Das falsche Tagebuch: 22. Oktober 2015

Neulich im LaGeSo gewesen und Babykram vom Drogeriemarkt hingebracht. Scheinbar einen seltenen „guten“ Tag erwischt, Wetter war mild, Andrang kein Inferno, plus verhältnismäßig gute Laune im Haus R, wo Klamotten und Gebrauchsgegenstände gelagert werden. Und doch ist mir seit gestern so als hätte ich in das tiefste Loch im All gestarrt und es hätte zurückgestarrt. Das kommt, weil ich gelesen habe, dass auf dem Gelände eine Frau „suizidgefährdet und katatonisch“ herumirrt und nicht entsprechend betreut wird, weil man ja mit der körperlichen Gesundheit der Leute schon überfordert ist. Der Zustand der Frau ist der Tatsache geschuldet, dass man auf der Überfahrt ihr Baby über Bord geworfen hat, weil es geschrien hat und das ist eigentlich mit das Schlimmste was ich jemals im Leben gehört habe. Das hätte ich vermutlich schon behauptet, bevor ich selber Kinder hatte, aber grade jetzt, wo hier ein Baby auf vier Pfoten durchs Haus manövriert, ist das der noch viel nacktere Wahnsinn. Und dann schaust du dir so einen Pegida-Menschen von der Demo neulich an und hörst dir an, was ihm so fehlt im Leben oder wovor er Angst hat. Geh leck mich doch am Arsch.

PS: Wer die Einrichtung Moabit-hilft unterstützen will, kann und sollte das per Spende HIER tun.

Das falsche Tagebuch: 21. Oktober 2015

Ich fürchte, ich weiß nicht mehr, was da draußen wirklich passiert.

Ich konnte der allgemeinen Hirnverbranntheit zum Thema Flüchtlinge bisher immerhin abgewinnen, dass sie der Gesellschaft, die richtige Reaktion abverlangt, nämlich die pauschale Verdammung der völkischen Verdummung, die sofortige Instandsetzung eines moralischen Walls gegen die anachronistische, ja barbarische Existenzangst der „kleinen“ Leute, die sich in Fremdenhass und idiologischem Rückschrittsglauben ausdrückt.

Dann aber habe ich diese Pegida-Feier gesehen und diesen schrecklichen Möchtgernstaatszersetzer Pirinçci und mir ist flau im Magen geworden, weil diese Bilder nicht mehr nur den Effekt haben werden, dass die Leute sich ihrer kleinmütigen Angst und ihrer irrationalen Wut schämen, sondern bestätigt fühlen.

Und eben nicht verstehen, dass der Mensch nicht der Mensch ist, nur weil er der Mensch ist. Dass seine Gefühle und Bauchmeinungen weder Bestand noch ewige Deutungshoheit besitzen. Der Mensch hat einen Intellekt, der sich über die Jahrhunderte weiter entwickelt hin zu einem bisher noch nicht definierten Zustand, von dem ich aber zumindest weiß, dass dieser hosenschissige Neid auf alles, was man angeblich auch selbst verdient hätte, keinen Platz mehr hat. Sollte ich mich irren und Europa ins rechte Nichts absinken, wohin zieht man am besten? Kanada?

NACHTRAG: Hab jetzt erst kapiert, dass der Pirincbums im selben Verlag wie ich auswirft. Bevor ich aber meine Abscheu brieflich aufsetzen konnte, las ich das hier. Besser als nichts.

Berliner Western

Das ist ein Lied aus meiner Geisterstadt-EP, die’s ab heute bei BANDCAMP entweder zu schnorren oder zu kaufen gibt. Entirely up to you, Publikum. Gedreht haben das mit mir Lüder Lindau und Isabella Nadobny. Tausend Dank dafür. Und: alles aus dem Video ist in Schöneberg gedreht. Von der chinesischen Whiskey-Bar bis zur Dorfkapelle, die haben da alles.

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Das falsche Tagebuch: 8. Oktober 2015

Es ist Oktober. Bald wird der Sand aus den Schuhen im Flur weniger werden. Ruhig Blut, noch beschwert sich der Hausmeister. Aber die Brücken sind nachts jetzt schon leer. Vor dem Bode-Museum herrscht eine epidemie-artige Leere, als ob der Ausgang nach 20:00 Uhr verboten ist. Das Licht hat noch ein paar Fäden vom Sommer, die Luft schon ein paar Stehlen des anreisenden Winters. Eltern, die ihre Kinder für das nächste Jahr in der Schule anmelden müssen, ergreift eine präpotente Bildungs- und Übervorteilungspanik und je dunkler es draußen wird, desto mehr wünsche ich mich in den Geisteszustand eines studentischen Slackers zurück. Ein Beruf aus dem vorigen Jahrhundert, ja Jahrtausend. Ein großer Aufschieber war ich eigentlich nie, aber Aufstehen, Aufräumen, Genauigkeit und Lebensplanung waren nun mal keine Prioritäten. Jetzt erfasst mich die Akribie jedes Jahr ein bisschen mehr, am Ende werde ich noch zum Erwachsenen. Was sollen meine Kinder von mir denken?

Ich hör grade den Zündfunk-Streifzug durch die musikalische Regensburger Nacht mit meinem alten Kumpel Sailo als Conférencier. Eine nicht unangenehme Melancholie beschleicht mich. Eine Erinnerung an eine Zeit, an der man nur Musik machen wollte. Sonst war echt alles egal. Hin und wieder hat eine neue Freundin dieses Interessensembargo durchbrochen, aber nach einem halben Jahr war die Musik wieder Nummer eins. Heute ist sie Nummer 47, alle haben Kinder, alle wollen einschulen. Ich nehm grade mit Gebruder eine neue Platte auf und hab schon ein schlechtes Gewissen, wenn ich so wie gestern drei Stunden Gitarrensolos einspiele. Selbst meine Frau, die ehemals nicht unerfolgreiche Ex-Musikerin, begegnet mir immer so ein bisschen mit einem inneren Kopfschütteln, wenn ich über zweistimmigen Leads brüte.

Wenn man davon absieht, dass Millionen von Leut um ihr Leben rennen und noch viel mehr Millionen auf sie wie auf High-School-Loser herunterschauen, geht es uns besser als je zuvor. Das Altwerden macht viel weniger mürbe als wir dachten. Trotz doppeltem Bandscheiben-Zerfall bin ich fitter als je zuvor im Leben, abgesehen von dem einen Sommer, wo ich mit Hosenträgern und oben ohne in Regensburg Fahrrad über die Kumpfmühler Brücke gefahren bin und von einem eifersüchtigen Mann Lob für den Oberkörper bekommen habe. Ja, sowas ist mir immer noch wichtig. Ich begreife Eitelkeit sowieso nur als Malus, wenn man sie unterdrückt wie eine notorische Flatulenz.

Das Kind fragt mich neuerdings bei jedem Land, von dem ich rede, ob da Krieg herrscht. Das geht dann so:
„In England gibt es die Iron-Man-Figur, die du willst.“
„Fahren wir bitte in Urlaub dahin?“
„Nein.“
„Warum? Ist da Krieg?“
„Nein, nur schlechtes Wetter.“

Kurzkritiken zu Sicario, Inside Out (Alles steht Kopf), Love And Mercy

SICARIO
Einer meiner Lieblingsautoren von grantland.com hat den Film als „Apocalypse Now“ des War On Drugs beschrieben. Die Gemeinsamkeit ist der bildhafte wie ganz konkrete Abstieg in ein soziales und kriminelles Inferno, das spätestens ab der Tunnelsequenz surreale Züge annimmt, hence der Coppola-Vergleich. Dabei darf die in jedem Sinn gebeutelte Protagonistin Emily Blunt schon früh im Film einen Sneak Peak auf die Spitze des unterirdschen Eisberges werfen. Und auf der Spitze liegt die Grenzstadt Juarez und sie ist Kulisse der vielleicht spannendsten Polizeiseskorte der Filmgeschichte. Was Denis Villneuve aber noch besser kann als Drehbuch (wer weiß, ob das wirklich so gut ist, wenn man mal genau überlegt) und Metaphern, ist Filmemachen. Die hämmernde Filmmusik, als ob im Keller Trent Reznor eingesperrt ist, die Dauerbedrohung durch abschätzig sezierende Kameraeinstellungen – vieles ist Kunst, aber art for entertainment’s sake. Die Figuren und das was sie tun, ist simpel wie Einschusslöcher und trotzdem hat man das Gefühl, dass jede noch so absurde Nebenfigur (siehe die Texas-Rangers mit ihren 10-Gallon Hats) ein völlig autarkes Eigenleben führt. Der Film wirkt wie ein fürchterlich plastischer Bildausschnitt eines großen Schlachtengemäldes auf hellbraunen Landschaften. Und doch bleibt die Komplexität nur angedeutet: was man sieht, ist stets simpel, direkt und stellt keine alles übertönenden philsophischen Fragen. Man starrt einfach nur, graust und wundert sich. Dass Benicio del Toro, Emily Blunt und Josh Brolin mit einer unglaublichen Selbstverständlichkeit spielen, trägt freilich zu der perfekten Illusion bei, dass die Hölle ein ganz realer Ort ist und sich noch dazu langsam und immer weiter ausdehnt. Ein Film für Leute, denen es bei Netflix‘ Narcos noch zu sehr menschelte.

INSIDE OUT (ALLES STEHT KOPF)
Ein herzliches chaotisches Metapherngewitter mit noch genug Witz und moralischen Allgemeinplätzen, dass er grade so als Kinderfilm durchgeht. Trotzdem musste ich meinem Sohn noch nie so viel in einem Animationsfilm erklären wie hier. Fritz The Cat ausgenommen. Just kidding.

LOVE AND MERCY
Brian-Wilson-Biographie aus zwei verschiedenen Lebenszeiten. In der einen nimmt er grade das gottgegebene „Pet Sounds“ auf, in der anderen spricht er mit seinem Kühlschrank und lässt sich von der Liebe vor seinem narzistischen Psychotherapeuten Eugene Landy retten, den die Rock’n’Roll-Geschichte auch ohne Paul Giamattis maliziöses Spiel längst zum Beach-Boy-Antichrist abgestempelt hat. Die Sixties-Episoden haben ganz viel Flair, Musik und mit Paul Dano den richtigen Brian Wilson, die Achtziger lenken mit John Cusack als Wilson von der eigentlich Figur ab. Nicht weil er das schlecht spielt, sondern weil er halt John Cusack ist und sein Haaransatz ein merkwürdiges Eigenleben führt. Mein Highlight: Mike Love kommt im Film genauso schmierig und selbstgerecht rüber, wie ich mir das nach der Lektüre der tollen Wilson-Autiobiografie „Wouldn’t It Be Nice“ immer vorgestellt habe.

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Kurzkritiken zu Straight Outta Compton, It Follows, Ex Machina, Maze Runner, The Hunger Games: Mockingjay

STRAIGHT OUTTA COMPTON
Klar wartet man geradezu auf West Coast-Gangsterrap-Klischees. Aber trotz angedeuteter Polizeigewalt, sanft insinuierter hedonistischer Exzesse und ein paar putzigen Kraftwörtern haftet der Geschichte der NWA’ler etwas seltsam ungefährlich Disneyhaftes an, was mich beim ersten Anschauen gestört hat, mittlerweile ganz und gar nicht mehr. Weil einen das Biografische nicht sonderlich viel angeht oder berührt, ist man schnell und vorbehaltlos auf die Musik fixiert. Nach dem Film hat man vor allem Lust auf alte Ice Cube-Alben, der im Film quasi vom Original nicht zu unterscheiden ist. Ähnlich gut ist Eazy-E, ein bisschen zu verschmust: der nachweislich ehemalige Wifebeater und Beats-Schöpfer (worauf uns der Abspann ausdrücklich hinweist) Dr. Dre.

IT FOLLOWS
Mal eben mit links der beste Horrorfilm der letzten zehn Jahre. Manische und kaum dagewesene Kamerafahrten, großartige Soundkulisse, neue Bildsprache und das alles nicht zum Selbstzweck, sondern nur des Bedrohungsszenarios zuliebe. Jammerjammerschade, dass der Film so lieblos mit seinem eigenen Regelwerk bzw. seiner Schreckensprämisse umgeht, sonst wär das ein instant classic. Ist er vielleicht aber auch so.

EX MACHINA
Basic Instinct mit Robotern. Aber nur die Verhörszene. Nicht der gelegentlich zitierte neue Sci-Fi-Klassiker, denn da stören ein paar hohle, lediglich künstlich intelligente Philosophie-Plaudereien der Protagonisten empfindlich. In Kulisse, Musik und Atmosphäre dennoch eine sehenswerte Reise in die Einsamkeit der auf Eskapismus programmierten Seele, vor allem wenn man schon öfter in Wellnesshotels in Brandenburg war, da sieht es genauso aus wie in der überdimensionalen finnischen Saunahütte aus dem Film. Oscar Isaac spielt das Ding nach Hause, die Roboterfrau ist leider im wahrsten Sinne austauschbar.

MAZE RUNNER
Weil ich grad seh, dass die Fortsetzung in den Kinos ist, fällt mir ein, dass ich den ersten Teil sogar gesehen habe. Das Konzept vom tödlichen Labyrinth/menschlischen Experimentierkasten hat natürlich auch fast 20 Jahre nach „Cube“ immer noch was und die familienfreundlichen Schauspieler stehen dem nicht im Weg. Eingeschlafen bin ich im letzten Drittel dann trotzdem. Die Frau behauptet: war ganz amüsant. Aber das sagt sie auch über „Supernatural“ oder diese Serie, wo einer deine Mutter trifft.

THE HUNGER GAMES: MOCKINGJAY
Finde ich sehr mutig von den Machern, dass die Filme (Bücher kenn ich nicht) immer langsamer und bedrückender werden, und immer weniger passiert. Mein Cup Of Dystopia ist das aber nicht, vor allem, weil Jennifer Lawrence das mimisch scheinbar nur aus vertraglicher Verpflichtung löst und ihr Stylist offenbar auch.

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Gilliamesque

Ab 16. November 2015: meine Übersetzung von Terry Gilliams tolldreist bebilderter Biografie für Heyne Hardcore. War wirr und aufschlussreich zugleich, am Anfang wollte ich ihn hauen und am Ende ganz lang drücken.

Heyne-Link

Das falsche Tagebuch: 26. August 2015

Endlich in der Westernstadt El Dorado, Templin gewesen. Keinen Eintritt bezahlt, weil als „Authentiker“ durchgegangen, siehe Foto unten. Gute Kulissen. Wie aus einem Farbfilm von 1952. Viele Details. Keine Fassaden, sondern Häuser. Mit Interieur. Zweckdienlichkeit. Ein Theatersaal, am Saloon angeschlossen, dass du Howdy sagst. Mit ausgestopftem weißen Panther oder Puma oder was das ist. Alles an einem See, umringt von urzeitlichen Bäumen. Wirklich schön. Das Publikum: Schwamm drüber. Die Stunt-Show: Schwamm drüber. Das Essen: ok. Die Auswahl an Cowboyhüten: Frechheit. Mit System-Authentizität a la Westworld (übrigens bald eine vielversprechende HBO-Serie) hat das nix zu tun, aber ohne Kinderspielplatz, Currywurst und Quadfahren kommen ja keine Familien da draußen in der Brandenburger Prärie. Hab mich gefragt, ob es so naive Wild-West-Spektakelchen noch in den USA gibt. Politisch korrekt ist das Cowboy-und-Indianer-Spiel meiner Jugend ja nicht mehr. Damals wollte ich der Indianer sein: listig, behende und mysteriös. Heute eher der Cowboy: gebrochen, alkoholabhängig und ruchlos.

Danach an den See. Eine gemähte Badestelle, Sandstrand, keine Leute, kein Eintritt, kein Stress, niemand im Wasser. Von sowas träumt man als Stoderer (tiefsüddeutsch für Städtler). Dann umständlich nach Hause gefahren, viel gesehen, aber wenig Leute. Durch die kleinen Orte in Brandenburg fahren ist wie langsam durch die ehemalige Goldgräberstadt reiten, bei offenem Fenster kann man jeden persönlich grüßen, der auf seiner zerfallenen Veranda sitzt.

Dann im Stau gestanden und eine CD aus dem Fenster geworfen, die mich genervt hat. Im Radio kam was von einer brennenden Turnhalle neben einem Flüchtlingsheim in Reinickendorf. Ich hab mich immer vor dem Moment gefürchtet. Dem, wo das faschistische Grollen wieder aufsteigt. Weil ich seit meiner Jugend in Bayern mit den Lichterketten und den Republikanern (REP) nie geglaubt habe, dass das hässliche Grollen ganz weg ist. Man muss es nur wecken. Mein Vater sagt: Du willst nicht wissen, was die Leute nebenan über Ausländer denken, du willst es einfach nicht wissen. Niemand will es wissen. Und das ist das einzig Gute an der Misere jetzt: dass wir jetzt wieder dran erinnert werden, was für ein Deppenhaufen dieses Deutschland doch ist, wenn ein jeder sein Maul aufreissen darf. Und Achtung jetzt kommt’s: bedingungslose Meinungsfreiheit ist was für eine utopische Gesellschaft. Die grausigen Massen muss man erziehen. Mit Staatsgewalt und autokratistischer Faust, wenn’s pressiert. Weil dem Mensch an sich halt nicht über den Weg zu trauen ist.

Ich will mich aber nicht einreihen in die Heerschaaren der Neupriester auf Facebook und Konsorten. Ich muss auch nicht betonen, wie wenig fremdenfeindlich ich bin. Ich bewundere jeden, der was tut, is all I’m saying. Und selbst wenn er’s aus Geltungsdrang tut, scheißegal, wenn es Leuten nutzt, ja wenn es der Menscheit und den paar wenigen unantastbaren Idealen wie Großzügigkeit, Toleranz und Friedliebigkeit dient. Jetzt hab ich ja doch gepredigt. Sorry. Und ach ja, spendet doch auch was an die Leut in Syrien, oder die grade daherkommen. Hört man viel zu wenig in den Nachrichten über den Irrsinn da.

Das falsche Tagebuch: 10. August 2015

Dieses Mal ist aber wirklich nichts passiert.

Eine alte MAX-Ausgabe mit wahnsinnig viel Nupsies in die Finger bekommen. Letztes Aufbäumen von Mainstream-Sexismus getarnt mit 90er-Provokations-Coolness war das damals. Sagenhaft dümmlich und dabei auch noch ermüdend – das ist die größere Frechheit. Ich zitiere aus den Begrüßungsworten von Chefredakteur Jan-Eric Peters:

33° im Schatten, die Luft flimmert, unter den Füßen brennt der Sand. Zart glitzern Schweißperlen auf dem Körper einer schönen Frau. Der Duft von Sonnenöl und Meer, viel nackte Haut und aus dem Radio knarzt Heinz Rühmann „Jawoll, meine Herren, so haben wir es gern!“

Ich trauer den Neunzigern nicht nach. Aber ich trauer sowieso keiner Zeit nach. Man muss sich ja nur mal Fotos von sich anschauen, die älter als zwei Jahre sind. Immer stimmt irgendwas nicht. Immer würde man sagen: jetzt seh ich aber besser aus, oder jetzt bin ich aber souveräner. Die Vergangenheit ist immer falsch, wenn man ehrlich ist. Und die Zukunft noch nicht da. Und im Moment gibt’s ja meistens genug zu tun. Könnte man meinen. Die Kinder brauchen alle ein Jetzt, von deinen Zukunftsplänen haben die überwiegend einen Scheißdreck und deine Vergangenheit interessiert sie nur, wenn du die alten Captain-Future-Folgen auf Youtube anmachst.

Weil sich aber auch alle immer so unwohl in der Gegenwart fühlen. C’mon, wir sind doch alle nur ein kleiner abgeschiedener Haufen mit unser Anrührigkeit, unseren Papiergtiger-Idealen und unserer panischen Gewissenhaftigkeit. Wir kommen uns nur so viel vor, weil wir außer uns niemand kennen. Deshalb schicken sich auf Facebook auch alle gegenseitig Mahnschriften zur Flüchtlingsfeindlichkeit hin und her bis das Internet implodiert, weil es das Paradoxon nicht mehr verarbeiten kann. Nichts dringt nach draußen, alles bounct hin und her.

Hab das Pale Ale von Becks getrunken. Ist natürlich nur eine Light-Variante von einem echten Pale-Ale-Brummer (soweit ich das als Bierlaie beurteilen kann), aber das ist ja das Gute. Kommen die von Becks mit ihrem Frischewahn und machen ein Sommergetränk draus. Ich in der Strandbar ums Eck, Baby auf dem Arm, das andere Kind auf der Holz-Arche-Noah und das ist mein Sommer. Gegenwart, good enough for me. Und weil ich grade beim schleichwerben bin: Reese’s Pieces sind die smarteren Smarties.

Das falsche Tagebuch: 3. August 2015

Jetzt ist schon wieder nichts passiert.

Außer dass ich kurz in Nürnberg war, auf dem Bardentreff. Allerdings nicht als Aktivposten, sondern mit meinem alten Bloggerspezl (ja, sowas gab’s früher), Norbert dem Rationalstürmer, als Spektatoren. Wir sind auch kurz über den Rainald Grebe-Auftritt gestolpert, aber der Kollege Ratzinger hat gesagt, ihm ist das zu Studienratlustig. Und ich, der bisher keine Meinung hatte, hab mich in dieser Meinung wiedererkannt, konnte beinahe die gesamte Freie Wähler-Spitze Niederbayerns plus Studienräte und Knallchargen von der CSU vor meinem geistigen Auge bei einem Auftritt im Haus der Generationen, Mallersdorf sehen.

Gut, dass wir in dieser mondklaren Nacht über Henkersstege, Liebesinseln und Karlsbrücken geeilt sind, um letztlich bei einer fränkischen Countryband namens Bullfrog oder Catstomp oder Bullcat oder Catbull – Name vergessen – zu landen, die vor dem Kaufhaus Wieseler & Mahler aufgespielt haben, wo laut Norbert hin und wieder Angebote in den Schaufenstern auf Russisch ausgeschrieben werden, um die solvente Kundschaft anzufreunden. Es war ein schönes Konzert, nur leider mussten die Countristen akustisch gegen einige dieser emotionalen jungen Leute von heute ankämpfen, die ihre geklonten Andreas-Bourani-Organe nicht im Griff haben. Der Ratzinger und ich haben kurz überlegt, wie es wäre, in Nashville von Countryclub zu Countryclub zu schweben und überall diese selbstbewussten Frauen mit dem kauenden „r“ zu hören, aber der Norbert hat eine Amerikaphobie und ich eine Familie.

Was war noch? Ach so, gar nix, stimmt. Der Zug zurück ist in Leipzig verendet. Der blieb tot auf Gleis 12 im Hauptbahnhof stehen, inmitten meines Wrestling-Podcasts mit Peter Rosenberg und David Shoemaker. Ich hatte den Sohn dabei, hab ihn gepackt und in den nächstbesten Zug geschubst, wo er iPad geschaut und die Familie neben uns UNO gespielt hat. Mal sehen, welches Erziehungsmodell sich am Ende als das bessere herausstellt.

Am Abend hat dann Bayern den Supercup wieder nicht gewonnen, weil Wolfsburg besser war. Der Pep hat nervös gewirkt und ich hab zum Sohn gesagt, der Pep bleibt noch bis der nächste Sommer anfängt. Das hat ihn getröstet, das hat er auch so der Mama erzählt. Er mag den Pep und er hat Recht mit seinem Mögen, auch wenn sich der Pep beim FC Bayern ein bisschen von World-Domination-Coach zu Bundesligaregent zurückentwickelt hat. Aber die großen Titel kommen schon wieder. Nur halt nicht mit uns. Beim Elfmeterschießen war das Kiddo schon im Bett. Elfmeterschießen ist eh nur Computerspiel. Quicktime-Events nennt man das da.

Und was passiert diese Woche noch? Nix, glaube ich. Mein Artikel über Lars Eidinger ist grade im aktuellen Rolling Stone erschienen und vielleicht mag ihn der ein oder andere lesen, nicht nur, weil ich glaube, dass man den Lars Eidinger so sehen soll, wie ich ihn da zeige, sondern auch weil ich in der Summe ein halbes Jahr an dem Ding herumgearbeitet habe. Hunter S. Thompson für Studienräte quasi.

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