Das falsche Tagebuch: 30. Juli 2015

Schon kurios, wie die Leute in meinen Facebook-Kreisen sich gegenseitig Anti-Nazi-Kampagnen hin- und herschicken. Bringt exakt NULL, weil ja keiner von denen ein Nazi oder Fremdenfeind ist (nehme ich an) und keiner von denen Fremdenfeindfreunde in seinem Facebook-Freundeskreis hat. Vielleicht einfach mal ein paar Leute von der Straße weg befreunden, damit man auch Leute erreicht, die nicht so koscher denken. Ansonsten scheint mir das alles nur ein selbstgefälliges Rufen in den Wald zu sein.

Apropos Rufen. Gestern beim Karaoke tolldreistes Zeug gesungen. We Built The City, vier Katy-Perry-Lieder, Linkin Park (würg, aber dann doch auch reizvoll, so zu gröhlen wie Chester Bennington), Call Me Maybe (bester Zuckerpopsong der letzten Jahre), Hotel California und Sex On Fire (wie gemacht für meine Stimmlage und bestialische Sentimentalität).

Was ich aber sagen will: sieht man die Gesichter der Leute in den Kabinen da unten im Monster Ronson’s, wie sie in Ekstase und ernstgemeinter Freude entgleisen, in ihrem musikalischen Geltungsdrang den egomanischen, tödlich gesellschaftlichen Geltungsdrang vergessen, alle zusammen an einem Strang und Mikrokabel ziehen, muss man sich fragen, ob die Hebelumleger, Funktionäre und Funktionalisten, die Politiker und Menschenleben-Verwalter nicht auch einfach mindestens einmal die Woche alle zusammen Karaoke singen gehen sollten, statt sich auf ihren bescheuerten Gipfeln zu treffen und in erster Linie Haltung zu bewahren. Im Karaoke ist die Haltung, die Haltung zu verlieren. Aber eben alle zusammen und alle für einen und so weiter yada yada. Karaoke unterscheidet den Menschen nämlich eigentlich vom Vieh.

Das falsche Tagebuch: 15. Juli 2015

Wünschte, ich könnte nachts nicht schlafen. Könnte nämlich die ganze Zeit schlafen. Den ganzen Sommer hindurch. Wetter ist mir egal, aber ich ihm nicht. Es macht mich absichtlich wahnsinnig, meine Haut, mein Immunsystem. Zirka 15x im Telekomladen gewesen. Motherfuckers. Zirka 15x hat der Filius diesen Monat das Frühstück zurückgehen lassen. Motherfucker. Nein, natürlich nicht, ich verstehe ihn. Es war halt nicht so wie er sich das vorgestellt hatte. Wie soll ich ihn glaubwürdig schimpfen, wenn ich das gut verstehe. Es ist ja nie ganz so.

Die Übersetzung von diesem Thriller, in dem Leute in New Mexico ständig Geldscheine falten und die Sicherheitsbügel ihrer Colt Anacondas überprüfen, treibt mich in den Wahnsinn mir ihrer akribischen Schwüle. Abends esse ich nichts. Will das Gift loswerden, den Körperwohlstand. Kann man sich auch hineinsteigern. Wie in die Vorstellung, dass mit der Haut was nicht stimmt. Wenn man sich dann das Gesicht abschabt wegen der Vorstellung.

Das Griechenland-Theater. Das erste Mal denke ich, an Verlagübergreifendem Kampagnen-Journalismus ist was dran. Die deutsche Großkotzigkeit überrascht mich dennoch. Ich dachte, die Bescheidenheit nach dem Zweiten Weltkrieg hielte vordergründig noch an. Da lassen jetzt einige die Masken fallen. Einige, die das nicht sollten. Masken fallen lassen macht man lieber daheim. Nennt sich Zivilisation, nennt sich Respekt und Liebe. Ich muss jetzt aufhören, die Familie kommt und will irgendwas. Und es ist gut, dass sie jetzt schon da ist, auch wenn sie zu früh kommt und ich noch übersetzen müsste. Denn grade das mit Nick Caves Sohn gelesen, das hat mich verstört mit seiner Grausamkeit. Wie macht man weiter? Ich muss was trinken. Ich muss Duzi machen.

Über Herrn Schweinsteiger

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Das Problem bei an sich sehr spezifischen Themen wie Griechenland, Schweinsteiger und der Einstellung des Warnemünde-Express ist ja, dass Hinz und Kunz eine Meinung dazu haben und sie deshalb irgendwann zu Allgemeinplätzen werden, bei denen zwar alles schon gesagt ist, aber nie zum richtigen Zeitpunkt von den richtigen Leuten. Das maß ich mir jetzt auch bei der Causa Schweinsteiger nicht an, deshalb meine textliche Lieblingsdarreichungsform: Hirnfetzen. Und zwar auch als geiles, neumodisches Listendings.

1. Am Anfang war die Frisur. Und Gott sah, dass die Frisur beim Teufel war. Seriously, die ersten Wirkungsjahre konnte man gar nicht hinschauen. Kann also nichts über die Leistung sagen.

2. Irgendwann trat er dann als Comedy Duo mit Poldi auf. Da konnte ich dann nicht hinhören. Hielt ihn zu der Zeit aber eh für überschätzt, für zu passiv, immer erst auf den richtigen Pass wartend, aber nichts dafür tun wollend. Talent? Klar. Aber Talent hatte auch der Littich Sepp. Mehr sogar. Und schau, was der heute macht. Was macht er eigentlich? Mal meine Mama fragen, die kennt noch Leute bei uns im Ort.

3. Auch ohne Poldi hat er mich mehr geärgert als delektiert. Als ich noch an Fußballübertragungen in der Öffentlichkeit teilgenommen habe, habe ich immer reingebrüllt: „Gebt’s dem Schweinsteiger nicht den Ball.“

4. Dann kam der irre Holländer. Und Schweini wollte ab jetzt Herr Schweinsteiger sein. Und das mit Recht. Plötzlich huschte er nicht mehr, schlawenzte nicht mehr, er stand. Seinen verdammten Mann. Herr Schweinsteiger auf der Sechs, das war der heißeste und folgerichtigste Scheiß seit Oliver Kahn im Tor.

5. Multiplayer-Variante: Die Doppelsechs mit meinem geliebten Javi Martinez, die beste Erfindung seit doppeltem Espresso. Ein Doppel, das ein Triple verdient hatte.

6. Dann kamen die Verletzungen, kurz unterbrochen von einem Fight Club-Intermezzo namens WM-Finale 2014. Kurz mal mit Tyler Durden den WM-Titel gewonnen. Respekt. Zu der Zeit ließ er sich für meinen Geschmack aber schon viel zu oft den Ball nehmen, war schon zu zufrieden mit seinem Ruf als Sechsgott.

7. Unter Pep konnte ich nicht mehr wirklich beurteilen, was Herr Schweinsteiger taugt. Ganz erholt hat er nie gewirkt. Nach Alonsos erstem großen Auftritt gegen Schalke dachte ich: der spielt sich jetzt noch ein bisschen auf der Zehn, dann tritt er langsam etwas kürzer. Dann wurde Alonso schlechter und ich wünschte mir den Schweinsteiger of old zurück. Den mit Javi. Hell, ich wollte meine Triple-Doppel-Sechs zurück, if that makes any sense.

8. Und jetzt? Jetzt seh ich vollkommen ein, dass er noch mal seine grauen Schläfen in den Wind hält. Nur zum Erbfeind hätte er nicht gehen müssen, aber eigentlich ist mir auch das wurscht. Solange sein Abschied nicht aus den falschen Gründen so tränenreich ausfiel wie der vom armen Casillas. Ich lass ihn gehen, meinen Segen hast Du, Schwei . . . ich meine: haben Sie, Herr Schweinsteiger. Nur weil einer Traditionsspieler ist, muss er nicht bis zum nächsten Weltkrieg auch bei seinem Heimatverein spielen. Alles was sich tut, tut gut. Dass ich grad noch nicht sehe, was Rummenigge und Pep da für eine Mannschaft zusammenbauen, ist ein Artikel für einen anderen Tag.

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Kurzkritiken zu Minions, Slow West, The Imitation Game, Locke, The Impostor

MINIONS
Es war dieser rekordheiße Tag und ich bin im Kino eingenickt. Dann aufgewacht und es war mir zu kalt. Dem Kiddo das Popcorn weggefressen. Paarmal gelacht. Kiddo hatte offensichtlich Spaß. Die drei Main Minions waren putzig und glaubhafter dargestellt als so manche Figur in True Detective Season Two. Glaube aber, der Film hatte keine Handlung. Aber war witzig. Irgendwie.

SLOW WEST
Bester Neowestern seit The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford, obwohl ich The Homesman immer noch nicht gesehen habe. Die besten Western sind langwierige und sinnentstellte Reisen. Regisseur John Maclean war früher bei der Beta Band, kein Wunder, dass der Film einen so guten Rhythmus hat. Fehlt ja den meisten. Und ja, die Musik ist großartig: Jed Kurzel heißt der Mann. Fassbender spielt reinrassigen Anti-Held. Fast ein Klassiker. Time will tell.

THE IMITATION GAME
Nichts gegen den Cumberbatch, aber hier spielt er einfach nur eine paranoide Sherlock-Variante herunter, die nullkommaull zu dem Film passt. Völlig hysterisch und unüberraschend, völlig überbewertet, okayer Fernsehfilm im Bestfall.

LOCKE
Absoluter Irrsinn. Bauarbeiter-Thriller, der nur im Auto spielt. Gloomy as shit und dabei völlig Kriminalfallfrei. Mensch, Tom Hardy, du kannst was.

THE IMPOSTOR
Sehr intensive Doku über einen Hochstapler, den man so kaum erfinden kann. Ein paar Twists und Turns halten den Film auch zu einem Zeitpunkt am Leben, wo die Hochstapler-Geschichte auserzählt ist.

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