Stadt gelaufen, gejagt von einer übelmeinenden Kälte. Sie hatte sich beklagt, dass er zu unverbindlich sei und er hatte sich nicht getraut, ihre Hand zu nehmen. Sie hatte von einem Leben erzählt, an das er sich nicht mehr erinnern konnte und wollte und hätte er geahnt, dass er es nochmals leben müssen würde, dass er wiedergeboren im Feuer jugendlicher Todesnähe würde, er hätte sich glatt von der Schädelkirche gestürzt. Doch er hatte auf eine wärmende Umarmung in dieser allesverneinenden Novemberkälte gehofft. Eine Umarmung, die er in keinem Sommer und in keiner Jahreszeit je von ihr bekommen würde. Doch nie hätte er klein beigegeben. Nie sich der Kälte gebeugt, nie sich die Blöße gegeben, die Augen zu verschließen vor diesem bitterkalten Strahlen ihrer Augen.

Als sie endlich auftaucht, geht er langsam auf sie zu und umarmt sie. Sie spricht ganz leise und es klingt wie eine geheime Botschaft, die er nicht entschlüsseln kann. Er hat sie seit August nicht mehr gesehen und er will endlich die Kälte vertreiben, die Veränderung in Gang stoßen. Die Schädel schauen stumm dabei zu wie er mit ihr langsam über den Odeonsplatz in Richtung Ludwigsstraße schreitet.

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Das Gespür fließt

Die Seelenraketen werden auf den Weg geschickt und erwecken dabei die alte Traurigkeit. Unten stehen wundersam blaue Straßenlaternen und erleuchten mit ihrem weichen Licht den Weg. Egal ob das grelle Weiß die sanften Schatten beiseite schaumschlägt, das Gespür fließt. Ein glitzernd weißer Fluß aus Schatten. Das Gespür bewegt sich. Ein glitzernd schwarzer Fluß aus Schatten.

Unbegrenzt umblätterbare Notizblöcke nehmen das ganze alte Leid auf und sind bereit für göttliche Einträge. Es brennt nicht mehr so auf der Haut. Egal, ob die Zeugen in meinem Kopf bereitwillig aussagen oder meine Hoffnung mein Erinnerungsvermögen vollends verwässert. Egal, ob dieser erstaunliche Wille mir immer noch beisteht, das Gespür fließt. Ein glitzernd weißer Fluß aus Schatten. Das Gespür bewegt sich. Ein glitzernd schwarzer Fluß aus Schatten.

Das alles umspannende Geflecht aus Ruhe wird artgerecht zusammen mit allen fünf Sinnen verpackt. Oben drauf legen wir diese rastlos komponierenden Ideen, welche Zäune niederreissen können. Es spielt keine Rolle ob dieses vollmundig versprochene Leben vorbei geht, egal ob dieser seltsam stattliche Wille an meiner Seite ausharrt, egal ob das grelle Weiß die sanften Schatten beiseite schaumschlägt, das Gespür fließt. Ein glitzernd weißer Fluß aus Schatten. Das Gespür bewegt sich. Ein glitzernd schwarzer Fluß aus Schatten. Das Gefühl wächst.

(frei übersetzt nach „Feel Flows“ von den Beach Boys. Erschienen auf dem Album „Surf’s Up“. )

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Bilder einer Ausstellung

Ich beim Bierholen in langer Schlange. Ich beim Whiskey-Cola trinken. H. sagt: „Der Typ auf dem Bild sieht aus wie der Zombie aus Gothic 2“. Ich beim Bierholen in langer Schlange. Ivar auf der Suche nach der Toilette. Ivars Freund Magnus auf der Suche nach der Toilette. Ich beim Bierholen in langer Schlange. Ich und H. auf der Suche nach neuen Cover-Motiven. Ivar auf der Suche nach Magnus. Magnus auf der Suche nach Ivar. Ich, H. und Ivar beim Konsum von starkem isländischem Schnapps. Ich im zwanglosen Thekengespräch mit dem Berliner Umland. Lärmiger Ausstellungsraum voller betrunkener Isländer mit einem Haufen Spagetti auf dem Boden. Ich und H. im Strandbilder-Expertengespräch mit attraktiver Galeristin. H. im Fachgespräch mit Sicherheitspersonal: „Gehört der schlafende Hund zur Installation?“ Ich auf der Suche nach der Toilette. Ich beim Bierholen in langer Schlange. Ivar beim Umarmen von jedem neuen Gesprächspartner. Ich im Fachgespräch über die Möglichkeiten von fertigen Architekten auf dem Produktdesignerstellenmarkt. Ivar beim Vergessen sämtlicher Namen sämtlicher neuer Bekannter. Ich in langer Schlange vor dem Klo. H. auf der Suche nach Blättchen. Wankender Ivar inmitten einer betrunkenen Bande lauter Isländer. Ivar auf der Suche nach Zigaretten. Ivar an alle Zigaretten ausgebend. H. beim Bierholen in langer Schlange. Ich endlich betrunken.

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Teenage Dirtbäck

(Nach dem infamosen Erfolg der Backwarenserie, jetzt der große Heimatbäckerroman)

Sehen sie sich das Foto unter dem Artikel an. Wenn sie sich jetzt nach links wenden und die Hauptstraße bis zur großen Kreuzung hinauflaufen, dann stehen sie nicht nur vor dem Maibaum (falls er nicht gestohlen wurde), sondern zu ihrer Rechten befindet sich auch die Bäckerei Pfifferling. Stellen Sie sich nun vor, Sie wären wieder vierzehn und folgendes spielte sich ab:

Sie kommen mit ihrem roten Klapprad, das Sie Knight Biker getauft haben und dem Sie schwarze Punkte aufgesprüht haben, so dass es aussieht wie ein Marienkäfer, also Sie kommen mit diesem Fahrrad mehr angesprungen als angefahren, mehr angepfiffen als angerauscht. Den Bordstein vor der Bäckerei springen Sie mit Knight Biker und Bravour locker hinauf, hauen oben noch eine Vollbremsung und den anwesenden Kollegen einen Servus hin. Dann betreten Sie die Bäckerei Pfifferling, wo Sie der Bäcker Sepp betreten ansieht, weil schon wieder die grünen Frösche, welche Sie so unbändig gerne verzehren, ausständig sind. Als Surrogat muss Esspapier, die Brauseuhr und eine Speckschlange herhalten. Der Bäcker Sepp beugt sich über die Vitrine und sein unwahr wirkendes, ellenlang pomadiges Rockabillyvorderhaar trieft sanft über die Backwaren, während er nach ihn molestierenden Fliegen schlägt. Es ist Sommer in Grafentraubach.

In der Bravo trägt die Sängerin Sandra einen Minirock, darunter eine schwarze Nylonstrumpfhose mit weißen Ringelsöckchen darüber und sie selbst tragen weiße Tennissocken über der hautenganliegenden Stretchjeans. Draussen sitzen schon die Compadres und begrüßen Sie mit wenig virilen Spitznamen wie Wum oder Wende. Um 13 Uhr kommen die Mädchen aus der Schule aber Sie nennen sie nur unterkühlt „Die Weiber“. Ihre Freundin hat Nachmittagsunterricht und so berichten Ihnen deren Freundinnen, dass Sie von ihr in der Hauptschule Laberweinting mal wieder als „der Depp“ tituliert wurden. Das verweisen Sie freilich ins Reich der Legende und kaufen sich noch ein Calippo, reden mit „den Weibern“ über die neue Destruction-Platte und zeigen bei der Gelegenheit ihr bestes Stück, haha, die „Creeping Death“ Maxi von Metallica in grünem Vinyl, her. Alsbald stößt Ihre Freundin, die man landläufig Frieda Frosch nennt, zu der Gruppe, doch sie tut so, als kenne sie Sie nicht. Sie lassen sich Ihre Bestürzung nicht anmerken, kaufen noch einen Bazooka Joe (Kaugummi) und überlegen, ob sie Frieda nicht demnächst mit Schimpf und Schande vom Hof jagen sollten.

Zunächst aber sollen „die Weiber“ hingehen, wo der Pfeffer wächst, den Sie neulich statt Salz zum Tequila probiert haben. Jetzt wird erstmal mit den Compadres über Fußball gesimpelt, doch als die Rede darauf fällt, warum Sie am Mittwoch nicht im Training waren und dass der Pommern Franz, der Ex-Dorfpolizist von Mallersdorf und jetziger A-Jugend Trainer sich darüber mokiert hat, lenken Sie das Thema geschickt auf die Dorfbandenrivalität, die entstanden ist, weil der Hunze was mit der Rebecca angefangen hat, obwohl er doch noch mit der Leitner Michi beinander war und deren Bruder jetzt deswegen sauer ist.

So streicht der träge Sommernachmittag ins niederbayerische Flachland kurz vor der Oberpfalz und bevor Sie sich wieder auf den Weg zu dem auf dem Foto abgebildeten Ausgangspunkt machen, verabreden sie sich mit den Compadres und „den Weibern“ auch für den nächsten Tag wieder „beim Bäck“.

Stellen Sie sich das nur einmal vor.

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Besuch aus der Provinz

„I take my rage to town, I’ve come to tear you down.“

Seit Monaten habe ich darauf gewartet. Jetzt gehe ich in die Stadt hinunter. Vielmehr steige ich hinunter. Zu dem Pöbel, zu den ungerecht Thronenden und den ungerechterweise Enthronisierten. Euer Schnapps und eure Weiber, alles gehört jetzt mir. In bestechender Rücksichtslosigkeit werde ich euch schamanisieren und keinerlei Betreuung spenden, wenn jemand mein Lebensmodell gefällt. Ich scheiß auf jeden feuchten Händedruck, ich will euer Blut an meinen Händen sehen. Ich will, dass ihr euch fürchtet, ihr dort unten in eurer weiß angepinselten und abgewinselten Stadt, wenn der Mann mit dem schwarzen Herz aus den Bergen kommt. Schließt all eure Kneipen und Läden, stellt die Steinigungen ein, denn ab morgen trage ich das Feuer unter euch, und ihr Hundesöhne und Töchter werdet in Flammen aufgehen, wenn ich komme. Die Krüge hoch.

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