Die Lesereise II – Erlangen, München

The Road is life
(Jack Kerouac, On The Road)

27.02.2013 Erlangen, E-Werk

Nach Erlangen fahre ich im Zug, weil ich leider an einer Übersetzung arbeiten muss, statt unter dem Einfluss von Alkohol und Ibuprofen 600 Joe Danger auf dem iPad zu spielen. Unser Zug hat Verspätung, weil sich jemand mutmaßlich vor den Zug vor uns geworfen hat (was außer mir absolut niemand zu beunruhigen scheint), und wir stehen eine Runde Ewigkeit in einem fränkischen Kaff herum, dessen Name noch nicht einmal auf dem Bahnhof steht. Als ich im E-Werk ankomme, riecht es so dermaßen nach Schwefel, als hätte Luzifer persönlich einen Schors gelassen, und wenn das mal kein gutes Omen für eine Black Mandel/Die Beichte-Lesung ist (Insider wissen wovon ich schreibe), dann weiß ich es auch nicht.

Aufgrund der Zugverspätung aber auch aufgrund meines bodenlosen Orientierungssinns muss ich mich von einer freundlichen E-Werk-Azubine mit dem Auto nach Nürnberg reinfahren lassen, um meinen Radiotermin bei StarFM bei der freundlichen Rockerbraut Petra „Burner“ Birner wahrzunehmen. Ich bin wirklich so gerne im Radio, ich freue mich jedes Mal wie ein Tier, das man in Freiheit entlässt, wenn mir jemand ein Mikrofon hinhält, und ich drauf los schmadern darf, ohne mich im Anschluss aufdringlich zu fühlen. Deshalb gehe ich auch so gerne zu Open-Stage-Comedy-Veranstaltungen.

Zurück nach Erlangen muss mich dann mein alter Weggefährte aus Zeiten, in denen auf Blogs noch keine Fotos waren, der Rationalstürmer Norbert Sistek chauffieren, weil ich schon so spät dran bin. Das passt aber zeitlich auch für ihn, so wird er nämlich für diesen Abend ein unverschämter Rotzlöffel von einem Sidekick sein und nicht selten nah am Watschenbaum sitzen. Nein, das ist natürlich nur ein Spaß, weil ohne den Norbert wäre die Hälfte des Publikums gar nicht erschienen und erst in der fränkisch autochthonen Widerrede erstrahlt mein niederbayerisch exotischer Charme in vollem Glanze.

Das mit dem Publikum ist sowieso schwierig an dem Abend, weil es der Abend des Pokalhalbfinales zwischen Bayern und Dortmund ist und ich quasi den Supportslot davor bilde. Ich eröffne quasi für Ribery oder wahlweise Sophie Hunger, die spielt nämlich über mir. Deshalb, also wegen Bayern nicht wegen Hunger, kommt es auch zu etlichen Zwischenfällen in Sachen Ruhe-des-Autors-Störung, bei denen ich bereits um 19:50 die Aufstellung durchsprechenden Bayernfans den Bewurf mit Gummibären aus dem Catering androhe. Obwohl ich ja selbst unbedingt das Spiel sehen will, überziehe ich wegen der Ruhestörer erst Recht fünf Minuten in das Spiel hinein. Don’t fuck with the novelist.

Trotzdem absolvieren der Norbert und ich das ganz hervorragend zusammen, da steckt noch viel Potenzial und Blödsinn in dieser Paarung, wie wir ja auch schon hier bewiesen haben. Als die Bayern dann auf der Großleinwand das 1:0 durch Robben bejubeln, hat sich auch der Schwefelgeruch endgültig verzogen und ich kann mich beruhigt um mein Begräbnis, äh Besäufnis kümmern, das in einem vielsagenden Laden namens Transfer seine Vollendung findet. Ich verabschiede mich so gegen halb drei, habe aber das Gefühl, dass ich die entscheidende Viertelstunde zu früh vorm Umkippen des Abends ins Exzessive nach Hause gegangen bin, was für den Abend zwar schlecht, den nächsten Tag aber ganz hervorragend ist.

blackmunich
(Great Hair Day, dennoch Mütze, because that’s how I roll. Foto: M. Nägele)

28.02.2013 München, Optimal

Ich bin unglaublich gerne in München. Ich habe da drei Jahre gewohnt und selbst wenn es drei Jahre unbarmherzigster Selbstfindung waren, die immer zwangsweise auf die Arroganz der frühen Zwanziger folgen, erinnere ich mich in meinem Leben an keine schöneren Sommer als die in München, besonders den Sommer of Love 2003 mit seinen ab März alle Rekorde brechenden Temperaturen. Davon sind wir weit entfernt, als ich nachmittags aus dem Zug steige und durch Schneeverwehungen auf der Schweren-Reiter-Straße zu M94,5 dem Studentenradio stiefle. Zu meiner Überraschung bin ich entgegen aller Ankündigungen nicht der einzige Studiogast und zu meiner noch größeren Überraschung bin ich überhaupt kein Studiogast, denn jemand hat vergessen, eine ganz entscheidende Mail weiterzuleiten, die mein Kommen angekündigt hätte. So darf ich letztlich einen Beitrag aufzeichnen und mich eine Stunde lang in der Küche des Senders herumtreiben, denn so lange dauert es ungefähr, bis mich jemand fragt, was ich hier eigentlich zu suchen habe. Zu Motzen gibt’s dennoch nix, denn immerhin ist M94,5 der einzige Radiosender, der damals unseren Hit gespielt hat, und das sogar noch Jahre nach meinem Gang ins Berliner Exil.

Danach treffe ich mich mit meinen Eltern auf einen Wein in der Schrannenhalle und streite mit meinem Vater darüber, ob eine Les Paul Goldtop (die ich dabeihabe) über einen Tremolohebel verfügt. Natürlich tut sie das nicht. Ich lasse mich nur auf einen „Expertendiskurs“ mit meinem Vater ein, wenn ich weiß, dass ich hundertprozentig im Recht bin. Nur so kann ich meinen Triumph über die volle Laufzeit des Disputs genießen und spar mir das Nervenflattern beim Blick aufs mobile Wikipedia und die bange Frage, welche Generation denn nun Recht hat. Danach treffe ich mich mit meinem alten Bassisten (siehe Video vorher) und meinem aktuellen Lektor auf Bier und Pizza und muss die beiden wegen eines Interviews mit dem BR alleine lassen. Mittlerweile spielen die beiden in derselben Band.

Die Lesung im Traditionsplattenladen Optimal wurde vom guten Ivi organisiert, der mir letztes Jahr beigebracht hat, was eine Fernfahrerhalbe ist, wofür ich ihm heute noch dankbar bin, auch und vorallem, weil er sie nicht am lebenden Exemplar vorgeführt hat. Auf München ist wie immer Verlass, der Laden ist voll, die Stimmung ausgezeichnet, nur die Goldtop ist verstimmt wie die Seuche, so dass ich in der Halbzeitpause unter Anleitung meines Vaters das Lokal verlassen muss, um das Instrument nach Gehör zu stimmen, was er dann irgendwann einfach selbst in die Hand nimmt, weil ich mich gar so dumm anstelle. Papa Burnster vs. Burnster, neuer Spielstand 1:1.

Das Schöne an den Lesungen in Bayern ist aber grade die zahlreiche verwandtschaftliche Präsenz, die natürlich seziermesserscharf zuhört, was der Neffe, Filius, Kusar denn an bio- und geografischen Echtigkeiten aus der gemeinsamen Vergangenheit in sein Werk hat einfließen lassen. Ach so ja, in der Verwandtschaft gibt es natürlich (natürlich!) auch ein, zwei Black-Metal-Fans und unter denen kommt das ein oder andere Mal ein Raunen auf, wenn ich das Sujet ins Absurde bis Alberne rücke. Aber auch zurecht. Wehrt euch gegen lakonische Musikrentner wie mich, schließlich geht es um Rebellion, nicht um Reflexion.

Einen extra Paragrafen erhält freilich meine „Vorband“, die BAD BANK, die ihr Debüt hinlegt und für mich den ersten Drone/Doom-Pophit der Weltgeschichte schreibt. Im Radiosinglegerechten 15-Minüter unterhält die Bad Bank ihre und meine Kundschaft in der Lesepause nach Leibeskräften, während ich mit meinem Vater beim Gitarrestimmen bin.

Den Tag beendet ein Besuch mit Ivi und meinem Ex-Bassisten im Kilombo, wo der Ex-Bassist und der Wirt vom Kilombo feststellen, dass sie vielleicht als einzige Menschen auf der Welt jede Simpsons-Folge auswendig nachsprechen können. So hat mein Ex-Bassist an dem Abend nicht nur einen neue Band, sondern auch einen neuen besten Freund und nebenbei eine neue Stammkneipe gefunden. Zufrieden von soviel guter Tat gehe ich rabenvoll ins Bett. Mein Vater hat mich vor dem Auftritt noch gefragt, ob und warum ich immer vor Auftritten trinke und ich habe geantwortet: ja, das ist mein lebenslanges Privileg, um mich nicht dem stellen zu müssen, was ich da vorne so treibe. Am nächsten Tag um neun sitze ich wieder im ICE und es passiert, was nicht passieren soll, wenn man mit einem Überkater verkehrt herum im Zug sitzt (weil ich auf dem Diagramm im Netz immer nie weiß, in welche Richtung der Zug schaut): ein Proletenpaar, die den Sohn zur Einschulung (oder wie man das nennt) bei der Bundeswehr begleiten und sich die Zeit mit mehreren Litern Rotkäppchensekt, dunklen Weizen und Fachgesprächen über Mario Gomez vertreiben.

7 comments / Add your comment below

  1. Da sind die Erlangener aber trotz hool-nahem Verhalten noch gut weggekommen. Beim Bayern-Barca Rückspiel hat mich noch tatsächlich einer der Graddler drauf angesprochen, mit folgendem hochphilosophischem spruch: Horch, des hädd fei Ned sa mäi. Ubwull der gor Ned schlechd war fei.

  2. Uiuiui, auf der Rückreise wäre ich gerne dabei gewesen, mit den Proleten-Helicopter-Parents, um denen mit ein paar netten Gschichten denen die Konaequenz der Einschulung ihres Tronfolgers klarzumachen.
    Väter die Gitarre stimmen können sind cool!

  3. Verena: Ich versteh ja wie das ist, wenn man dringend das Spiel sehen will. Fei wirklich. Und als ausführender Künstler gilt ja zunächst die Unschuldsvermutung fürs Publikum.

    Dr. G: Ah, der frischgebackene Papa schreibt mal wieder, das freut mich aber außerordentlich. Sind Doktoren, die Väter werden, eigentlich Doktorväter? Haha, bitte gleich wieder vergessen. Vielleicht eine Kostprobe auf die Schnelle, was Sie den Eltern gesagt hätten?

  4. Servus Herr Burnster.

    Schön dass der Wein in der Schrannenhalle gemundet hat, wobei ich die Zusammenstellung der verschiedenen Einzelhandelsangebote noch nicht ganz verstanden habe; so ne Art elitärer Tante Emma Laden.
    Hab mir gerade mal den Hit angehört und muss ehrlich zugeben: Hätte ich nicht gedacht, nachdem ich die Brothers Grimm mal gecheckt habe. Gefällt mir aber nicht so dolle (als alter Black Metaller ;-)). Trotzdem ganz schön tight; finde es ist ne Mischung aus U2 Beatsteaks und progressiven Dream Theater…ich bin raus und over!

  5. Anderl, die Schrannenhalle ist eigentlich auch furchtbar, deine Beschreibung triffts ganz gut. Den Beatsteaks-Vergleich hab ich für Grand Underground schon mal gehört, Dream Theater ist aber neu und gibt mir zu denken. Aber tight hört der Musiker an sich natürlich immer am liebsten.

  6. Ich frage mich ja immer noch, wie du bei diesen hundsverreckten Bayernfans so ruhig bleiben hast können. Eigentlich hätt man diesem Geschmeiß sauber ein paar aufs Fressbrett geben sollen. Respekt insofern vor deiner buddhistischen Zurückhaltung – und außerdem nochamal dankschön für den Spaß.

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