Das falsche Tagebuch: 24. November 2015

Neulich mit dem Intercity nach Erlangen gefahren. Und wieder zurück. Am Tisch vor uns saßen ein paar ältere Damen und ein älterer Mann. Die haben stundenlang so plüschige Sätze von sich gegeben wie „Man muss doch auch ein Hobby haben“ oder „die deutsche Tanne ist gesund“.

Und so einengend und finster ich die Achtziger teilweise in Erinnerung habe, so sehr habe ich mich nach diesen furchtbar faden Kaffeekränzchen gesehnt, zu denen einen die Mama mitgeschleppt hat, die sie sicher aber auch selber fad fand. Man sitzt mit der Han-Solo-Figur und der Schreckschusspistole unter dem Tisch und kann keine Vanillekipferl mehr sehen, während oben die Leute an Kaffee auf sanft klappernden Untertassen nippen und draußen der Schneeregen fällt.

Wie in besagtem Intercity. Auf der Hinfahrt war ich beinahe allein im Zug. Das war wie Urlaub. Hab mir im Geiste notiert, das nächste Mal in Jena Paradies auszusteigen und ins Phyletische Museum zu gehen. Habe außerdem „phyletisch“ gegoogelt. Höre dauernd „Dirty To The Bone“ von Jeff Lynne’s ELO. Der fatalistische Wunsch nach Unsinn steckt da drin, oder vielleicht höre auch nur ich ihn heraus.

Das falsche Tagebuch: 16. Oktober 2015

Das Attentat von Paris hat sich das vor ein paar Jahren in Mumbai zum Vorbild genommen. Und damit die naheliegendste und schrecklichste Form von Terrorismus gleich nach Amokläufen an Schulen gewählt: innerstädtisches Nachtleben über den Haufen schießen. In einem Moment zuschlagen, wo die Leute sich aus dem Leben der Kriege und schlechten Nachrichten zurückziehen.

Jetzt schwingen wir wieder alle große Reden auf Facebook und finden plötzlich die Eagles Of Death Metal gut, als hätte es die erwischt. Dabei ist deren Sänger Jesse „The Devil“ Hughes selbst ein Waffennarr und bei NRA. Viel wichtiger als jetzt als irrsinnig mitfühlender Mensch dazustehen ist doch, sein Leben nicht nur maximieren zu wollen, das ist es doch, was alle in den Wahnsinn treibt. Die einen wollen das Maximum an Geld, die anderen das Maximum an Allah oder die maximale Anzahl an Jungfrauen im Paradies, ganz andere die maximalen Likes auf Facebook und die größten Deppen ein Maximum an Volkstümlichkeit.

Sich selber zurücknehmen, schauen was links und recht passiert und nicht immer gleich die einfache Meinung haben, nur weil die Wahrheit so ungemütlich komplex ist. Helmut Schmidt war auch nicht der beste Politiker Deutschlands, aber auch nicht das der reaktionäre Leibhaftige. Der Tod macht die Leute immer dermaßen wuschig, dass sie nur noch in Euphemismen oder völligen Deformationen denken wollen.

Neulich ist Dickie Hammond gestorben, Gitarrist von Leatherface. Das ist noch vor Iron Maiden immer meine Lieblingsband gewesen und ist es wahrscheinlich immer noch. Der Sänger Frankie Stubbs hat schon vor zwanzig Jahren eine Gesellschaft wie die jetzige vorhergesagt. Und wie konnte er das? Weil die damalige dieselben Maximen gehegt und gepflegt hat. Ich zitiere mal eben meinen Lieblingstext, der auf den ersten Blick so belanglos wie profan aussieht, auf den zweiten aber in ein paar Zeilen alles sagt, was man über den Menschen und das was ihm vorschwebt wissen muss.

A life full of grand ideas
A life full of grand designs
Of noble feats and noble minds
An entire lifetime of petty crime
A life full of pound signs

(Leatherface – Fat Earthy Flirt)

Und dann noch auf einem Laternenumzug gewesen. Und beim Kinderarzt. Und meine Tochter ist ein Jahr alt geworden. Und das Leben ist weitergegangen wie immer. Das ist vielleicht seine größte Qualität. Dafür nehm ich Altwerden gern in Kauf.

Am Freitag, den 20. November spielen meine The Gebruder Grim übrigens im Schokoladen in Berlin. Wir spielen neue Lieder, in denen es meistens ums Weitergehen geht. Auch wenn wir musikalisch 1986 stehengeblieben sind.

Kurzkritik zu Spectre

Machen wir es kurz: Dieser anachronistische Blödsinn muss bitteschön aufhören. Der Sexismus, der Verschwörungsquatsch, die lieblosen Drehbücher, das infernale Verbrennen von Millionen für sinnlose Setpieces, das kackdreiste Product Placement die nach zwei Minuten in die Luft fliegen, die unfehlbare Trefferquote in Feuergefechten, die mittelalterliche Darstellung männlicher Heroik und Daniel Craig.

Nicht weil er ein mieser Schauspieler ist, er ist eben grade ein guter. Weshalb man ihm förmlich anmerkt, wie zuwider ihm das antiquierte Possenspiel ist. Christoph Waltz geht’s ganz ähnlich, nur kompensiert der sein Desinteresse mit völlig standartisiertem Bond-Bösewicht-Gehabe, das so berechenbar abläuft, dass man sich noch nicht mal mehr die Mühe macht, zu erläutern, was der Big Bad denn nun eigentlich genau wollte – Weltherrschaft versteht sich ja eh von selbst. Ich werde auch nie verstehen, warum Bond am Ende jedes Films ins HQ vom Erzfeind fährt und zur Vordertür reingeht, so als wüsste er eh, dass der Superschurke an sich zu blöd ist, um ihn lange gefangen zu halten.

Und dann doch noch ein Wort zu den Frauen. Furchtbar, wie die grandiose Monica Belluci Bond als eine Art sexuelles Gnadenbrot abkriegt und sich Bond freilich aber dann wieder auf die dreißig Jahre Jüngere konzentriert. Da ist dann auch drauf geschissen, dass sie mit Psychoanalyse und Schusswaffen gleichermaßen emanzipiert hantieren kann, empowered wirkt das noch lange nicht. Zu allem Überfluss war der Film dann auch noch lang und langweilig, lediglich die Angangssequenz in Mexico City verströmt eine gewisse cineastische Magie, was aber auch einfach nur an der per se umwerfenden Grafik des Dia de los muertes-Feiertags liegen mag.

Man verstehe mich nicht falsch, ich habe nix gegen Bond, aber gebt mir Idris Elba, gebt mir runterskalierte Konkflikte und echte Bedrohungen und bitte vor allem echte Frauen.

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Das falsche Tagebuch: 5. November 2015

Ich weiß. Manche halten mich für überheblich. Manche sagen, ich kann eigentlich gar nicht so viel wie ich immer tue und manche behaupten, ich und meine Arbeit sind vollkommen irrelevant. Und alle von den Manchen haben Recht. Ich fühle mich schon immer als wandelnder Trial und Error. Ich mach ein paar Sachen richtig, aber dann auch wieder so viel Naives und unnötig Selbstgefälliges, bin oft viel zu eitel und an manchen Stellen auch wieder unnötig demütig.

Kurz: Ich hab’s echt oft nicht drauf. Nicht nur beruflich, sondern auch privat vergreife ich mich oft im Ton, bin zu schmierig freundlich oder zu ruppig belehrerisch, melde mich zu oft oder zu wenig bei Leuten, rede zu viel oder zu wenig. Am Ende ergibt das und ergebe ich ein herzhaftes Mittelmaß, das sich auch in meinem Twitterfollowern, Buchverkäufen und Facebookfreunden widerspiegelt. And you know what…ich bin zufrieden mit meinem Mittelmaß. Nicht, dass ich nicht offen und ehrgeizig genug für größere Sprünge wäre, aber wenn ich mich so anschaue und das was ich so mache und man mich vor allem machen lässt, denke ich: das hätte auch alles schlimmer kommen können.

Natürlich liegt das Ertragen meiner Selbst auch an meiner Familie, die mir vielleicht nicht immer ganz gerechtfertigterweise das Gefühl gibt, okay zu sein. Zum anderen liegt’s aber auch an der Tatsache, dass mir mit zunehmenden Alter die Vanitas in die Knochen fährt und ich die Zeit, die ich noch so rumhänge am besten im Einklang mit mir selbst verbringen möchte. Viele Menschen aus der Medienbranche, aber auch Juristen, Handwerker und Sportwissenschaftler geben sich wahnsinnig viel Mühe, zu verbergen, tarnen und verheimlichen wie unvollständig sie sind. Das sind Anstrengungen, denen möchte ich mich mit 41 nicht mehr aussetzen.

Und neulich durch den Bürgerpark in Pankow gewandert. Und Blätter und Ziegen gesehen. Die Demos vom neuen Gebruder-Album durchgehört. Im Bistro am Bürgerpark eine rassige Bolognese vom Tunesier für unverschämt wenig Geld gegessen. Und gedacht, dass ich ein besseres Leben eh nicht hätte zustande bringen können in der kurzen Zeit, seit ich nicht mehr dauernd über mich nachdenke.

Das falsche Tagebuch: 22. Oktober 2015

Neulich im LaGeSo gewesen und Babykram vom Drogeriemarkt hingebracht. Scheinbar einen seltenen „guten“ Tag erwischt, Wetter war mild, Andrang kein Inferno, plus verhältnismäßig gute Laune im Haus R, wo Klamotten und Gebrauchsgegenstände gelagert werden. Und doch ist mir seit gestern so als hätte ich in das tiefste Loch im All gestarrt und es hätte zurückgestarrt. Das kommt, weil ich gelesen habe, dass auf dem Gelände eine Frau „suizidgefährdet und katatonisch“ herumirrt und nicht entsprechend betreut wird, weil man ja mit der körperlichen Gesundheit der Leute schon überfordert ist. Der Zustand der Frau ist der Tatsache geschuldet, dass man auf der Überfahrt ihr Baby über Bord geworfen hat, weil es geschrien hat und das ist eigentlich mit das Schlimmste was ich jemals im Leben gehört habe. Das hätte ich vermutlich schon behauptet, bevor ich selber Kinder hatte, aber grade jetzt, wo hier ein Baby auf vier Pfoten durchs Haus manövriert, ist das der noch viel nacktere Wahnsinn. Und dann schaust du dir so einen Pegida-Menschen von der Demo neulich an und hörst dir an, was ihm so fehlt im Leben oder wovor er Angst hat. Geh leck mich doch am Arsch.

PS: Wer die Einrichtung Moabit-hilft unterstützen will, kann und sollte das per Spende HIER tun.

Das falsche Tagebuch: 21. Oktober 2015

Ich fürchte, ich weiß nicht mehr, was da draußen wirklich passiert.

Ich konnte der allgemeinen Hirnverbranntheit zum Thema Flüchtlinge bisher immerhin abgewinnen, dass sie der Gesellschaft, die richtige Reaktion abverlangt, nämlich die pauschale Verdammung der völkischen Verdummung, die sofortige Instandsetzung eines moralischen Walls gegen die anachronistische, ja barbarische Existenzangst der „kleinen“ Leute, die sich in Fremdenhass und idiologischem Rückschrittsglauben ausdrückt.

Dann aber habe ich diese Pegida-Feier gesehen und diesen schrecklichen Möchtgernstaatszersetzer Pirinçci und mir ist flau im Magen geworden, weil diese Bilder nicht mehr nur den Effekt haben werden, dass die Leute sich ihrer kleinmütigen Angst und ihrer irrationalen Wut schämen, sondern bestätigt fühlen.

Und eben nicht verstehen, dass der Mensch nicht der Mensch ist, nur weil er der Mensch ist. Dass seine Gefühle und Bauchmeinungen weder Bestand noch ewige Deutungshoheit besitzen. Der Mensch hat einen Intellekt, der sich über die Jahrhunderte weiter entwickelt hin zu einem bisher noch nicht definierten Zustand, von dem ich aber zumindest weiß, dass dieser hosenschissige Neid auf alles, was man angeblich auch selbst verdient hätte, keinen Platz mehr hat. Sollte ich mich irren und Europa ins rechte Nichts absinken, wohin zieht man am besten? Kanada?

NACHTRAG: Hab jetzt erst kapiert, dass der Pirincbums im selben Verlag wie ich auswirft. Bevor ich aber meine Abscheu brieflich aufsetzen konnte, las ich das hier. Besser als nichts.

Berliner Western

Das ist ein Lied aus meiner Geisterstadt-EP, die’s ab heute bei BANDCAMP entweder zu schnorren oder zu kaufen gibt. Entirely up to you, Publikum. Gedreht haben das mit mir Lüder Lindau und Isabella Nadobny. Tausend Dank dafür. Und: alles aus dem Video ist in Schöneberg gedreht. Von der chinesischen Whiskey-Bar bis zur Dorfkapelle, die haben da alles.

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Das falsche Tagebuch: 8. Oktober 2015

Es ist Oktober. Bald wird der Sand aus den Schuhen im Flur weniger werden. Ruhig Blut, noch beschwert sich der Hausmeister. Aber die Brücken sind nachts jetzt schon leer. Vor dem Bode-Museum herrscht eine epidemie-artige Leere, als ob der Ausgang nach 20:00 Uhr verboten ist. Das Licht hat noch ein paar Fäden vom Sommer, die Luft schon ein paar Stehlen des anreisenden Winters. Eltern, die ihre Kinder für das nächste Jahr in der Schule anmelden müssen, ergreift eine präpotente Bildungs- und Übervorteilungspanik und je dunkler es draußen wird, desto mehr wünsche ich mich in den Geisteszustand eines studentischen Slackers zurück. Ein Beruf aus dem vorigen Jahrhundert, ja Jahrtausend. Ein großer Aufschieber war ich eigentlich nie, aber Aufstehen, Aufräumen, Genauigkeit und Lebensplanung waren nun mal keine Prioritäten. Jetzt erfasst mich die Akribie jedes Jahr ein bisschen mehr, am Ende werde ich noch zum Erwachsenen. Was sollen meine Kinder von mir denken?

Ich hör grade den Zündfunk-Streifzug durch die musikalische Regensburger Nacht mit meinem alten Kumpel Sailo als Conférencier. Eine nicht unangenehme Melancholie beschleicht mich. Eine Erinnerung an eine Zeit, an der man nur Musik machen wollte. Sonst war echt alles egal. Hin und wieder hat eine neue Freundin dieses Interessensembargo durchbrochen, aber nach einem halben Jahr war die Musik wieder Nummer eins. Heute ist sie Nummer 47, alle haben Kinder, alle wollen einschulen. Ich nehm grade mit Gebruder eine neue Platte auf und hab schon ein schlechtes Gewissen, wenn ich so wie gestern drei Stunden Gitarrensolos einspiele. Selbst meine Frau, die ehemals nicht unerfolgreiche Ex-Musikerin, begegnet mir immer so ein bisschen mit einem inneren Kopfschütteln, wenn ich über zweistimmigen Leads brüte.

Wenn man davon absieht, dass Millionen von Leut um ihr Leben rennen und noch viel mehr Millionen auf sie wie auf High-School-Loser herunterschauen, geht es uns besser als je zuvor. Das Altwerden macht viel weniger mürbe als wir dachten. Trotz doppeltem Bandscheiben-Zerfall bin ich fitter als je zuvor im Leben, abgesehen von dem einen Sommer, wo ich mit Hosenträgern und oben ohne in Regensburg Fahrrad über die Kumpfmühler Brücke gefahren bin und von einem eifersüchtigen Mann Lob für den Oberkörper bekommen habe. Ja, sowas ist mir immer noch wichtig. Ich begreife Eitelkeit sowieso nur als Malus, wenn man sie unterdrückt wie eine notorische Flatulenz.

Das Kind fragt mich neuerdings bei jedem Land, von dem ich rede, ob da Krieg herrscht. Das geht dann so:
„In England gibt es die Iron-Man-Figur, die du willst.“
„Fahren wir bitte in Urlaub dahin?“
„Nein.“
„Warum? Ist da Krieg?“
„Nein, nur schlechtes Wetter.“

Kurzkritiken zu Sicario, Inside Out (Alles steht Kopf), Love And Mercy

SICARIO
Einer meiner Lieblingsautoren von grantland.com hat den Film als „Apocalypse Now“ des War On Drugs beschrieben. Die Gemeinsamkeit ist der bildhafte wie ganz konkrete Abstieg in ein soziales und kriminelles Inferno, das spätestens ab der Tunnelsequenz surreale Züge annimmt, hence der Coppola-Vergleich. Dabei darf die in jedem Sinn gebeutelte Protagonistin Emily Blunt schon früh im Film einen Sneak Peak auf die Spitze des unterirdschen Eisberges werfen. Und auf der Spitze liegt die Grenzstadt Juarez und sie ist Kulisse der vielleicht spannendsten Polizeiseskorte der Filmgeschichte. Was Denis Villneuve aber noch besser kann als Drehbuch (wer weiß, ob das wirklich so gut ist, wenn man mal genau überlegt) und Metaphern, ist Filmemachen. Die hämmernde Filmmusik, als ob im Keller Trent Reznor eingesperrt ist, die Dauerbedrohung durch abschätzig sezierende Kameraeinstellungen – vieles ist Kunst, aber art for entertainment’s sake. Die Figuren und das was sie tun, ist simpel wie Einschusslöcher und trotzdem hat man das Gefühl, dass jede noch so absurde Nebenfigur (siehe die Texas-Rangers mit ihren 10-Gallon Hats) ein völlig autarkes Eigenleben führt. Der Film wirkt wie ein fürchterlich plastischer Bildausschnitt eines großen Schlachtengemäldes auf hellbraunen Landschaften. Und doch bleibt die Komplexität nur angedeutet: was man sieht, ist stets simpel, direkt und stellt keine alles übertönenden philsophischen Fragen. Man starrt einfach nur, graust und wundert sich. Dass Benicio del Toro, Emily Blunt und Josh Brolin mit einer unglaublichen Selbstverständlichkeit spielen, trägt freilich zu der perfekten Illusion bei, dass die Hölle ein ganz realer Ort ist und sich noch dazu langsam und immer weiter ausdehnt. Ein Film für Leute, denen es bei Netflix‘ Narcos noch zu sehr menschelte.

INSIDE OUT (ALLES STEHT KOPF)
Ein herzliches chaotisches Metapherngewitter mit noch genug Witz und moralischen Allgemeinplätzen, dass er grade so als Kinderfilm durchgeht. Trotzdem musste ich meinem Sohn noch nie so viel in einem Animationsfilm erklären wie hier. Fritz The Cat ausgenommen. Just kidding.

LOVE AND MERCY
Brian-Wilson-Biographie aus zwei verschiedenen Lebenszeiten. In der einen nimmt er grade das gottgegebene „Pet Sounds“ auf, in der anderen spricht er mit seinem Kühlschrank und lässt sich von der Liebe vor seinem narzistischen Psychotherapeuten Eugene Landy retten, den die Rock’n’Roll-Geschichte auch ohne Paul Giamattis maliziöses Spiel längst zum Beach-Boy-Antichrist abgestempelt hat. Die Sixties-Episoden haben ganz viel Flair, Musik und mit Paul Dano den richtigen Brian Wilson, die Achtziger lenken mit John Cusack als Wilson von der eigentlich Figur ab. Nicht weil er das schlecht spielt, sondern weil er halt John Cusack ist und sein Haaransatz ein merkwürdiges Eigenleben führt. Mein Highlight: Mike Love kommt im Film genauso schmierig und selbstgerecht rüber, wie ich mir das nach der Lektüre der tollen Wilson-Autiobiografie „Wouldn’t It Be Nice“ immer vorgestellt habe.

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Kurzkritiken zu Straight Outta Compton, It Follows, Ex Machina, Maze Runner, The Hunger Games: Mockingjay

STRAIGHT OUTTA COMPTON
Klar wartet man geradezu auf West Coast-Gangsterrap-Klischees. Aber trotz angedeuteter Polizeigewalt, sanft insinuierter hedonistischer Exzesse und ein paar putzigen Kraftwörtern haftet der Geschichte der NWA’ler etwas seltsam ungefährlich Disneyhaftes an, was mich beim ersten Anschauen gestört hat, mittlerweile ganz und gar nicht mehr. Weil einen das Biografische nicht sonderlich viel angeht oder berührt, ist man schnell und vorbehaltlos auf die Musik fixiert. Nach dem Film hat man vor allem Lust auf alte Ice Cube-Alben, der im Film quasi vom Original nicht zu unterscheiden ist. Ähnlich gut ist Eazy-E, ein bisschen zu verschmust: der nachweislich ehemalige Wifebeater und Beats-Schöpfer (worauf uns der Abspann ausdrücklich hinweist) Dr. Dre.

IT FOLLOWS
Mal eben mit links der beste Horrorfilm der letzten zehn Jahre. Manische und kaum dagewesene Kamerafahrten, großartige Soundkulisse, neue Bildsprache und das alles nicht zum Selbstzweck, sondern nur des Bedrohungsszenarios zuliebe. Jammerjammerschade, dass der Film so lieblos mit seinem eigenen Regelwerk bzw. seiner Schreckensprämisse umgeht, sonst wär das ein instant classic. Ist er vielleicht aber auch so.

EX MACHINA
Basic Instinct mit Robotern. Aber nur die Verhörszene. Nicht der gelegentlich zitierte neue Sci-Fi-Klassiker, denn da stören ein paar hohle, lediglich künstlich intelligente Philosophie-Plaudereien der Protagonisten empfindlich. In Kulisse, Musik und Atmosphäre dennoch eine sehenswerte Reise in die Einsamkeit der auf Eskapismus programmierten Seele, vor allem wenn man schon öfter in Wellnesshotels in Brandenburg war, da sieht es genauso aus wie in der überdimensionalen finnischen Saunahütte aus dem Film. Oscar Isaac spielt das Ding nach Hause, die Roboterfrau ist leider im wahrsten Sinne austauschbar.

MAZE RUNNER
Weil ich grad seh, dass die Fortsetzung in den Kinos ist, fällt mir ein, dass ich den ersten Teil sogar gesehen habe. Das Konzept vom tödlichen Labyrinth/menschlischen Experimentierkasten hat natürlich auch fast 20 Jahre nach „Cube“ immer noch was und die familienfreundlichen Schauspieler stehen dem nicht im Weg. Eingeschlafen bin ich im letzten Drittel dann trotzdem. Die Frau behauptet: war ganz amüsant. Aber das sagt sie auch über „Supernatural“ oder diese Serie, wo einer deine Mutter trifft.

THE HUNGER GAMES: MOCKINGJAY
Finde ich sehr mutig von den Machern, dass die Filme (Bücher kenn ich nicht) immer langsamer und bedrückender werden, und immer weniger passiert. Mein Cup Of Dystopia ist das aber nicht, vor allem, weil Jennifer Lawrence das mimisch scheinbar nur aus vertraglicher Verpflichtung löst und ihr Stylist offenbar auch.

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